Gendergate in Norwegen

 

In Norwegen sind 40% der Vorstandsvorsitzenden der börsendatierten Unternehmen Frauen. Es gibt eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 33 Stunden und Gleichberechtigung ist groß geschrieben. Doch das egalitärste Land der Welt hat einen Backlash erfahren – durch einen Komiker. Harald Eia hat sieben Filme gedreht, die die Gendermythen entlarven sollen und 2010 im norwegischen Fernsehen gezeigt wurden. Eia, selbst Soziologe, ging mit einem Kamerateam durch das Land und interviewte Bauingenieure, Krankenschwestern und Gendertheoretiker, um danach sicher zu sein: Männer und Frauen sind doch biologisch, genetisch, und von Geburt an verschieden. Das Resultat: Das Gender-Institut an der Universität Oslo wurde geschlossen. Es läge am schwachen Haushalt, argumentierte der Nordische Ministerrat, doch die Medien sind sich sicher: Es lag an Eias „Aufklärung“ und seiner Beliebtheit bei den Norwegern, die sich nun „befreit“ fühlten.

Seit einigen Wochen wird in Deutschland nun intensiv darüber geschrieben, und wir bei Pinkstinks bekommen viel Post von Leuten, die diese Berichterstattungen lesen. Schauen wir uns Eias Aufklärung einmal in Punkten an.

Bauingenieure sagen, es gäbe nur 10% Frauen am Bau, weil man sich hier schmutzig macht. Krankenschwestern sagen, Pflegeberufe seien nichts für Männer, weil Frauen einfach gerne mit anderen Menschen reden. Und Eia kommentiert, schon Simon Baron-Cohen, Mediziner, hätte in den 80er Jahren herausgefunden, dass männliche und weibliche Säuglinge verschieden sind.

Fangen wir hier an. In „Living Dolls“ widmet Natasha Walter Baron-Cohens Studie einige Seiten – denn obwohl sie nichts vom Norwegischen Gendergate wusste, war sie dem Weltruhm der Studie gewahr. Es gibt viele vergleichbare Studien, die sie zitiert, die beweisen, dass verschieden geschlechtliche Säuglinge in ihrem Interesse an Objekten und Subjekten nicht differieren. Die Studie von Baron-Cohen ging jedoch um die Welt. Jungs sollten länger auf abstrakte Objekte gestarrt haben als auf Gesichter, bei den Mädchen soll es andersherum gewesen sein. Die Studie wurde nicht wiederholt, es wurde keine Wiederholung des Experiments publiziert, so dass man nicht ausschließen kann, dass es reiner Zufall war. Außerdem wurde der Versuchsleitereinfluss nicht kontrolliert. „Es kommt äußerst selten vor, dass ein- und dieselbe Person eine derartige Untersuchung plant und auch durchführt, da die Erwartungen der Forscherin allzu leicht auf die Ergebnisse durchschlagen können.“ (Walter, S.199)

Faszinierend ist immer wieder, wie viele Gegenstudien es zu einem solchen Experiment gibt, die sich nicht so effektiv verbreiten. Die Macht der Sehnsucht nach klaren Identitäten ist nach wie vor stark – genau wie die Krankenschwester und der Bauingenieur die Geschlechterklischees zementierten, die jeder kennt, oder es nicht verwunderlich ist, dass nach wie vor die meisten Menschen gendertypische Berufe erlernen. Egalitäre Bestrebungen sind in Anbetracht unserer jahrtausendalten Kultur extrem jung. In jedem Märchen, jeder Werbung und jedem Ausspruch von Großeltern und Eltern werden die Klischees unserer Kultur bestätigt. Nur weil es für Frauen die Möglichkeiten gibt, Bauingenieurin zu werden, heißt es nicht, dass eine Frau, mit Feen- und Prinzessinnenvorbilder aufgewachsen, nicht ein „guter“, pflegender Mensch werden will, und ein Junge, als „solcher“ erzogen, nicht Lust auf Technik hat.

Aber in anderen Ländern, in denen es weniger Gleichstellung gäbe, würden die Frauen in die Naturwissenschaften strömen!, sagt Eia. Das bewiese doch, dass, ginge es einem Land finanziell gut, die Frauen wieder das täten, wozu sie biologisch bestimmt seien, was sie am liebsten täten: pflegen, lehren und sozial sein. Ergo: Indinnerinnen werden nur Computerspezialistinnen, weil sie das Land voran bringen müssen. Oder sie sich sonst zu Hause um neun Geschwister kümmern, den Männern das Essen kochen (und davon als letztes nehmen) müssten und in Gefahr stünden, bei Fehlverhalten verbrannt zu werden. Sonst würden sie den Beruf der Krankenschwester wählen.

Aber leider ist da etwas dran. Warum sollten sich Frauen auch für Technik interessieren in einer Wirtschaft, die Mädchen beibringt, dass das nichts für sie ist und Lego höchstens als Barbiehaus-Ersatz für sie gedacht ist? In einer Zeit, in der ihnen nach wie vor Geschichten vorgelesen werden, in denen Männer zur Arbeit gehen und die Mutter zu Hause bleibt? Und trotzdem gibt es sie, die Kamerafrauen, Bundeskanzlerin, Physikerinnen und Bauingenieurinnen. Ob die dann alle krank sind, Herr Eia?

Eias Erfolg ist eine traurige Angelegenheit – und eine müßige. Einer seiner Gesprächspartner beschwerte sich nach Ausstrahlung der Sendung beim Norwegische Presserat, der untersuchte Eias journalistisches Vorgehen und befanden es als nicht fehlerhaft, obwohl die Aussagen des Wissenschaftlers offensichtlich manipulativ geschnitten wurden. Die Macht der Presseräte und Werberäte ist unser Thema, unsere große Petition gegen den deutschen Werberat ist in Arbeit. Bis dahin werden wir uns aber noch viel mit Emails zu Eia auseinandersetzen müssen, was so viel Zeit kostet. Schade.