Fußballbierchen

Fußballbierchen

Eine Kolumne von Nils Pickert

Triggerwarnung: Der folgende Inhalt behandelt das Thema Alkoholismus und häusliche Gewalt

Geht also wieder los: Fußballgroßereignis im eigenen Lande, Sommermärchen 2.0, Schlaaand usw. Gefühlt haben wir uns doch gerade erst zum Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2006 bestochen und uns zum „Weltmeister der Herzen“ gekürt, weil wir irgendwie nicht verstanden haben, dass man sich so einen Titel nicht selbst verleiht, sondern verliehen bekommt. Sei es, wie es sei. Jetzt werden Autos also wieder doppelbeflaggt, in den Discountern Deutschlandschminke verkauft und vor allem Bierchen gezischt. Ja genau: Fußball und Bier bilden in Deutschland eine nahezu unverbrüchliche Einheit, mit der viel Geld verdient wird.

Da spielt es dann auch keine Rolle, ob Länder wie Irland mit Alkoholwerbeverboten rund um Sport seit Jahren sehr erfolgreich sind, Studien immer wieder belegen, dass Alkoholwerbung grundsätzlich und weltweit bei Sportveranstaltungen am besten nichts zu suchen hat und sich die Mehrheit der Deutschen für ein generelles Alkoholwerbeverbot ausspricht. Schließlich geht es hier um „unsere Kultur“ (auch bekannt als Geld) und spätestens nachdem 2008 in der Debatte um ein mögliches Verbot mit der Monsterzahl von 800 Millionen Euro Verlust für den deutschen Profisport Panik gemacht wurde, wird an der gruseligen Verbindung aus Sport und Alkohol nicht mehr wirklich gerüttelt.

Seitdem heißt die von den diversen Lobbygruppen vorangetriebene Devise „Verstärkte Prävention statt Werbeverbot für Alkohol“ und die Politik feiert sich für den „Erfolg“, dass Trikots in Kindergröße nun ohne Brauereiwerbung angeboten werden. Wow, einfach wow. Deswegen auch bei dieser EM alles wie üblich, alles normal. Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.
Weite Teile des Amateurfußballs würden ohne Brauereisponsoring nicht funktionieren, Bitburger ist einer der Hauptsponsoren der anstehenden Europameisterschaft und Alkohol Volksdroge Nummer eins.

Über 170 Millionen Liter Alkohol werden in Deutschland versteuert und bescheren dem Staat Einnahmen von ca. 2,2 Milliarden Euro. Dem gegenüber stehen allerdings rund 40 Milliarden Euro Folgekosten aufgrund von alkoholbedingten Krankheiten und Ausfällen. 3,4 Millionen Erwachsene sind von alkoholbezogenen Störungen betroffen? Muss man verstehen, bei uns ist das Kultur. Immerhin leben wir in einem Land, in dem für das Oktoberfest zum größten Massenbesäufnis der Welt der mittlerweile teillegalisierte Konsum von Cannabis ganz verboten wird, weil „das wichtig für den Gesundheitsschutz ist – und ganz besonders für den Kinder- und Jugendschutz„. Schließlich ist das Oktoberfest ja ein Familienfest.

Und warum erzähle ich das auf einer feministischen Plattform? Wieso ist es wichtig, den fahrlässigen Umgang mit der Droge Alkohol in Politik, Gesellschaft und zu EM-Zeiten insbesondere im Fußballsponsoring zu problematisieren?

Weil nicht nur ein freudiges Sportereignis ansteht, sondern auch die zu solchen Gelegenheiten sehr üblichen Tage der (häuslichen) Gewalt. Vor allem gegen Frauen. 2021 wurde in Großbritannien eine Studie veröffentlicht, die zeigt, wie sehr Alkoholkonsum gewalttätige Übergriffe gegen Frauen befeuert. Bemerkenswert dabei war, dass es kaum eine Rolle spielt, ob die favorisierte Mannschaft gewinnt, verliert oder unentschieden spielt. Selbst der Verlust einer Sportwette spielt nicht so eine durchschlagende Rolle wie der wichtigste und entscheidende Faktor: Alkohol. Bei 780 untersuchten Spielen gab es nur diesen einen Nenner: Bei nüchternen Fans ändert sich das Verhalten kaum bis gar nicht, während alkoholisierte Fans vermehrt zu Gewaltausbrüchen gegen ihre Partnerinnen und Kinder neigen. Und das muss noch zu dem Umstand addiert werden, dass bei Fußballgroßereignissen die Gewaltbereitschaft gegen Frauen generell ansteigt. Wenn man sich vor Augen führt, wie viele Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss verübt werden und dass Städte und Gemeinden sich immer noch als „Spaßbremsen“ bezeichnen lassen müssen, wenn sie dagegen Maßnahmen ergreifen, dann sollte klar sein, warum aus dem Sommermärchen 2.0 ganz schnell eine Horrorgeschichte werden kann.

Und auch die Moral von der Geschicht ist eindeutig: Deutschland untergräbt auch unter dem Zugriff der Alkohollobby wie im Rausch notwendige Gewaltprävention. Zwei Drittel aller Gewalttaten finden im familiären Nahbereich statt – Tendenz steigend. Über 80% der Opfer sind Frauen. Alle vier Minuten erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt durch ihren (Ex)Partner. Und das bei vollkommen überbelegten und unterfinanzierten Frauenhäusern. Rund 4000 Plätze gibt es in 400 Einrichtungen. Laut Istanbul Konferenz sollten es mindestens 21000 Plätze sein. Insbesondere der ländliche Raum ist absolut unterversorgt.

Also von uns aus: Wenn das irgendwem die Freude an der EM verdirbt, dann sind wir eben die Spaßbremsen. Denn die Fußballeuropameisterschaft ist kein Grund zum Anstoßen. Sie ist ein Grund zum Handeln.

Bist du betroffen von Suchterkrankungen oder häuslicher Gewalt? Hier bekommst du Hilfe!


Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren Netzwerken hinterlassen und dort mit fast 140.000 Menschen teilen!

Bildquelle: Pinkstinks Germany e.V.