Gewalt gegen Männer: Tut etwas dagegen!

TW: Vergewaltigung, Suizid

Jedes einzelne Mal. Egal in welchem Medium ich über die Benachteiligung von oder die sexuelle Gewalt gegen Frauen schreibe, ob nun bei Pinkstinks oder in Zeitungen, eine Reaktion kommt wirklich immer:
Aber was ist eigentlich mit Männern?! Ja, ja, Frauen werden vergewaltigt, aber Gewalt gegen Männer ist auch ganz schlimm und niemand spricht darüber. Gender Pay Gap? Der ist erstens nur erfunden und selbst, wenn er nicht erfunden ist und die harten Fakten ihn glasklar belegen, …

… dann ist er uninteressant, weil was ist eigentlich mit Männern? Hmm, sag doch mal! Die haben es doch viel schwerer als Frauen, arbeiten in gefährlicheren Jobs, begehen häufiger Suizid und erfahren doch auch massive Gewalt. Darüber müsste man doch mal reden und nicht immer nur über diese Frauenproblemchen.

Präzisierung und Whataboutism

Eine recht nützliche Strategie gegen diese Art von Vorwürfen ist die Präzisierung. Es stimmt, dass Männer häufiger Suizid begehen – das ist unter anderem den Umständen geschuldet, dass sie sich weniger oft Hilfe suchen als Frauen und mit ihren Suizidversuchen erfolgreicher sind, weil sie brutalere, schnellere Methoden wählen. Und es ist auch richtig, dass Männer viel zu häufig Opfer von Gewalt werden – allerdings vor allem durch andere Männer.

Eine noch viel wichtigere Strategie besteht meines Erachtens darin, Männer mit ihrem scheinbar unermüdlichen Whataboutism nicht davon kommen zu lassen. Also mit dem Versuch, jede sinnvolle Debatte über strukturelle Diskriminierung und Gewalterfahrung von Frauen und Mädchen zu torpedieren. Vor allem dadurch, dass unbedingt betont werden muss, wie sinnlos und geradezu herzlos die Erwähnung dieser eher uninteressanten Tatsachen angesichts der viel dramatischeren Zumutungen für Männer ist. Darüber müsste man doch mal sprechen. Dieser letzte Satz ist eine doppelte Zumutung. Denn erstens wird darüber gesprochen. Ziemlich ausführlich sogar. Um nicht zu sagen auf Buchlänge. Und zweitens geht es eigentlich darum, dass mann darüber doch mal sprechen müsste.

Etwas dagegen tun

Denn was hält uns Männer eigentlich davon ab, uns mit diesen Themen ernsthaft und nachhaltig auseinanderzusetzen? Wo bleiben die vielen aufgeregten Kommentare von Männern, wenn bekannt wird, dass die polnische Kirche ein Gericht in einem Verfahren ersucht hat festzustellen, ob ein zwölfjähriger Junge bei der Vergewaltigung durch einen Priester Befriedigung erfahren könnte, weil er schwul sei. Wo sind die ganzen „Aber was ist denn mit den Männern?!“-Männer da?

Es hält Männer doch niemand davon ab, Vereine zu gründen, Selbsthilfegruppen oder NGOs. Geld zu sammeln oder zu spenden, die katholische Kirche zu kritisieren oder gleich ganz auszutreten, über Gewalt zu schreiben, zu streiten und sich zu entsetzen. Gewalt gegen Männer ist ein viel zu wichtiges Thema, als dass es immer nur anlässlich eines Texts über Gewalt gegen Frauen in die Kommentare gerotzt werden sollte. Es ist auch viel zu wichtig, um die Unterstützung bereits bestehender Organisationen wie beispielsweise den Weißen Ring, die sich seit Jahren um das Thema Gewalt auch gegen Männer bemühen, nicht zumindest in Betracht zu ziehen. Also ganz konkret etwas zu tun, statt rumzumotzen, dass „immer nur über Frauen geredet wird“.

Es hält Männer doch niemand davon ab, Vereine zu gründen, Selbsthilfegruppen oder NGOs.

Nils Pickert

Mehr als nur Kommentare

Denn mann könnte etwas tun: Aufstehen, spenden, sich organisieren, solidarisieren, Veränderung erstreiten. Transparenz erzwingen, Täter bestrafen, Opfer ermächtigen, die Welt ein Stück besser machen. Für die Kommentarkrieger scheint das allerdings überhaupt nicht infrage zu kommen. Viel wichtiger ist es ihnen, die Diskriminierung von und die Gewalt gegen Frauen immer wieder zum bloßen Anlass zu degradieren, um „jetzt aber mal über Männer, also die wirklich wichtigen Themen zu reden“.

Das wird jedoch weder Frauen noch Männern gerecht. Die angestrebte Abwertung der Anliegen von Frauen erreicht mann so nur dadurch, dass die legitimen und relevanten Anliegen von Männern zu Gimmicks verkommen. Zu Whataboutisms, die nicht ernst genommen werden müssen, weil sie ja nur aus Themen bestehen, die reflexartig unter entsprechende Texte geklatscht werden. Mit der Abwertung des Leids von Frauen durch marktschreierische Inszenierung des Leids von Männern erreichen Männer lediglich, dass leidvolle Erfahrungen entwertet werden. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern.

Also wird es höchste Zeit, die Frage danach, was denn jetzt mit den Männern sei, neu auszurichten: Denn was ist denn jetzt mit den Männern? Wo bleiben ihre Emanzipation, ihr Mitgefühl, ihre Anwaltschaft für die Belange der Geschlechtsgenossen? Wo bleiben ihre Solidarität mit Frauen und ihr Engagement für Männer? Wo bleiben die ganzen Protestmärsche von Männern, wenn ein katholisches Bistum mutmaßt, ein zwölfjähriger Junge habe sich wohl „freiwillig“ vergewaltigen lassen. Das könnten unsere Söhne sein. Das könnten wir sein. Da müsste mann mal was gegen machen!

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen. Ebenso verhält es sich in den meisten Fällen mit Jungen und Männern.

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Bildquelle: Jakob Rosen/Unsplash