Helikopterrabenmütter

Seit 12 Jahren höre ich mir das mittlerweile an. „Du gehst das total falsch an, sei doch nicht so…, mach doch mal…“ Und seit 12 Jahren lese ich bewusst darüber. „Wie kannst du nur…, jetzt sei doch nicht so…, streng dich mal an… und hast du darüber schon mal nachgedacht?!“ Die Rede ist von Elternschaft. Und zwar nicht von meiner, sondern von der meiner Lebenskomplizin. Meine Vaterschaft pendelt sich irgendwo zwischen „Oooooh! Wie süss. Toll, dass ein Mann sich so reinhängt, ist ja keine Selbstverständlichkeit.“ und „Was ist denn das für ein Idiot!? Wo ist die Mutter! Kann ich mal die Chefin sprechen?“ ein. Zwischen Spitzenvater des Jahres (obwohl oder gerade weil ich nur meinen Teil beitrage) und Aushilfskraft, die zu doof ist, das Kind vernünftig anzuziehen.

Das mag vielleicht an der Wirklichkeit vorbeigehen, nicht sehr nett und irgendwie auch übergriffig sein, ist aber ausgesprochen überschaubar. Vor allem war es niemals feindselig oder bösartig. An mir wurde sich nicht abgearbeitet, mein väterliches Ego hat keine Dellen oder Schleifspuren, es wurde nicht auseinandergenommen.

Für die Mutter meiner Kinder, für ausnahmslos jede Mutter, die ich kenne, ist all das und noch viel mehr tagtägliche Realität.

In Kommentaren und Texten, auf dem Spielplatz oder im Internet. Die laut geäußerten Zweifel, das Nachbohren, das beiläufige Erkundigen danach, was frau denn mit den Kindern macht, wo sie doch soooo früh nach der Geburt wieder arbeiten geht. Oder wieso sie denn immer noch zu Hause ist, nach all den Jahren.

„Wann kommt denn das Zweite? Wie, schon das Dritte? Noch eins, habt ihr keinen Fernseher?!“
„Stillen oder nicht Stillen, wie lange überhaupt, wo eigentlich, häng deine Brüste nicht in meinen Ikea Teller und überhaupt: Du solltest viel häufiger raus mit dem Kind. Wenn schlechtes Wetter ist, gehst du halt zu Ikea.“

„Wie siehst du überhaupt aus. Lass dich nicht so gehen, tu mal was für dich, mach dich nicht verrückt. Sei nicht so faul. Entspann dich mal. Hattest du überhaupt schon wieder Sex? WAS, du hast Sex?!“

An der Absurdität der offensichtlichen Widersprüchlichkeit in diesen Forderungen, der abgefeimte Einseitigkeit, mit der von der einen so viel mehr verlangt wird als von dem anderen,

scheinen sich viele nicht zu stören. Stattdessen wird unverdrossen eine ausschließende Maximalforderung an die andere gereiht, sich über regretting motherhood gewundert und ganz zum Schluss, nachdem man mit jeder einzelnen Silbe die tatsächliche Mutter zum Verschwinden gebracht hat, indem man sie auf die irritierend uneindeutige Funktion Mutterschaft reduziert und fixiert, bekommt sie den besten Tipp von allen:

Is klar. In einer Gesellschaft, in der einfach nur Mutter sein offenbar nicht vorgesehen ist, soll frau sich ganz locker zwischen Rabenmutter und Helikoptermutter entscheiden.

Wir sind nur noch einen Schritt davon entfernt, eine eigene Sprache für die Anforderungen an Mütter zu finden, die mitten im Satz die Richtung wechselt.

Du solltest mindestens 1 Jahr stillen geht ja wohl überhaupt nicht.

Und dann noch das: Dann wundert man sich und höhnt darüber, dass Mütter ja anderen Müttern die ärgsten Feindinnen sind. So als wäre nicht klar, dass sozialer Druck, gegen den sich eine Gruppe nicht geschlossen zur Wehr setzen kann, dazu führt, dass die Gruppenmitglieder ihn gegeneinander ein- und umsetzen, damit sie irgendwie zurechtkommen. Eine als Rabenmutter verunglimpfte Frau, die sich über eine andere, als Helikoptermutter verschriene Frau, echauffiert oder lustig macht? Ja, ach nee! Was habt ihr denn gedacht?

Vielleicht – und ich weiß, es muss nach so vielen fundierten, sich nicht widersprechenden Ansprüchen und Vorwürfen albern klingen – vielleicht versuchen wir es zur Abwechslung mal mit Wertschätzung und Anerkennung. Oder glaubt wirklich irgendwer, dass Mütter zu viel Lob bekommen? Also nicht Mutterschaft als Konzept und Funktion, sondern die einzelne Mutter. Die, die das alles trotz dieser ganzen Scheiße irgendwie hinbekommt. Die Helikopterrabenwasweißichnochwasmutter. Womöglich könnten wir nicht bloß rotzfrech fordern, frau möge doch nicht so gestresst sein und dem Druck nicht nachgeben, sondern konkret etwas tun, um Stress und Druck abzubauen. Nur so als Idee.

Und nein, das bedeutet nicht, dass Mütter überhaupt nicht mehr kritisiert werden dürfen. Dafür finden sich wie bei allen Menschen sicher auch weiterhin Gründe genug. Es bedeutet, dass wir aufhören sollten, Frauen permanent für ihre Mutterschaft zu bestrafen.