Gehört Sexismus in der Werbung verboten?

Ab 2013 kämpfte Pinkstinks für ein Verbot sexistischer Werbung. 2016 wurde unsere vorgeschlagene Gesetzesnorm im Bundestag diskutiert. Es hieß, man bräuchte mehr Daten: So wurde Pinkstinks mit dem Monitoring sexistischer Werbung beauftragt, das 2017 startete. Was haben wir daraus gelernt? Kämpfen wir heute noch für die Gesetzesnorm?

Die Antwort ist nein, aber! Wir schlagen eine viel effizientere Regelung sexistischer Werbung in Deutschland vor: Wir wollen die Werbemelder.in als Aufklärungs- und Bildungstool ausbauen und deutschlandweit nutzen. 

Jahrelang waren wir überzeugt: Nur mit einer weiteren Gesetzesnorm im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb können wir sexistische Werbung in Deutschland stoppen. Die promovierte Juristin Berit Völzmann hatte die passende Gesetzesnorm (§7a UWG) dafür erarbeitet. Dann bauten wir – mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums – die Online-Plattform „Werbemelder.in“, sammelten dort Daten und wandten diese Gesetzesnorm jahrelang auf sexistische Motive an. Wir erhielten massenhaft Einsendungen und hatten somit eine große Menge an Motiven, auf die wir ihre „Fallbeispiele“ (für Nicht-Jurist*innen sind das „Kriterien“) anwenden konnten.


⬇️ Kriterien (Fallbeispiele) §7a UWG:

  1. Eine geschäftliche Handlung, durch die Marktteilnehmende in diskriminierender Weise angesprochen werden, ist unzulässig, wenn nicht verfassungsrechtlich geschützte Interessen ausnahmsweise überwiegen. Die Diskriminierung kann sich aus der Aussage einer Werbung, ihrem Gesamteindruck oder Gesamtheit der einzelnen Teile einer Werbekampagne ergeben.
  2. Werbung ist geschlechtsdiskriminierend, wenn sie Geschlechtsrollenstereotype in Form von Bildern oder Texten wiedergibt oder sich in sonstiger Weise ein geschlechtsbezogenes Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen den Personen in der Werbung oder im Verhältnis zu den von der Werbung adressierten Personen ergibt. Werbung ist insbesondere Geschlechtsdiskriminierend, wenn sie

    a) Menschen aufgrund ihres Geschlechts Eigenschaften, Fähigkeiten und soziale Rollen in Familie und Beruf zuordnet oder

    b) sexuelle Anziehung als ausschließlichen Wert von Frauen darstellt oder

    c) Frauen auf einen Gegenstand zum sexuellen Gebrauch reduziert, insbesondere, indem weibliche Körper oder Körperteile ohne Produktbezug als Blickfang eingesetzt werden oder der Eindruck hervorgerufen wird, die abgebildete Frau sei wie das Produkt käuflich.

    Aus: Dr. jur. Berit Völzmann, Geschlechtsdiskriminierende Wirtschaftswerbung, Nomos 2014

Bis heute empfinden wir diese Kriterien als äußerst hilfreich. Ihre juristisch basierte Klarheit überzeugte uns, nachdem wir Berit Völzmanns Doktorarbeit studiert hatten – es sind die eingängigsten Regeln gegen sexistische Werbung in Deutschland, vor allem, weil sie durch eine Doktorarbeit belegt sind, die Soziologie und Jura verbindet. Aufgrund dieser Klarheit müssen unsere Einsender*innen jedoch manchmal damit leben, dass eine Werbung, die sie persönlich sexistisch oder geschmacklos empfinden, nicht die Bewertung „sexistisch“ erfährt. Zum Beispiel, wenn Chia-Samen einen Stau bewirken, die sexuelle Anspielung aber nicht festlegt, wer schütteln soll. Sollen Frauen „ihn“ schütteln? Oder nur Männer? Ohne klare Adresse des Motivs muss „im Zweifel für die Angeklagten“ gelten.

Auch wenn True Fruits tatsächlich sexistische und vor allem rassistische Motive hat, können wir auch dieses True-Fruits-Motiv nicht als sexistisch einordnen: 

Macht sich hier eine Frau über kleine Schwänze lustig, ist es ein erotisches Spiel zwischen jungen Leuten am Strand oder wird sie tatsächlich herabgewürdigt, ist es also ein Über-/ Unterordnungsverhältnis? Je nach Alter und Zielgruppe gibt es hier verschiedene Interpretationen. Das betrifft übrigens auch Werbung, in der Begriffe wie „Bitch“ oder „Milf“ drin vorkommen – Wörter, die für die einen Angriff sein kann, können für andere positiv besetzt sein. Wir haben das Penis-Bild als „Grauzone“ eingeordnet. Nun haben wir jedoch viele solcher „Grauzonen“ in der Werbemelder.in. Was, wenn sie Präzedenzfälle werden und dadurch andere, tatsächlich sexistische Motive freigesprochen werden? Von denen haben wir nämlich mehr als genug – wir bekommen täglich solche Bilder zugesendet:

Seit 2017 haben wir 1700 von uns als „sexistisch“ bewertete Anzeigen eingesendet bekommen.  

Wo ist die Grenze zwischen Klischeehaftem und Sexismus? 

„Normschön“ mag verärgern, kann aber nicht verboten werden.

Losgelöst von Völzmanns Doktorarbeit haben wir auch die Einordnung „stereotyp“ in die Werbemelder.in aufgenommen. Das ist unser eigener Ausdruck für „nervig, aber nicht so einengend stereotyp, dass es Sexismus ist“. Eine hübsche, schlanke Frau in einer Modewerbung ist stereotyp, aber wir können (leider) niemanden vorschreiben, auf jedem Plakat eine Vielfalt an Models zu zeigen. Ein rosa Ballettmädchen hingegen mit dem Slogan „Wovon Mädchen träumen“, daneben ein Junge mit Laptop, „wovon Jungen träumen“, ist auch klischeehaft – aber dabei so einengend, dass es sexistisch ist und wird von uns auch so eingeordnet. Der Britische Werberat macht das ähnlich und nennt diese Motive „harmful gender stereotypes“, also Genderstereotypen, die gefährlich sind. 

Doch wo genau ist die Grenze? Ist das rosa Ü-Ei mit seinen ganzen „Fashionistas“ sexistisch – oder erst, wenn „Nur für Mädchen“ draufsteht? Eigentlich doch schon vorher, oder? Denn auch, wenn auch Jungen damit spielen „dürfen“, wird es doch kaum ein Junge tun, wenn keine männlich gelesenen Figuren darin auftauchen. Bringt uns ein Verbot des Extrems dann wirklich etwas? Unsere Einordnung „stereotyp“ hingegen gleicht einem Warnsignal: Dieses Motiv könnte per Gesetzesnorm nicht verboten werden, ist trotzdem von uns als Verbraucherschutzorganisation eingeordnet als Motiv, das verbessert oder wenigstens mit diverseren ergänzt werden könnte. 

Erleben Männer Sexismus?

Wenn wir wirklich per Gesetz bestimmte Motive verbieten wollen, werden wir immer wieder auf Definitions-Probleme stoßen. Nehmen wir zum Beispiel sexualisierte Männer. Im Feminismus sind wir uns relativ einig, dass es Sexismus gegen Männer in der Form der Sexualisierung, wie sie Frauen erleben, nicht gibt. Weil Männer weniger sexualisierte Gewalt erleben und im Patriarchat strukturell bevorteilt werden, kann ein Mann so ein Motiv eher aushalten:

Es trifft nicht auf ein Verständnis von Männern als diejenigen, die für die sexuelle Befriedigung für Frauen da zu sein haben – als Blickfang in der Kunst, später Werbung, als stets devot lächelnde Dekoration, schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden. Wenn Männer Sexismus erleben, dann eher in den Zuschreibungen, nicht weinen zu dürfen, zu blöd für Kindererziehung zu sein oder unfähig, etwas zu fühlen. Die daraus entstehenden Benachteiligungen sind ernst zu nehmen, warum wir eine solche Werbung tatsächlich als sexistisch einordnen:

Wir können aber schon jetzt sagen: Würde §7aUWG im Bundestag verhandelt und beschlossen, dürften auch Männer fortan nicht nackt und sexualisiert dargestellt werden, wobei man juristisch nach der Legimitation fragen könnte. Ein Motiv wie vom Wäscheservice oben ist eher ein Witz, da es die strukturelle, heteronormative Sexualisierung von Männern real nicht gibt. Und dann sind wir wirklich an dem Punkt, an dem Menschen zurecht fragen würden: „Ach, verbieten wir jetzt alles mit nackter Haut? Sind wir jetzt zurück im Viktorianischen Zeitalter?“

Ein Gesetz gegen Sexismus in der Werbung wirft viele Fragen auf. Gleichzeitig bilden sich in verschiedenen Städten und Kommunen gerade teure Gremien, um neue, lokale Verbote sexistischer Werbung umsetzen zu können. Dabei werden von Stadt zu Stadt neue Kriterienkataloge ausgehandelt, mit teilweise sehr weiten Vorstellungen, was alles sexistisch ist. Wir möchten daher dringend vorschlagen, bundesweit die Werbemelder.in zu nutzen, was kostengünstig ist und eine einheitliche Definition sexistische Werbung in Deutschland erlaubt. Selbstredend dürfen Städte und Kommunen die von uns als sexistisch bewerteten Motive auf ihrem Stadtgebiet auch verbieten, wenn sie das möchten. Aber anders wäre es auch möglich, damit Unternehmen zu sensibilisieren und zu beraten. Außenwerbung-Firmen können auf die Werbemelder.in verweisen, wenn sie ein Motiv nicht hängen möchten. Es kann ein Orientierungstool, sein, das einen gesellschaftlichen Diskurs abbildet, soziologisch erforscht ist und gerade deshalb überzeugen kann.  

Die Vorteile an der Werbemelder.in sind,

  1. dass sie die Plattform einer Verbraucherschutzorganisation (Pinkstinks) ist, die einen breiten Zuspruch erhält.
  2. dass sie nach Kriterien arbeitet, die juristisch solide sind und den Kriterien des Deutschen Werberats ähneln.
  3. dass jedes Motiv hochgeladen und seine Einordnung erfragt werden (was der Deutsche Werberat als Gremium der Wirtschaft aus kollegialen Gründen nicht machen kann).
  4. dass dieses Portal als Ratgeberin und Orientierung besser dient als strenge Gesetze, die juristisch hinterfragbar bleiben und womöglich das Gegenteil bezwecken von dem, was wir uns einst erhofften. 

Zurzeit hoffen wir auf eine weitere Förderung der Werbemelder.in, um sie noch effizienter zu gestalten, so dass jede*r Konsument*in, jede*r Unternehmer*in und jede*r Politiker*in in Deutschland sie optimal nutzen kann. Dringend z.B. brauchen wir die Möglichkeit, schon abgehängte Kampagnen auszugrauen und die Bildquellen regelmäßiger überprüfen zu können. Doch bis eine neue Regierung und damit Ansprechpartner*innen stehen, wird es noch etwas dauern. Bis dahin freuen wir uns über jede Unterstützung, um die Werbemelder.in zu optimieren! Danke! 

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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