»Was ist in Deutschland los? Deutsche wollen einen konservativen Kanzler?« Eine Nachricht von meinem Bruder aus Kalifornien, ganz plötzlich in meiner Instagram-Mailbox, nachdem er (noch vor der Bundestagswahl) auf X ein Zitat von Merz zur Abschottung Deutschlands gesehen hat. Ich entgegne: »Na ja, ihr habt gerade Trump gewählt … Was ist dann bei euch los?« Und so baden wir zusammen in unseren jeweiligen Miseren. Ich freue mich über den Kontakt, nicht über den Anlass. Er, quasi Einwanderer zweiter Generation in den USA, der sich selbst als ›very American‹ beschreibt, trotz seiner ghanaischen Eltern, ist momentan verunsichert. Ich, die denselben Vater hat, aber in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, bin es auch. Nach langem Hin und Her beendet er die Konversation mit »Das Pendel schwingt hin und her, gerade nicht in unsere Richtung, aber es schwingt.« Wir einigen uns darauf, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben und zuversichtlich bleiben müssen. Sein letzter Satz: »I hope you have good people around you.«
Februar ist Black History Month
Dr. Carter G. Woodson, ein afroamerikanischer Akademiker, initiierte ihn 1926 in den USA, um besonders auf Schwarze Geschichte und Erfolge aufmerksam zu machen. Seit 1996 wurde dieser Monat durch die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) auch hierzulande ein Begriff. Organisationen, Initiativen und Kulturinstitutionen bemühen sich, Programme zu gestalten, die einerseits Schwarze Geschichte sichtbar machen, andererseits aber auch selbstermächtigende Räume schaffen, in denen sich Menschen begegnen können. Und ich muss gestehen, ich bin sehr froh darüber, dass die verfrühten Bundestagswahlen auf den Februar fallen – genau in diesem besonderen Monat, der uns daran erinnert, dass Kämpfe wichtig sind, sich lohnen und bereits so viel positive Veränderung bewirkt haben.
Momentan fühlt sich die Welt da draußen alles andere als sicher an
Die apokalyptischen Vorhersagen für die Zukunft, das Gefühl, dass die Demokratie, die uns wie ein Netz aufgefangen hat – nicht perfekt, aber haltbar – gerade Risse bekommt. Grundsätze wie das Grundgesetz, internationales Recht und eine gewisse Ordnung in der Welt werden neu verhandelt oder umgangen. Diese Ordnung war schon immer von Unterdrückung geprägt, der Status quo ungemütlich und ungerecht. Aber jetzt fühlt es sich an, als würde man die Kämpfe kämpfen, während man auf einer sich drehenden Spielplatzdrehscheibe steht und versucht, sich aufrecht zu halten. Was hilft in so einer Zeit? Ich glaube, um zuversichtlich nach vorne zu schauen, lohnt es sich auch immer, einen Blick zurückzuwerfen. Und Black History als rahmende Instanz zu haben, lässt uns das Durchhaltevermögen, vor allem von Schwarzen Frauen, nicht aus dem Blick verlieren.
Community Care Work
Im Vorwort zu »Farbe bekennen«, einem der wichtigsten Bücher meiner eigenen Reise als Schwarze Frau in Deutschland, schreibt die afroamerikanische Dichterin Audre Lorde: »Erhebt euch und schweigt nicht mehr.« Das war 1986, da war ich fünf Jahre alt. Das Buch behandelt erstmals verschiedene Schwarze deutsche Erfahrungen in Essays und Gedichten. Zur gleichen Zeit etwa wurde ADEFRA e.V. gegründet, ein Verein für Schwarze Frauen, der die grundlegende Vorarbeit für alle weiteren Schwarzen deutschen Bemühungen leistete. Dass es so etwas wie eine organisierte Schwarze Gemeinschaft überhaupt gibt, haben wir letztlich Schwarzen Frauen zu verdanken. Der Kern dieser Aufgabe, eine Gemeinschaft zu initiieren, liegt darin, die vereinzelten und isolierten Erfahrungen sichtbar zu machen und dadurch Raum für Verbindung zu schaffen – und das schon lange bevor der Tod von George Floyd und die darauf folgende Welle gesellschaftlicher Reflexion (zumindest oberflächlich), die zu den gefühlten fünf Minuten großflächiger Sichtbarkeit für marginalisierte Realitäten führte. Dieses Gefühl, dass die eigene Realität gesehen wird, dass man sich nicht alles einbildet und über sich hinaus Teil einer gelebten Erfahrung ist, war auch damals schon unglaublich wertvoll und hat an Bedeutung nicht verloren. Als ich 2019 »Community Kids« gründete, eine Initiative für Schwarze Eltern und Kinder, aus meinem eigenen Bedürfnis nach Verbindung heraus, fiel mir bei jedem Treffen auf, dass immer eine Person dabei war, die den Raum dringend brauchte – viel dringender als ich selbst. Einmal sagte eine Mutter, dass sie weinen musste, als sie in den Raum trat. Der Anblick von Schwarzen Eltern und Kindern, ohne Druck, performen zu müssen, war für sie einfach überwältigend. Wir sind jetzt wieder an einem Punkt angekommen, an dem wir diese Räume rechtfertigen und verteidigen müssen. Und ich kann mit voller Überzeugung sagen, dass diese Räume noch nie wichtiger waren als heute. Der Blick zurück lehrt mich, dass es sich lohnt, für diese Räume zu kämpfen.
Backlash
»Das Pendel schwingt…«, sagte mein Bruder zu mir, und meinte damit, dass die politische Umgebung momentan nicht besonders wohlwollend ist – nicht wohlwollend für alle, die gesellschaftlich wenig Macht haben. Ansätze, für die lange gekämpft wurde, werden als »woke« verschrien und Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme (DIE) zurückgefahren. Wahlkämpfe werden auf der Basis von Angst vor dem Fremden geführt – und das leider unglaublich erfolgreich. Laut BKA sind rechtsextreme Straftaten auf einem Höchststand und das Spannende dabei ist, dass dies politisch kaum Reaktionen hervorruft. Emilia Roig, die Autorin von »Why We Matter« und »Lieben«, sagt öfter, dass sie glaubt, diese Zeit sei das Chaos vor einem fast paradiesischen Neubeginn – und ich hoffe, sie hat recht. Andere nennen es gerne das letzte Aufbäumen des Patriarchats, was natürlich auch schön wäre. Nur passiert dieses Aufbäumen mit einer Gewalt und Härte, das hätte ich vor ein paar Jahren so nicht vorausgesagt. Aber wenn das Pendel schwingt, dann schwingt es irgendwann auch wieder zurück. Und egal, was noch kommt, wir müssen bereit sein und dürfen uns von der Fülle an schlechten Nachrichten nicht lähmen lassen – denn während wir paralysiert sind, organisieren sich die anderen.
Verbindungen
»I hope you have good people around you«, sagte mein Bruder noch zu mir. Und ja, das habe ich wahrhaftig. Und dass dies wichtig ist, wurde mir in den letzten Wochen noch einmal mehr klar. Ich hörte eine Folge von »What Now? With Trevor Noah«, in der er Robert Putnam, Politikwissenschaftler und Autor von »Bowling Alone«, zu seinen Forschungsergebnissen befragt, die sich mit sozialen Verbindungen und deren Auswirkungen auf Demokratie beschäftigen. Für mich war das ein Moment, in dem viele der Impulse, die ich in letzter Zeit hatte, endlich Sinn ergaben. Laut Putnam, der seit 40 Jahren forscht, sind Gesellschaften, in denen Menschen zivilgesellschaftlich engagiert sind, oft besser aufgestellt. Orte, an denen Menschen sich engagieren – sei es in Vereinen, Nachbarschaftsclubs oder dem lokalen Kegelverein – sind meist sicherer, bieten bessere Dienstleistungen und haben weniger Arbeitslosigkeit. Trevor Noah und Putnam diskutieren, dass in den USA immer weniger Menschen sozial verbunden sind, weniger in Kirchen, Kegelvereinen und organisierten Gruppen, und dadurch immer mehr Menschen sozial isoliert sind. Bewegungen wie Trumps MAGA haben leichtes Spiel: Gib allen eine rote Mütze mit »Make America Great Again« und schon hast du Zugehörigkeit geschaffen. Eine Feststellung aus dem Gespräch, die besonders spannend war: Dass Schwarze Frauen grundsätzlich gut verbunden sind, schon immer sein mussten, um zu überleben. In den amerikanischen Wahlergebnissen zeigt sich das auch deutlich – sie haben am wenigsten für Trump gestimmt, während weiße Frauen in ihrer Wahlentscheidung weniger verlässlich waren. Soziale Verbindungen sind also der Schlüssel zu einer Gesellschaft, die für ALLE gut ist. Ich war schon immer gut verbunden, bei den Pfadfinderinnen, im Basketballverein und in vielen anderen Gruppen, die ich gar nicht zählen kann. Diese Gruppen haben auch immer bedeutet, dass ich moralische Verpflichtungen anderen gegenüber hatte. Ich spiele immer noch Basketball und auch wenn ich montags um 20 Uhr alles andere als Lust habe, mich in die Kälte zu begeben, tue ich es, weil ich mein Team nicht enttäuschen möchte – weil ein Körper mehr in der Halle manchmal den Unterschied zwischen einem guten Training und verschwendeter Zeit für alle ausmacht. Diese soziale Verpflichtung gegenüber anderen brachte mich dazu, sonntags den Bauspielplatz für Community Kids zu öffnen, auch wenn mir mehr nach Bett und Buch war. Dieses Gefühl, nicht nur für mich zu agieren, sondern andere auch mitzudenken, ist es doch, was Gruppenzugehörigkeit bedeutet. Dabei unterscheidet Putnam zwischen »Verbindungsgruppen« und »Brückengruppen«. Verbindungsgruppen sind Orte, an denen man sich mit Menschen trifft, die einem ähnlich sind, wie etwa meine Netzwerke für Schwarze Frauen. Diese sind enorm wichtig. Ich habe mal in einem dieser Netzwerke gefragt, was es für die anderen bedeutet. Was genannt wurde, war ganz unterschiedlich: Heilung, Vertrauen, einfach so sein dürfen, wie man ist, Inspiration, Verbindung, Überlebenshilfe, Wachstum. Brückengruppen wären dann Orte wie zum Beispiel Kirchengemeinden, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen – unterschiedlich im Sinne von Alter, Lebensrealität etc.. In meinem Fall wäre das mein Basketballteam, wir sind um die 20 Frauen zwischen 21 und 43 Jahren. Studierende, Akademiker*innen, Pflegekräfte und Erzieherinnen, Schwarz, weiß, deutsch, nicht deutsch – also wirklich sehr divers. Diese Gruppen sind wichtig, um Verständnis und Empathie für andere Lebensrealitäten zu entwickeln. Wir wissen also: Demokratien sind stärker und resilienter, wenn sich Menschen kennen, sich unterstützen und über sich als Individuum hinausdenken können. In Deutschland geht laut Teresa Bückers Buch »Alle Zeit« die Gesamtzahl der Stunden zurück, in denen sich Menschen ehrenamtlich engagieren. Mehr Leute geben an, ehrenamtlich aktiv zu sein, aber verbringen weniger Zeit in ihrem Engagement. Das hat vielfältige Gründe. Einer davon ist die Realität, dass Lohnarbeit plus Care-Arbeit und die dadurch entstehende Zeitungerechtigkeit dazu führen, dass Menschen immer weniger Ressourcen haben, die sie dem Ehrenamt widmen können. Dabei wäre es für unsere Demokratie notwendig, dass wir alle wieder mehr in analoge Verbindungen treten.
Demokratie ist niemals fertig
Diese sozialen Verbindungen, die das Rückgrat einer funktionierenden Gesellschaft bilden, die Reflektionen über den Black History Month, meine Gespräche mit meinem Bruder und Trevor Noahs Podcast haben mir gezeigt, dass der Kampf für eine bessere Zukunft nie aufhören darf. Es ist ein kollektiver Prozess – einer, der durch Verbindung und Verständnis gestützt wird. Während ich mich auf die kommende Zeit vorbereite, erinnere ich mich an das, was Black History uns lehrt: Der Kampf für Veränderung ist kein neuer und wir müssen uns weiterhin gegenseitig stärken, um Sicherheit und Hoffnung in der gegenwärtigen politischen Lage zu finden. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Aufgabe, die wir alle zu einer resilienten Zukunft beitragen müssen.
Meine Freundin und weltbeste Moderatorin Aisha Camara sagte dazu neulich: »Für mich ist Demokratie eine Utopie. Nicht, weil sie perfekt ist, sondern weil sie uns daran erinnert, dass wir nie fertig sind.« Also, egal wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen, wir sind nicht fertig. Wir müssen miteinander in Verbindung bleiben, damit wir weiter an einer besseren Welt für Alle arbeiten können. Und hoffentlich haben wir dabei alle gute Menschen um uns herum.
Disclaimer
Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.
Hoffnungsvoll verbündet
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