GNTM: Diversity nur für Quote!

Mein letztes Mal GNTM ist über zehn Jahre her. Seitdem hat sich in der Welt viel verändert. Nur die Ausbeutung junger Frauen für Quote und Konsum im deutschen Fernsehen nicht.

Es war 2009, das Jahr mit Marie Nasemann. Eine Zeit, in der Instagram noch nicht erfunden war und das TV linear. Festes Programm, feste Uhrzeiten, feste Formate. Freund*innen verabredeten sich zum gemeinsamen Fernsehen. Ein Jour fixe im sozialen Kalender damals: Germany’s Next Topmodel. Weniger wegen der Sendung, mehr wegen des Cremants, aber nichtsdestotrotz. 

Zwischen Gesprächen und Werbepausen schauten wir bei inszenierten Zickenkriegen, Challenges und offenem Body Shaming zu. Es ging um Konkurrenz und ausgefahrene Krallen, Neid und nahezu unerreichbare Normen. Ja, das hielten wir traurigerweise für Unterhaltung. Die Folge mit dem größten Schauderfaktor, daran erinnere ich mich gut, war die mit dem Umstyling. Warum? Weil formatgemäß eine Kandidatin dazu genötigt wurde, sich die Haare abschneiden zu lassen. Die Botschaft war klar: Pass dich an oder du fliegst raus – wer schön sein will, muss spuren.

Dass uns damals nicht bewusst war, wie demütigend und unterdrückend das tatsächlich war – nicht nur für die Kandidatinnen, sondern alle weiblichen Personen – sagt einiges darüber aus, wie viel sich in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren zum Guten verändert hat. 2009, das war vor #Aufschrei, #MeToo und Body Neutrality. Diätdruck, Diskriminierung, Demütigung zu Showzwecken – das ist alles inzwischen selbst im Mainstream nicht mehr zeitgemäß. Zum Glück. Wir haben viel dazu gelernt.

Das allerdings gilt auch für den Kapitalismus. Die 16. Staffel GNTM soll inklusiver und diverser sein als je zuvor. „In diesem Jahr habe ich das veraltete Schönheitsideal komplett über den Haufen geworfen und allen Mädchen – ob groß oder klein, jung oder alt – die Chance gegeben, sich bei mir vorzustellen“, so ein Statement von Heidi Klum.

Hier geht es zum Instagram Statement

Wie das 2021 konkret aussieht? Hier ein paar Beispiele: Alysha wurde wegen ihrer roten Haare gemobbt. Ashley studiert Jura und will zur Uno. Ach ja, sie ist außerdem Schwarz und sagt: „Ich möchte … der lebendige Beweis dafür sein, dass ‚ein Kind mit Migrationshintergrund‘, mit Afro und den damit verbundenen Hindernissen ihr Ziel, Model zu sein, erreichen kann.“ Chanel hat „sehr starke Narben“. Franzi hat Tattoos und sagt über sich: „Ich bin eher so die Metal-Bitch.“ Larissa hat Kurven. Maria ist gehörlos. Mira hat raspelkurzes Haar und engagiert sich für Feminismus. Miriam ist 1,65 Meter groß. Samantha ist of color und steht auf Frauen. Vanessa will sich nicht labeln bei ihrer Sexualität.

Fein säuberlich sortierte Stereotypen aus dem Diversitäts-Katalog. Dazu schmissige Slogans wie: „Ich bin eine starke Frau.“;„Ich bin total happy mit meinen Kurven.“; „Ich bin anders und das ist gut so.“

Die 31 Kandidatinnen können natürlich nichts für das Konzept der Sendung. Oberflächliche Normen werden nicht hinterfragt, sondern zu Performance- und Verkaufszwecken bloß ein wenig erweitert. Schaut her, sogar Tätowierte, Schwarze, Lesben und Feministinnen dürfen als Models ins Fernsehen – obwohl sie Tätowierte, Schwarze, Lesben und Feministinnen sind. Hui!

Keine Frage: Darstellung und Abbildung von Menschen, die nicht dem typischen Model-Ideal entsprechen, kann auf Zuschauende ermächtigend und befreiend wirken. Und das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung. Die Repräsentation verschiedener Menschen ist wichtig.

Leider ändert das jedoch nichts daran, dass die Models in der Show nach ihrem Äußeren bewertet werden. Nur eben nach erweiterten Kriterien. Damit weitet sich auch der Beautydruck aus. Denn das Konzept von GNTM ist von Grund auf lookistisch – also basierend auf der Annahme, dass das Aussehen den Wert einer Person bestimmt. Erweiterte Schönheitsideale sind immer noch Ideale, sie sind immer noch ausschließend. Wie dick darf ein GNTM-Model sein, damit es diesem erweiterten Ideal entspricht – und wer darf das festlegen und wieso?Auch die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmenden dienen vor allem der GNTM-Einschaltquote. Diversität verkommt zum Marketing-Tool, zum Verkaufsargument. Der aktivische Anstrich bei GNTM ist rein oberflächlich. Es lässt sich schlicht Quote und Geld damit machen – eine Form von Femvertising. Das ist eine Werbestrategie, die wir alle von Dove kennen und die die Feministin, „Bitch Media“-Gründerin und Buchautorin Andi Zeisler so beschreibt: „Nach Jahrzehnten der Frauenbewegung war das der große Durchbruch in der Werbebranche: Wenn du es schaffst, dass Frauen sich nicht mehr wie Scheiße fühlen, kaufen sie eher deine Produkte.“

Was der Begriff Schönheit bedeutet, das hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert; Menschen außerhalb des Ideals von 2009 beanspruchen ihn selbstbewusst für sich. Doch nach wie vor stehen vor allem feminine Personen unter Druck, gesellschaftlichen Erwartungen an ihr Aussehen zu entsprechen, Zeit und Energie zu investieren, entsprechende Produkte zu kaufen. Und nicht aufzumucken. All das wird in GNTM gezielt auf die Spitze getrieben. Das kapitalistische Patriarchat spricht auch 2021 mit der Stimme von Heidi Klum. 

Ich bin übrigens nach der Staffel mit Marie Nasemann endgültig aus der Horror-Show ausgestiegen und werde garantiert nicht wieder einsteigen. GNTM ist nicht nur Zeitverschwendung, sondern unverändert misogyner Mist. Und Cremant trinken können wir alle auch alleine – schmeckt eh besser ohne Heidis Heuchelei.

Weiterführende Links:

GNTMs Mission Statement

Bitchmedia

Bild: Pinkstinks Germany e.V.


Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 110.000 Menschen teilen!