„Eure Argumentation ist lückenhaft!“ Diesen Satz hören wir in Auseinandersetzungen ziemlich häufig. Oft bezieht er sich darauf, dass wir bei der frühkindlichen Entwicklung übersehen würden, wie wenig sie von Erziehung und wie stark sie stattdessen von Genetik bestimmt wird. Da könne man nämlich doch sehen, dass Jungen von Geburt an so sind (Autos, Bauklötze, kompetitiv, rabiat) und Mädchen eben so (Puppen, Kleider, zart, fürsorglich).
Zwischen Geburt und zweitem Lebensjahr wird zugunsten von angeblich angeborenem Rollenverhalten eine Sozialisationslücke behauptet und so vehement vermarktet, dass uns auch Eltern, die eigentlich kein Interesse daran haben, ihre Kinder bewusst geschlechtsstereotyp zu erziehen, immer wieder auf die angeblich natürlichen Vorlieben von Kindern hinweisen. Sie finden es bemerkenswert, wenn Mädchen und Jungen, die kaum sprechen können, geschlechtsassoziiertes Verhalten und entsprechende Spielzeugvorlieben zeigen. Viele halten Kinder in diesem Alter diesbezüglich für nicht beeinflussbar und sich selbst nicht für beeinflussend.
Tatsächlich zeigen sogenannte „Baby-X-Versuche“, dass das Gegenteil der Fall ist. Fordert man Erwachsene auf, sich um ein neutral gekleidetes Baby zu kümmern, behandeln sie es unterschiedlich – je nachdem ob ihnen gesagt wurde, es handele sich um einen Jungen oder ein Mädchen. Mit großer Selbstverständlichkeit werden in diesem Fall Jungen mit Bällen und Mädchen mit Puppen bespielt. Mit noch größerer Selbstverständlichkeit werden solche Unterschiede in der Werbung behauptet. In diesem neuen Spot für Aptamil
https://www.youtube.com/watch?v=NFUrDtKUChA
ist alles sehr früh klar: Ballerina, Wissenschaftler, Bergsteiger – welches Geschlecht wofür bestimmt zu sein scheint, wird so früh wie möglich festgelegt. Durch Bilder, Geschichten, Vorbilder, Kleidung und ermunternden Worten zum „passenden“ Verhalten und Spielzeug. Und wenn die Kinder später dann zielsicher zum Puppenhaus oder zum Bagger gehen, wundert oder freut man sich darüber wie geschlechtssicher die Natur in den Kleinen wirkt. Wie beim berühmten „E*Trade Baby“.
Letztendlich bedient sich solche Werbung diesen Rollenklischees, um über verlässliche, wirkungsstarke Kanäle zu verfügen, die es ermöglichen; Kund*innen zu beeinflussen. Die Adbuster-Szene hat dafür ein passendes Bild gefunden.
Es gibt keine Lücke. Selbstverständlich wird unser Verhalten von unseren Genen geprägt. UND von der Sozialisation, die wir erfahren – und zwar von Anfang an.
Nils Pickert