Die Verletzung sitzt offenbar sehr tief: Der britische Fernsehmoderator und Journalist Piers Morgan traf sich 2016 mit der US-amerikanischen Schauspielerin Meghan Markle in einem Pub auf ein paar Drinks. Anschließend fuhr sie seinen Aussagen zufolge mit einem Taxi auf eine Party, wo sie Prinz Harry kennenlernte, und hat seitdem den Kontakt mit Morgan abgebrochen.
Morgan, der anfangs in den höchsten Tönen von Markle gesprochen und ihr unter anderem attestiert hatte, dass sie „die perfekte Prinzessin“ abgeben würde, konnte diesen Zustand offenbar nicht ertragen. Seither sieht er sich veranlasst, in immer neuen Tiraden über die Herzogin von Sussex öffentlich herzuziehen – in Zeitungsbeiträgen, Interviews oder Kommentaren der Fernsehsendung Good Morning Britain. Er nennt sie einen „Emporkömmling, die nun einen gehobenere Stellung erreicht hat, in der kein Platz mehr für Leute wie uns ist“. Er bezeichnet sie als „Pinocchio Prinzessin“, der er „kein einziges Wort glaubt, nicht mal wenn sie den Wetterbericht verlesen würde“, wenn sie über ihre Suizidgedanken angesichts der rassistischen Anfeindungen berichtet, die ihr zugemutet wurden. Er beschimpft sie als „hinterhältige, geldgeile Markle“, die sich „schamlos selbst promotet“. Sie sei „selbstsüchtig, eine Schande, weinerlich“. Und so weiter und so weiter. So geht das seit Jahren. So heftig und kontextlos, dass sich seine Kolleg*innen bei Good Morning Britain, die zu seinen Ausfällen vor der Kamera oft nur ein saures „Oh mein Gott, hoffentlich ist es bald vorbei“-Gesicht machen konnten, mehrfach darüber beschwerten. Bis es seinem Kollegen Alex Beresford angesichts von Piers‘ abfälligen Kommentaren über das mit Oprah Winfrey geführte Interview des Herzogs und der Herzogin von Sussex Anfang März reichte:
Beresford sprach aus, was alle dachten, und tat dies relativ zurückhaltend. Er stellte lediglich fest:
- Du hast offenbar ein Problem mit Meghan Markle. Das ist für alle ersichtlich.
- Sie hat das Recht, dich nicht an ihrem Leben teilhaben zu lassen.
- Obwohl sie nichts Negatives über dich sagt, fährst du fort, sie anzufeinden.
Für Piers Morgan war das Ganze offenbar so unerträglich, dass er das Set daraufhin verließ. Aus seiner Sicht ist das nur folgerichtig. Denn was von außen betrachtet – wie bereits erwähnt – kontextlos wirkt, hat in Wahrheit einen der für Frauen folgenschwersten Zusammenhänge, der im Patriarchat existiert:
Meghan Markles Verhalten hat Piers Morgans Ego gekränkt. Das Ego eines Mannes, der glaubt, Anspruch auf sie zu haben, ein Recht auf ihre Sympathie, ihre Anerkennung, ihr Interesse. Das Ego eines verheirateten Mannes, der sich auf übergriffige Weise darüber beschwert, dass Markle sich für Prinz Harry entschieden hat und nicht für ihn. Das Ego eines Mannes, der aus tiefster Überzeugung glaubt, dass diese Frau „ihm etwas schuldet“ – er hat sie einmal getroffen.
Die feministische Autorin Jessica Valenti hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, wie gefährlich die Zurückweisung eines Mannes für Frauen sein kann. Für ihren Ruf, ihr berufliches Fortkommen, ihre psychische Gesundheit und ihr Leben. Nicht erst in jüngerer Zeit überziehen Männer Frauen immer wieder mit Gewalt, wenn diese ihnen die Inbesitznahme ihres Geistes und ihres Körpers verweigern. Aktuelle Bücher von Veronika Kracher und Susanne Kaiser zeigen zwar, wie gefährlich sich die Lage bei Incels, Fundamentalisten, neurechter Männerbewegung und selbsternannten Herren der Schöpfung gerade zuspitzt, aber das Problem existiert seit Jahrtausenden.
Schon in der Bibel findet sich die alttestamentarische Erzählung von Susanna, die von zwei alten, hochangesehenen Richtern in ihrem Garten bedrängt und zu sexuellen Handlungen erpresst wird. Die beiden drohen, ihr einen Ehebruch anzuhängen. Als sie sich wehrt und laut aufschreit, tun sie genau das. Im anschließenden Gerichtsprozess kommt die Sache nur deshalb ans Licht, weil die Richter als Zeugen unabhängig voneinander befragt werden und sich in Widersprüchlichkeiten verstricken. Die Geschichte von den alten Männern, die sich der jungen Susanna aufdrängen, ist ein beliebtes Motiv der Kunstgeschichte. Am vielleicht eindrucksvollsten hat es die italienische Malerin Artemisia Gentileschi in Szene gesetzt.
Gentileschi arbeitete 1610 zu einer Phase an dem Bild, in der sie von einem Malerfreund ihres Vaters, der sie vergewaltigt hatte, mit einem Eheversprechen zum Schweigen erpresst wurde. Eine sehr übliche Methode, um aus einer Vergewaltigung eine durch Heirat bezeugte angeblich einvernehmliche Handlung zu machen. Ihr Vergewaltiger heiratete sie nicht, er wurde von Gentileschis Vater angeklagt. Während des Prozesses behauptete er, Artemisia sei eine „Prostituierte“, woraufhin diese eine „gynäkologische“ Untersuchung über sich ergehen lassen musste und gefoltert wurde, um den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage zu überprüfen.
So weit und noch weiter geht gekränkte Männlichkeit in ihrem Besitzanspruch und ihrem angenommenen Recht auf Verfügungsgewalt über Frauen. So weit und noch weiter ging sie schon immer. Und deswegen müssen sich Frauen Männern erwehren, obwohl sie eigentlich gar nicht erst mit dieser übergriffigen Inbesitznahme konfrontiert werden sollten. Artemisia Gentileschi hat das über ihre Kunst getan. Die US-amerikanische Künstlerin Kathleen Gilje zeigt in einer Art Röntgenaufnahme, wie sie Susanna, wie Gentileschi womöglich sich selbst nicht den Konventionen ihrer Zeit gemäß gesehen hat: vor Wut und Schmerz schreiend mit einem Messer in der Hand.
Meghan Markle hat sich bei Morgans Senderchef beschwert.
Piers Morgan ist mittlerweile nicht mehr Teil der Sendung Good Morning Britain. Aber selbstverständlich fährt er in seiner gekränkten Männlichkeit fort, jede Plattform zu nutzen, um die Herzogin weiterhin herabzuwürdigen und der Welt zu verkünden, wie bereit er ist, sich für die hehre Meinungsfreiheit „ins eigene Schwert zu stürzen“.
Eine Meinungsfreiheit, die er als Waffe gegen eine Frau ins Feld führt, weil sie es gewagt hat, sich ihm zu entziehen. Nicht beeindruckt zu sein. Ihm keinen Zugriff auf ihr privates, soziales oder berufliches Leben zu gewähren. Nicht gefügig und verfügbar zu sein.
Wir haben, so scheint es, noch einen sehr weiten Weg zu gehen, bis sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es nicht etwa anmaßend, unerhört und beschämend ist, wenn eine Frau sich den Ansprüchen eines Mannes entzieht, sondern wenn ein Mann mit großer Selbstverständlichkeit und Selbstgefälligkeit eben jene Ansprüche stellt. Die Unersättlichkeit gekränkter Männlichkeit wird nicht dadurch gestillt, dass ihr immer neue Opfer zugeführt werden und weiterhin ein System aufrecht erhalten wird, indem Frauen ganz grundsätzlich als ihr Opfer markiert werden. Wir bekommen sie nur in den Griff, wenn wir ihr die Grundlagen entziehen und Männlichkeit anders erzählen, vorleben, gestalten und einfordern. Dann wäre die Ablehnung eines Mannes durch eine Frau eben einfach nur das: Eine Ablehnung, mit der man(n) zurechtkommen muss, zurechtkommen kann und zurechtkommen wird.
Bild: Wikipedia Commons
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