Gehen Schwangerschaftsabbrüche auch Männer etwas an?

Folgender Artikel enthält Inhalte zu den Themen Schwangerschaftsabbruch, geschlechtsbezogene Diskriminierung und Tod.
Für legale Schwangerschaftsabbrüche gehen Frauen schon seit Jahrzehnten auf die Straße. Und wo sind die Männer? Geht die das nicht auch etwas an? Klar, sagt unser Autor Nils…

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2025 und alles ist beim Alten: Seit über 150 Jahren existiert der Paragraf 218, kriminalisiert Schwangerschaftsabbrüche und macht Betroffenen das Leben schwer.

Und obwohl es immer wieder Ansätze und Initiativen gegeben hat, diesen Paragrafen endlich aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen, hat sich immer noch nichts getan. Die Gründe dafür mögen komplex sein, aber im Kern scheitert dieser Aspekt der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen, wie viele andere auch, vor allem an Männern. An Männern wie Jens Spahn, der seit Jahren meint, Frauen darüber belehren zu müssen, dass die Pille danach kein Smartie ist.

An Männern wie Friedrich Merz, die bei jedem erneuten Vorstoß zur Abschaffung von §218 immer wieder so tun, als käme das Thema jetzt völlig aus dem Nichts und müsste irgendwann in ferner Zukunft aber noch mal ausführlich besprochen werden, bevor sich irgendetwas entscheiden lässt, das keinen »gesellschaftlichen Großkonflikt« heraufbeschwört. An Männern, die entweder ignorieren und herunterspielen oder skandalisieren und mit größtmöglicher Übergriffigkeit fremdbestimmen. Es ist also längst überfällig, Schwangerschaftsabbrüche zu einem Thema zu machen, bei dem Männer nicht einfach achselzuckend weitergehen oder meinen, in völliger Ermangelung von Expertise und Empathie über die Körper von Frauen verfügen zu können. Abtreibung ist auch Männerthema, auch wenn Männer das so sehr nicht wahrhaben wollen, dass Frauen schon in den 90ern mit Transparenten wie »Könnten Männer schwanger werden, wäre Abtreibung Grundrecht« demonstrieren gegangen sind und man sich heute Shirts kaufen kann, auf denen steht, dass man Schwangerschaftsabbrüche an Geldautomaten bekommen könnte, wenn Männer schwanger werden könnten.

Shirt spreadshirt (Screenshort)

Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass Männer durchaus schwanger werden können. Und deshalb brauchen auch trans* Männer einen niedrigschwelligen, stigmatisierungsfreien und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen – dies gilt umso mehr, da die gesundheitliche Versorgung für trans* Menschen weltweit erschwert bis verunmöglicht wird. Während sich also gerade immer irgendwo trans*exklusive Radikalfeministinnen darüber beschweren, dass jemand einmal zu oft »Gebärende« oder »schwangere Person« geschrieben hat statt »Frau«, werden trans* Männer (ungewollt) schwanger und bleiben medizinisch unterversorgt und stigmatisiert.

Die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist eine Frage der Gerechtigkeit. In der Generaldebatte zum Paragrafen 218 nannte Willy Brandt diesen einen »schwer erträglicher Restbestand sozialer Ungerechtigkeit des vorigen Jahrhunderts« und wies darauf hin, dass vor allem arme und benachteiligte Frauen von den Härten eines Abtreibungsverbots betroffen sind. Wer wissen will, wie sehr das selbst für die jetzige EU gilt, braucht sich bloß mit dem Abtreibungstourismus zwischen den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten beschäftigen. Vor dem Brexit sind wohlhabende Frauen aus Malta nach Großbritannien geflogen, um Abbrüche vornehmen zu lassen. Für alle anderen blieben nur geflüsterte Gespräche über die geeignete Sturzhöhe von Treppen und die vielleicht, aber auch nur vielleicht, nicht tödliche Menge an zu schluckenden Haushaltsreinigern. Mittlerweile fliegen maltesische Schwangere für Abbrüche vermehrt nach Spanien. Auch irische Frauen reisten vor dem Referendum zur gesetzlichen Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nach Großbritannien. Und für Polinnen ist das Ziel bis heute vornehmlich Deutschland. Daran hat auch der liberale Ministerpräsident Donald Tusk trotz gegenteiliger Versprechungen nichts geändert. Nicht zuletzt auch wegen der mächtigen erzkonservativen PiS Partei, die den alten und neuen Staatspräsidenten stellt.
Aber wie gesagt: Das gilt für diejenigen, die es sich leisten können. Alle anderen sind gezwungen, gegen ihren Willen ein Kind zu gebären oder einen illegalen, oft gesundheitsgefährdenden Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Das hat nichts mit Gerechtigkeit und nichts mit der Lebensrealität von Schwangeren zu tun. Die Hälfte aller Schwangerschaften sind laut Weltgesundheitsorganisation ungewollt. Über 70 Millionen Abbrüche werden schätzungsweise jährlich vorgenommen. 20 Millionen davon gelten als unsicher.

Die Illegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt nicht zu weniger Abtreibungen, sondern zu Leid und Tod. Sie führt zum Tod von Agnieszka, die man im südpolnischen Krankenhaus »Zur heiligen Jungfrau Maria« Tage nach dem Tod ihrer beiden Zwillingsföten im Mutterleib elendig verenden ließ. Und zum Tod von Izabela, der selbst mit einem nicht lebensfähigen Fötus ein Kaiserschnitt und ein Abbruch verweigert wurde. Männer sollten das wissen. Und zwar so genau wie möglich. Das führt mich zum nächsten Punkt.

Ja genau, da brauchen wir überhaupt nicht drum herum zu reden. Schwangerschaftsabbrüche sind kein randständiges Thema, die irgendwen irgendwann mal an einem weit entfernten Ort betreffen könnte. Die Mehrheit der Frauen, die sich für einen Abbruch entscheiden, hat bereits ein Kind. Also Schluss mit drum herumreden: Deine Mudda! Deine Schwester vermutlich auch. Deine Partnerin, deine Kollegin, deine Grundschullehrerin. Vielleicht sogar deine Tochter. Außerdem gilt als Faustformel: Wer sexuell aktiv ist bzw. sein will, sollte sich nicht um die Frage herumdrücken dürfen, wie mit ungewollten Schwangerschaften umgegangen wird. Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche gehört in den Sexualkundeunterricht. Das gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass Verhütung mehrheitlich leider immer noch Frauensache ist. Ignorieren oder mansplainen reicht einfach nicht. Der erste erhaltene Text über Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch ist über 3500 Jahre alt. Das älteste Anti-Abtreibungsgesetz ist nur ein paar Jahrhunderte jünger. Es sah für die Betroffenen Tod durch Pfählung vor. Der Eindruck, dass es langsam aber mal wirklich Zeit wird, mit diesem restriktiven menschenfeindlichen und frauenverachtenden Unfug aufzuhören, ist also noch untertrieben.

Und zum Schluss soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Ganze schwierig ist. Auch für Männer. Niemand sollte diese Entscheidung treffen und mit den Konsequenzen leben müssen – auch Männer nicht. Aber ungewollte Schwangerschaften sind eine Konsequenz menschlicher Sexualität, der man – wenn überhaupt – nur auf Kosten anderer ausweichen kann. Männer sollen und müssen ihren Anteil daran haben. Dieser Anteil beschränkt sich nicht nur auf die Erleichterung darüber, »dass sie jetzt diese ganze Sache irgendwie zu Ende gebracht hat«. Er kann auch Verunsicherung, Angst, Trauer, Leid und einen möglicherweise lebenslang unerfüllten Kinderwunsch bedeuten. Das umfassende Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die damit einhergehende Abschaffung von §218 ändert nichts daran. Aber es würde unsere Gesellschaft in ein Miteinander transformieren, in dem auch Männer in ihrer Ratlosigkeit und Überforderung mit diesem Thema ernst genommen würden und darüber sprechen könnten. Bislang heißt es dazu lediglich, es liegen keine Daten vor. Bisher gibt es nur Spekulationen und anekdotische Evidenz. Redaktionen schicken dazu Aufrufe in die Welt, wie ein Schwangerschaftsabbruch das Leben eines Mannes prägt, als seien sie Schiffe für ein unbekanntes Meer.

Dabei sind Schwangerschaftsabbrüche schon immer auch Männersache. Sie müssen nur endlich aufhören, diese Sache als Einmischung, Übergriff und verfügte Strafbewehrung zu definieren, statt als solidarische Partizipation. Schwangerschaftsabbrüche sind auch Männersache. Weil Männer Verantwortung tragen und Abbrüche immer ein zentraler Teil menschlicher Gesellschaft sein werden. Deshalb kann die Forderung auch und gerade von Männern eigentlich nur lauten:

 

Weg mit §218!

Disclaimer Copy

Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

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