Gleichberechtigt Eltern sein – wie geht das?

Sobald Kinder kommen, plumpsen viele Paare plötzlich unfreiwillig zurück in die 1950er. Egal, wie sehr sie sich vorher versprochen haben, die Kindererziehung gleichberechtigt aufzuteilen und es auf jeden Fall besser zu machen als ihre eigenen Eltern.

Vor allem Hetero-Paare rutschen in die klassische Rollen-Falle: Mama kümmert sich, Papa bringt das Geld nach Hause. Das bedeutet, dass die Mutter die Hauptverantwortung für die Kindererziehung und den Haushalt übernimmt. Und oft auch in Teilzeit oder gar nicht mehr arbeiten geht.

Mental Load

Eine Studie hat gezeigt, dass 90 Prozent der befragten Mütter sich ganz allein für die Organisation der Familientermine verantwortlich fühlen. Diese Verantwortung nennt sich „Mental Load“ – also geistige Last – weil die Mütter alles für alle mitdenken müssen. Also Dinge wie: Wann hat Onkel Hubert Geburtstag? Ist noch genug Waschmittel da? Braucht Klein-Laura neue Schuhe? 

Die französische Illustratorin Emma machte den Mental Load 2017 mit einem Comic zum Thema. Als sie bei befreundeten Eltern zu Gast war, kümmerte sich die Gastgeberin ums Kochen und die Kinder. Ein Topf kochte über und ihr Mann sagte: „Warum hast du mich nicht gefragt? Ich hätte dir geholfen.“ Statt sich zuständig zu fühlen und selbst mitzudenken, erwartete er Anweisungen.

Obendrauf fühlen sich Mütter auch für das emotionale Wohlbefinden ihrer Kinder verantwortlich. Sie schalten also im Kopf nie ab. All das kann auf Dauer zu Überlastung und Erschöpfung führen und krank machen.

Und die Väter?

Väter hingegen helfen in der Familie häufig nur aus. Wie in Emmas Comic. Sie arbeiten auch eher in Vollzeit als Mütter – und zwar laut Väterreport des Familienministeriums 92 Prozent.

Ein Viertel der befragten Väter meint, dass die Kinderbetreuung in der Familie gleichberechtigt aufgeteilt ist. Allerdings findet das nur jede zehnte Mutter. Auch das zeigt, wie unterschiedlich Männer und Frauen Sorgearbeit wahrnehmen. Zum Beispiel, weil Väter „wegen unzureichender Erfahrung nicht genau wissen, welche Familienarbeit insgesamt anfällt.“ Ja, genau das ist das mit dem Mental Load.

Außerdem heißt es in dem Bericht: „Beschäftigten Väter sich 1993 unter der Woche durchschnittlich 1,9 Stunden pro Tag mit ihren Kindern, waren es 2019 bereits 3,0 Stunden.“ Drei Stunden. An einem ganzen Tag.

All das ändert sich zwar hier und da, aber sehr langsam. Denn nur, weil Papa am Wochenende mit den Kids auf den Spielplatz geht und sich dafür feiern lässt, heißt das nicht, dass er auch Arzttermine und Schuhgrößen im Kopf hat. Gleichberechtigt Eltern sein? Das sieht irgendwie anders aus.

Kindererziehung ist also auch im Jahr 2021 noch ungleich aufgeteilt. Dafür gibt es viele Gründe. Dazu gehören äußere Umstände wie zum Beispiel finanzielle Anreize oder ungenügend Kinderbetreuungsplätze.

Das größte Problem bei gleichberechtigter Kindererziehung heißt aber Sozialisation – also, in welchem Umfeld Menschen aufwachsen und welche Werte und Rollen sie dabei verinnerlichen.

Nur, weil Papa am Wochenende mit den Kids auf den Spielplatz geht und sich dafür feiern lässt, heißt das nicht, dass er auch Arzttermine und Schuhgrößen im Kopf hat.

Schule gegen Sexismus

Gelernt ist gelernt – oder?

Kleine Mädchen orientieren sich an ihren Müttern. Sie lernen, dass Weiblichkeit mit Häuslichkeit verknüpft ist. Aber auch in Büchern und Filmen wird diese Verbindung vorgelebt. Wenn sie also ein Mädchen sind und sein wollen, dann verhalten sie sich so, wie ihr Umfeld es ihnen zeigt und von ihnen erwartet. Weibliche Identität ist im Patriarchat gleichbedeutend mit Kümmern und Selbstausbeutung.

Bei Jungs ist es das Gleiche, nur eben in die andere Richtung. Sie sind die Macher, die Oben-ohne-am-Grill-Steher. Kurz: Hausarbeit ist Frauenarbeit. Im Erwachsenenalter fallen in Beziehungen dann gern mal Sätze wie: „Er hat einfach ein anderes Sauberkeitsempfinden als ich.“ Nee, er fühlt sich nur nicht zuständig.

Das alles passiert unbewusst. Deshalb ist es so schwer für Menschen, sich von den verinnerlichten Geschlechterrollen zu lösen.

Wenn sie dann eine Familie gründen, kommen Unsicherheit und Ängste dazu. In so einer Situation verfallen Menschen leichter in vertraute Muster, die sich sicher anfühlen. Sprich: Sie tun instinktiv das, was sie kennen. Der weibliche Part kümmert sich, der männliche Part macht das mit dem Geld verdienen.

Gleiche Aufteilung gibt’s wirklich

Doch es geht auch anders. Aber wie kann man gleichberechtigt Eltern sein? Natürlich besteht jede Familie aus Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen. Deshalb gibt es keine einheitliche Lösung, die gleich gut für alle funktioniert.

Aber gleichberechtigte Kindererziehung heißt im Grunde: Zwei Eltern teilen die Kinder- und Familienaufgaben gerecht durch zwei. Beide wenden gleich viel Zeit und Energie dafür auf. Auch gedanklich.

Wie sie das im Alltag umsetzen, kann unterschiedlich aussehen. Sie müssen das immer wieder miteinander besprechen und ausprobieren.

Manche wechseln sich zum Beispiel wochenweise ab – eine Woche hat Papa alles (wirklich alles) im Blick, die nächste Woche Mama.

Andere legen bestimmte Wochentage fest: Montag, Mittwoch, Freitag sind Mama-Tage; Dienstag, Donnerstag und Samstag sind Papa-Tage; den Sonntag verbringen alle zusammen.

Und wieder andere teilen die Tage in zwei Hälften auf – Früh- und Spätschicht sozusagen.

Gleichberechtigte Kindererziehung heißt im Grunde: Zwei Eltern teilen die Kinder- und Familienaufgaben gerecht durch zwei. Beide wenden gleich viel Zeit und Energie dafür auf. Auch gedanklich.

Schule gegen Sexismus

Fest steht nur: In dieser Zeit ist eine Person allein für Haushalt und Familie verantwortlich. Die andere macht andere Dinge. Arbeiten zum Beispiel. So eine Aufteilung hilft unter anderem dabei, Verständnis füreinander zu entwickeln – anstatt frustriert mit den Augen zu rollen oder wütend aufeinander zu werden.

Wie finden Kinder das?

Laut eines anderen Berichts des Familienministeriums finden es übrigens auch Kinder gerecht, wenn Eltern die familiären Aufgaben gleich unter sich aufteilen. Und sie haben dadurch auch Vorbilder, die ihnen eben nicht die alten Rollen vorleben – sondern zeigen, dass es auch anders geht. Dann verfallen die Kinder später selbst nicht in veraltete Muster.

Also, Eltern müssen für sich selbst herausfinden, wie sie sich am besten im Alltag organisieren, wie sie ihre Kinder gleichberechtigt großziehen und wie die Bedürfnisse der gesamten Familie – auch die von Müttern – erfüllt werden können. Dazu müssen beide aufrichtig bereit sein. Sie müssen sich aufeinander verlassen können. Und sie müssen viel miteinander reden und sich gegenseitig zuhören. Am besten besprechen sie das schon, bevor sie Kinder bekommen.

Nur so können sie verhindern, dass irgendwann die 1950er Jahre anklopfen und ihr piefiges Rollenbild zurückhaben wollen. Und davon profitieren nicht nur die Mamas, die Papas und die Gesellschaft – sondern vor allem auch die Kinder.

Hier könnt ihr unser Video mit Collien Ulmen-Fernandes zum Thema „Gleichberechtigt Eltern sein“ sehen:

Ich möchte das lieber auf Vimeo sehen.

Weiterführende Links und Informationen:

Studie zur Verantwortung von Müttern: Invisible labor can negatively impact well-being in mothers: Study finds women who feel overly responsible for household management and parenting are less satisfied with their lives and partnerships

Comic von Emma zum Mental Load: You should’ve asked

Väterreport des Familienministeriums: Väterreport. Update 2021

Familienreport 2017: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/119524/f51728a14e3c91c3d8ea657bb01bbab0/familienreport-2017-data.pdf

Uns ist bewusst, dass wir in diesem Text vor allem eine heteronormative Sichtweise behandeln. Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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