Der Mythos des männlichen Genies ist immer noch mächtig und verlangt viel zu oft Frauenopfer.

Geniale Frauenschläger

Es sind so viele, dass wir sie in diesem Text gar nicht alle aufzählen können. Als die Schriftstellerin Berit Glanz vor einigen Tagen auf Twitter einen Thread über Männer eröffnete, die Frauen Gewalt angetan haben, aber sich mit Verweis auf ihre „Genialität“ den Konsequenzen entziehen konnten, mochten es viele zunächst nicht glauben.

Nicht doch dieser berühmte Schriftsteller? Was, auch dieser bekannte Schauspieler? Und auch dieser Rockstar? Und die sind danach wirklich nicht für immer hinter Gefängnismauern verschwunden?
Nein, sind sie nicht. Der nette, kauzige Mann zum Beispiel, der in der Serie „Gilmore Girls“ die Köchin Sookie in den Wahnsinn treibt, weil er zu seinem Interviewtermin immer nur Eistee bestellt, ist zwar wirklich der weltberühmte Schriftsteller Norman Mailer.

Es ist aber auch eben jener Norman Mailer, der 1960 auf einer Party anlässlich seiner Kandidatur zum Bürgermeister von New York auf seine damalige Frau Adele Morales einstach und Umstehende mit den Worten „Fasst sie nicht an. Lasst die Schlampe sterben!“ davon abhielt, ihr zu helfen. Während Morales im Krankenhaus um ihr Überleben kämpfte, sprach Mailer anderntags in einer Talkshow über „das Messer als Symbol der Männlichkeit“ und über seine Kandidatur. Er erhielt eine milde Bewährungsstrafe, die sein Verteidiger unter anderem dadurch erwirkte, dass er darauf hinwies, dass sein Mandant an einem neuen Buch schreibe, dass „einen gesellschaftlichen Beitrag leisten könnte“.

Dieses Muster, dass Männer angeblich zu brillant und ihre Beiträge insbesondere im Bereich Kunst und Kultur zu wichtig sind, als dass man sie konsequent wie die Gewaltverbrecher behandelt, die sie waren und sind, ist vielfach belegt. Ob es nun um den Schauspieler Gunnar Möller geht, der 1979 seine Frau – die Schauspielerin Brigitte Rau – nachdem er sie zunächst verfolgt und gewürgt hatte, mit einem Stuhlbein erschlug, …

um den preisgekrönten Regisseur Roman Polanski, dessen Vergewaltigung einer Minderjährigen viel zu vielen Menschen viel zu egal ist, oder um Klaus Kinski, der noch heute gefeiert, auf großer Bühne parodiert und für wichtig befunden wird, obwohl er sich schon 1975 mit der Vergewaltigung einer 14-Jährigen gebrüstet und jahrelang die eigene Tochter missbraucht hat. Oder eben um Marilyn Manson, der von mehreren Frauen sexueller Übergriffe und Gewalt beschuldigt wird, die scheinbar in seinem Umfeld seit Jahren bekannt waren.

Dieses Entziehen der Konsequenzen beschränkt sich nicht auf Fälle wie Kinski, die für ihre Verbrechen überhaupt nicht bestraft wurden. Auch wenn es davon leider viel zu viele gibt – wie beispielsweise den Schriftsteller William S. Burroughs, der seiner Frau Joan Vollmer ins Gesicht schoss und später zahlreiche Prozessbeteiligte bestechen ließ, um seiner Strafe zu entgehen. Vielmehr schließt es auch all die Fälle ein, in denen Täter zwar in irgendeiner Art und Weise bestraft werden, anschließend aber immer noch Lob, Anerkennung und/oder Aufträge erhalten.

Also das Gegenteil von dem, was in den letzten Jahren immer wieder der #Metoo-Bewegung unterstellt wurde: bekannten Männer mit unbewiesenen Vorwürfen die Karriere zu zerstören. Tatsächlich ist es viel zu oft so, dass bekannte Männer trotz erwiesener Vorwürfe ihre Karriere fortsetzen dürfen. Dass sie verteidigt, entschuldigt und beschützt werden. Dass man Verständnis aufbringt. Dass Freunde behaupten, das Opfer sei ja womöglich auch suizidgefährdet gewesen oder die Tat sei irgendwie Kunst. Und was ist mit einflussreichen Magazinen, die über den Tod des Produzenten Phil Spector ernsthaft schreiben, sein Erbe sei „von einer Verurteilung wegen Mordes überschattet“?

Der Mann hatte über Jahre seine Familie terrorisiert und die Schauspielerin Lana Clarkson ermordet – „talentiert, aber mit Makeln behaftet“ ist dafür sicher keine adäquate Beschreibung. Und doch wird sie genau so vorgenommen.

Selbst der „Süddeutschen Zeitung“ fiel nichts besseres ein, als vom „Pop-Genie Phil Spector“ zu schreiben.

Berit Glanz hat gegenüber Deutschlandfunk festgehalten, worum es geht:
Es mangelt an genau dem Respekt vor Opfern, der Tätern zu viel entgegengebracht wird. Und zugleich wird sich über eine Cancel Culture gegen männliche Berühmtheiten moniert, die so nicht mal ansatzweise existiert. Statt Cancel Culture wegen Gewalt gegen seine Expartnerin oder Verherrlichung von Kriegsverbrechen, gibt es für Peter Handke einen Nobelpreis. Statt von Literaturveranstaltungen ausgeladen zu werden, weil er Frauen sexistisch beschimpft und die Schriftstellerin Mary Karr belästigt, gestalkt, bedroht und attackiert hat, wird dem Schriftsteller David Foster Wallace bis zu seinem Suizid und darüber hinaus gehuldigt.
Und die Ermordung der eigenen Partnerin veranlasst zu haben, hält Fußballvereine nicht davon ab, Täter auf den Platz zu schicken. Weil Eliza Samudio in den Augen viel zu vieler ja nur „irgend so eine Frau“ war, die man umbringen lassen und deren Überreste man anschließend an Hunde verfüttern kann.

Der Mythos des männlichen Genies ist immer noch mächtig und verlangt viel zu oft Frauenopfer. Er nimmt sich Akte der Gewalt gegen Frauen heraus, hofft dabei auf Verständnis und rechnet fest mit Nachsicht. Und wenn dieser Mythos nicht endlich und entgültig als patriarchale Rechtfertigungsstrategie für Gewalt von Männern an Frauen entlarvt und auseinandergenommen wird, dann werden Täter weiterhin zu viel Nachsicht erfahren und Opfer zu wenig Gerechtigkeit.

Hilfreiche Links:

Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen – rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Nummer 08000 116 016 – https://www.hilfetelefon.de/

Hilfetelefon Sexueller Missbrauch – erreichbar Mo, Mi, Fr: 9.00 bis 14.00 Uhr und Di, Do: 15.00 bis 20.00 Uhr unter der kostenlosen Nummer 0800 22 55 530 https://www.hilfeportal-missbrauch.de

Tipps der Polizei bei Belästigungen: https://www.aktion-tu-was.de/tu-was/gegen-belaestigung/

“Ist Luisa hier?”-Initiative in Kneipen, Bars und Clubs: https://luisa-ist-hier.de/ 

Bundesweite Frauenhäuser-Suche – https://www.frauenhauskoordinierung.de/

Suche nach Hilfe-Einrichtungen in der Umgebung – https://www.frauen-info-netz.de/

ProFamilia – Onlineberatung – Suche nach Beratungsstellen in der Umgebung: https://www.profamilia.de/

Bild: Unsplash

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