Genderpolitik: Was macht das Bundesfamilienministerium eigentlich so?

 

Das wunderbare an Pinkstinks ist ja nicht nur, dass wir inzwischen so viele Menschen auf Facebook sind, dass wir Firmen in sehr kurzer Zeit für den Sexismus ihrer Werbung sensibilisieren können. Nett finden wir auch, wenn wir ins Bundesfamilienministerium eingeladen werden, um eine Konferenz über Jugend und Gender zu moderieren. Das heißt nämlich, dass wir von den BMFSFJ-Politiker*innen gelesen und wahr genommen werden, und noch besser: Dass wir mitbekommen, was die Politik so unternimmt, wären wir shitstormen, Firmen anschreiben und auf der Straße und im Netz demonstrieren.

Was man nämlich schnell kapiert: Soziale Netzwerke und Politik sind Parallelwelten, die komplett verschieden funktionieren. Die ersten sind ganz schnell, nicht umsonst ist „Bääm!“ gerade eines der häufigsten Wörter auf Twitter. Wie wir aber auch alle wissen: Neben berechtigten Protest sind die sozialen Netzwerke auch sehr gut in überhöhter Aggression und gegenseitigem Fertigmachen, wenn man ein vermeintlich falsches Wort gesagt hat. Ich muss ehrlich sagen, dass ich auf die Offline-Geschwindigkeit der BMFSFJ-Politik etwas neidisch bin. Da gibt es noch Zeit für Fehler und Optimierungen, so dass Menschen Zeit haben, mitzukommen. Auch wenn wir Netzaktivist*innen viele mitnehmen, erreicht die Politik sicher jene, die nicht in den sozialen Netzwerken sind und bei Kindern und Jugend viel mitzureden haben. Und das sind noch sehr viele.

Dieses langsame Lernen und Optimieren lässt sich zum Beispiel am BMFSFJ-geförderte Projekt „Mein Testgelände“ zeigen. Entstanden ist die Webseite aus einem BMFSFJ-Projekt zur Jungenarbeit. Die ursprüngliche Idee: Jungen tauschen sich über diese Webseite zum Thema Gendergerechtigkeit aus, bilden Redaktionsgruppen und erstellen, mit etwas professioneller Hilfe, Texte und Videos, um ihre Gedanken zu Genderthemen präsentieren zu können. Nun. Weil das nicht so richtig in die Gänge kam, holte man ein paar Mädchen rein, um die Dynamik zu erhöhen. Nach zwei Jahren ist das Projekt nun umbenannt in ein „Jugend-Gendermagazin“, in der alle Geschlechter mit allen Geschlechtern über Gender reden. Kein „Bäam!“, sondern eine langsame Entwicklung, von der alle etwas gelernt haben. Und weil nicht alle so „Bääm!“ über Nacht politisch-korrekt werden können, finanziert das BMFSFJ weiter dieses Projekt, dass die langsamen Schritte der Gendersensibilisierung von Jugendlichen sichtbar macht. Da dürfen auch mal Klischees vorkommen. Genau wie Jugendarbeiter*innen und Politiker*innen ihre Schritte gehen, müssen nicht über Nacht politisch-korrekte Jugendliche „gezüchtet“ werden. Da ist Muße für langsame Entwicklung. Meine Güte, wenn wir uns auf Twitter und Facebook diese Langsamkeit einmal gegenseitig zugestehen würden. Wäre das schön.

BMFSFJSteviemoderiert

Ich moderierte Mitte Juni in Berlin also einen ganz „langsamen“ Tag, mit gegenseitigem Zuhören und Aussprechen lassen. Zwischen Arbeitsgruppen zu Themen wie Mädchengesundheit und Essstörungen oder Ideen zum nächsten Girls und Boys Day, in der Politiker*innen, Fachexperten und Studierende sich austauschten,

BMFSFJTransgenderDebatte

kamen auch Jugendliche zu Wort. Das „Testgelände“ zeigte Filme, in denen Mädchen und Jungen ihre Geschlechterrollen hinterfragen,

BMFSFJTeilnehmer sehen Testgelände-Video

die Slammerin Fee trat mit ihrer „Heidi Horror Picture Show“ auf

BMFSFJWeloveFee

und als die Schauspieler*innen von Barner 16 aus Hamburg eine Lesung zu Genderrollen hielten, war nicht klar, wer mehr Spaß daran hatte: Die oder wir Zuhörer*innen.

BMFSFJBarner16

Mein persönliches Dreamteam der Genderwelt, Claudia Wallner und Michael Drogrand-Strud, die die beliebte FB-Gruppe „Geschlechtersensible Pädagogik“ leiten und „Mein Testgelände“ koordinieren, appellierten an anwesende Verbände, Politiker*innen und Jugendsozialarbeiter*innen, das wir alle noch längst nicht „Gender“ können sondern uns immer wieder hinterfragen müssen.

BMFSFJDreamteam Claudia und Michael

Was nahm die Politik von diesem Tag mit? In der Schlussmoderation durfte ich das Angela Icken fragen, die Leiterin des Referats Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer:

BMFSFJStevieIckenSchlussmoderation

Ihr Fazit: Fünf Jahre ist sie noch im Amt. In dieser Zeit wird sie alles tun, um einen Austausch wie diesen zu fördern, Projekte wie „Mein Testgelände“ zu unterstützen, Berichte über Gender und Jugend anfertigen zu lassen und an der Vernetzung von Genderforschung und Jugendarbeit mitzuarbeiten. Das hört sich sehr gut an. Wenn das BMFSFJ dann vielleicht noch eine Social Media-Expert*in einstellt, damit man die Dokumentation zu diesem Tag auch mit vernünftigem Beitragsbild auf Facebook posten kann, können wir Netz-Menschen der Welt von dieser guten Arbeit berichten. Es muss ja nicht gleich „Bäam! Icken rockt die Genderpolitik!“ sein. „Das BMFSFJ vernetzt Gender und Jugendarbeit“ ist doch schon eine grandiose Meldung. „Über Nacht“ hätten wir alle gerne. Ein Tag im BMFSFJ lehrt: Jeder kleine Schritt nach vorne im Kampf gegen die breiten, konservativen Kräfte in diesem Land ist ein Erfolg.

 

Bilder, bis auf das oberste: BAFzA/Herbert Jennerich