Hass, Gewalt und die Mitte der Gesellschaft

Jedes Mal wieder. Jedes verdammte Mal. Während die AfD für Angst, Gewalt und Terror die rhetorischen Messer wetzt, um Täternetzwerke zu munitionieren, spricht die sogenannte Mitte vom „Einzeltäter“ und von der roten Linie, die jetzt aber mal wirklich überschritten sei. So als würden nicht Politiker*innen bedroht und ermordet. Als gäbe es nicht seit Jahren und Jahrzehnten rassistische Gewalttaten. Als sähen sich nicht tagtäglich vor allem Frauen gezwungen wegen Morddrohungen öffentliche Räume zu verlassen. Hinterher will es niemand gewesen sein. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, die anderen sind ja auch voll gemein, wir wurden eben missverstanden.

Das dem zugrunde liegende Prinzip heißt stochastischer Terrorismus und wird von AfD und Konsorten seit Jahren benutzt.

Diese Art Terrorismus wirkt nicht, indem ein dezidierter Auftrag zur Liquidierung einzelner oder mehrerer Personen erteilt wird, sondern indem Menschen so lange beschimpft, beschmutzt und entwertet werden, bis irgendwann irgendetwas passiert. Man radikalisiert ganz allgemein, befeuert Verschwörungstheorien, Rassismus, Antisemitismus und Frauenhass und wartet ab, bis irgendjemand ausrastet. Das passiert regelmäßig. Hinterher reden sich die Verantwortlichen dann raus, weil sie ja nicht direkt gesagt hätten, dass Frauen an den Herd gehören und man Menschen mit Migrationshintergrund verbieten sollte, sich zu vermehren. Nein, sie reden von „Kopftuchmädchen, alimentierten Messermännern und anderen Taugenichtsen„, stellen kleine Anfragen zur „Nationalität gebährfähiger Frauen in Sachsen“ und zu den Vornamen von Gewalttätern, die ein Messer benutzen und warten, bis die Saat aufgeht. Da spielt es dann auch keine Rolle, wenn die meisten Täter von Messer-Delikten im Saarland Michael, Daniel und Andreas heißen. Etwas bleibt hängen, weil es immer wieder gesagt wird, überall und eben auch von Menschen, von denen man es nicht erwartet. Denn während die angebliche Mitte der Gesellschaft

nach Terroranschlägen, die sich bewusst gegen rassifizierte und als fremd eingestufte Menschen richten, noch davon spricht, dass dieser Anschlag „uns allen“ galt, hat sie schon längst die Denk- und Sprechweisen der Rechten Bedrohung übernommen, redet von „Flüchtlingswellen“ und „Fremdenfeindlichkeit“ und markieren immer „die Anderen“ in Abgrenzung zu dem „Eigenen“. Während in Deutschland und überall auf der Welt systematisch Gewalt gegen Frauen bis hin zu Femiziden ausgeübt wird, schreiben bürgerliche Zeitungen von „Sex-Tätern“ oder „Sex-Attacke“ und nennen Frauen „Petze“, wenn sie ihren gewalttätigen, waffenhortenden Mann bei der Polizei melden, um sich selbst und andere zu schützen.

Aber das hat ja Tradition in Deutschland und mit dieser so mittigen, ausgewogenen Tradition wollen weite Teile der CDU in die Zukunft gehen. 15% liegt Friedrich Merz in den Umfragen unter Unionsanhänger*innen vor seinem wichtigsten Kontrahenten Armin Laschet und damit an der Spitze. Der Mann, der sich trotz eines Millionenvermögens und Privatflugzeugs als Teil der Mittelschicht sieht und „Aufbruch und Erneuerung“ verspricht, hat Recht immer nur als weißes Hegemonialrecht gegen Minderheiten ausgelegt. Er hat sich immer wieder gegen die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben ausgesprochen,

gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt und sich erst kürzlich nicht entblödet zu behaupten, eine sinnvolle Strategie gegen Rechtsradikalismus sei die stärkere Thematisierung von Clankriminalität und schärfere Grenzkontrollen.

Was für eine Frage muss gesellschaftlich gestellt worden sein, auf die dieser Mann eine gute Antwort wäre?

Sicher nicht die nach sozialem Frieden, Gleichberechtigung, Schutz von Minderheiten, Antifaschismus und Diskriminierungsfreiheit. Es ist vielmehr die sehnsüchtige Frage danach, ob früher, als Merz zuletzt politisch aktiv war nicht alles viel besser war. Kurzer Spoiler: Nein! Baseballschlägerjahre, NSU, Pogrome in Rostock-Lichtenhagen; Diskriminierung und Marginalisierung waren noch weniger thematisiert als heute und eine #metoo-Debatte in weiter Ferne. Aber all das wird beiseite gewischt. Was hatten wir es doch damals schön. Und dieses wir schickt sich nun an, die Gegenwart zu misshandeln, um die Zukunft zu sabotieren. Die Zivilgesellschaft wird entmachtet – und zwar zu einem großen Teil ausgerechnet von denjenigen, die vorgeben ein Teil von ihr zu sein bzw. es sein sollten. NGOs, die sich seid Jahren gesellschaftlich für mehr soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz und wirtschaftliche Verantwortung einsetzen, wird die Gemeinnützigkeit entzogen. Währenddessen stuft der Verfassungsschutz in Österreich den Verein „Omas gegen Rechts“ als linksradikal ein und der von Hessen möchte die NSU Akten nicht freigeben. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck plädiert für eine erweiterte Toleranz gegenüber rechts – ungeachtet der Studien, die zeigen, dass die Wählerschaft der AfD mehrheitlich zu Verschwörungstheorien neigt und die Partei nicht etwa aus Protest trotz ihrer demokratiefeindlichen Haltung wählt, sondern ganz bewusst gerade deshalb. Für so etwas sollen Frauen wie der SPD Politikerin Sawsan Chebli, die tagtäglich mit Verbalgewalt und Drohungen gegen sich, ihre Familie und ihr ungeborenes Kind überschüttert wird, dann Verständnis haben. Und das soll auch Pinkstinks-Vorsitzende Stevie Schmiedel nicht weiter beunruhigen, die aktuell immer noch auf der öffentlich einsehbaren antisemitischen Neonazifeindesliste „Judas Watch“ steht, die einfach nicht aus dem Netz zu kriegen ist. Tut es aber. Denn wir reden hier nicht von einem randständigen Phänomen, sondern von der Mitte der Gesellschaft, die sich über die Hufeisentheorie austauscht, derzufolge die extreme Rechte von der extremen Linken quasi nicht zu unterscheiden ist, und der knapp zwei Wochen vor Hanau auf dem Cover des Spiegels Björn Höcke entgegenblickt.

Die Mitte beschwert sich also darüber, dass „der Flirt mit Höckes AfD die Berliner Republik vergiftet“, während sie genau durch diese Darstellungsweise mit Höckes AfD flirtet. So als wäre nicht klar, dass das aufhören muss.

https://twitter.com/MirnaFunk/status/1232655487348465664

So als hätte man sich zu diesem Themenfeld gar keine Alternative für eine Covergestaltung ausdenken können.

Dabei müsste doch klar sein, was nicht erst jetzt ansteht sondern längst überfällig ist:

Schutz von Minderheiten und Marginalisierten, Konsequenzen für die Täter, Bildungsprogramme gegen politische Einfalt und Diskriminierung, Antifaschismus, Antisexismus. Aber genau diese Dinge erklärt die selbsternannte Mitte der Gesellschaft gerade für verzichtbar. In Deutschland wird gegen Rechtsterrorismus zu wenig getan – auf allen Ebenen.

https://twitter.com/ebonyplusirony/status/1232686862092861443?s=19

Und diejenigen, die etwas tun wollen und könnten, werden damit beschäftigt gehalten, ihr Tun vor der Mitte der Gesellschaft zu rechtfertigen. So als wäre es keine Selbstverständlichkeit, sich gegen Faschismus, Hass und Gewalt zu engagieren. Es sind die Überlebenden, die zu Einigkeit aufrufen, während Deutschland, wie Mely Kiyak schreibt, noch nicht einmal dazu bereit ist, die Schwere und die Bedeutung der Tat anzuerkennen:
„In Paris bei Charlie Hebdo war das so (da lief die Kanzlerin in der ersten Reihe mit François Hollande und David Cameron), 3.7 Millionen Franzosen waren auf der Straße. In Neuseeland nach Christchurch, in Norwegen nach Utøya. Wirklich überall werden Trauerzeremonien national organisiert. In Deutschland wird für einen Tag Fasching abgesagt.“

Deutschlands extreme Rechte ist geeint in ihrem Antisemitismus, ihrem Rassismus und ihrem Frauenhass. Sie erfährt viel zu viel Unterstützung, Toleranz oder Ignoranz. Und zwar von einer gesellschaftspolitischen Mitte, die immer noch nicht wahrhaben will, dass Trauerbeflaggung und warme Worte für den Schutz von Frauen und Minderheiten nicht proaktiv genug sind. Es braucht mehr. Wir brauchen mehr. Demokratie muss wehrhaft sein, inklusiv und antirassistisch. Und wenn ihr uns fragt, selbstverständlich auch feministisch.

Gerade zum Weltfrauentag können wir das nicht laut genug sagen.

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