Ich und Wonder Woman

 

Ich sitze bei einer meiner vielen Kusinen in der Küche und erzähle ihr, ohne Luft zu holen, was im letzten Jahr alles passiert ist. Sie schenkt mir Tee nach und hört zu, wie nur Kusinen zuhören können. Einmal im Jahr fahre ich in West-England meine Großfamilie ab und tanke Familienliebe auf. Was heute kaum jemand in meinem erwachsenen Umfeld weiß, ist in dieser Familie wohl bekannt: Dass ich als Kind in Wonder Woman verliebt war. Wie verrückt. Wollte man mir eine Freude machen, brachte man mir das neueste Wonder Woman-Heft mit oder ließ mich die neueste Folge mit Lynda Carter auf BBC schauen, in der sie Bösewichte mit ihrem magischen Lasso bezwang oder auf ihren hochhackigen Stiefeln von Hochhäusern sprang.

 

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Ich sitze also an diesem Küchentisch als mich ein deutscher Radiosender anruft und um ein Statement zu der UN-Entscheidung bittet, Wonder Woman zur neuen UN-Botschafterin zu wählen. Noch jetzt fühlt sich die Nachricht wie eine Ohrfeige an. 50 UN-Mitarbeiter*innen empfanden dies ebenso und störten die „Ernennung“ letzte Woche mit Protesten, über 2000 unterschrieben noch am gleichen Tag eine von UN-Mitarbeiter*innen initiierte Petition gegen diese Wahl.

Sicher: Als Kind sprang ich in Cornwall von den Klippen und stellte mir vor, ich wäre Wonder Woman. Ich stellte mir jedoch gleichzeitig die coolen High Heels, die extrem schmale Taille und die große Oberweite vor, die ich einmal haben wollte. Ich wollte auch so Lady-like sein, wenn ich Helden besiegte, damit man mir lauten und energiegeladenen Mädchen ja nicht vorhalten könnte, ich sei „zu männlich“. Erst später im Leben verstand ich etwas von Schnitttechnik und dass Lynda / Wonder Woman mit diesen Stiefeln nie hätte weit rennen können und dass ihre Frisur nie gehalten hätte. Nicht ihre Kraft, sondern ihre Schönheit war ihr Appeal – ihre sexy Aufmachung, ihre Schlankheit, die roten Ohrringe und ihr Prinzessinnen-Tiara. Sie hatte alles, was von uns britisch sozialisierten 70er-Jahre Mädchen erwartet wurde: Sexiness und Eleganz gemischt mit einer andersweltlichen Macht, einfach alles zu können.

Liebe UN: Wir brauchen Wonder Woman nicht. Wir haben genug Frauenzeitschriften, die uns täglich sagen, was wir alles können müssen: Fit sein, stark sein, schlank sein, beruflich erfolgreich und elegant sein, und dazu unfassbar sexy. Diese Zeitschriften machen sehr viel Geld mit dieser Verunsicherung, genau wie die Marvel-Comics in den 1970ern mit Wonder Woman. Momentan ist die Berühmtheit etwas schleppend, aber 2017 soll ein neuer WW-Film in die Kinos kommen. Und die UN macht Werbung dafür? OMG. Danke an alle UN-Menschen, die dagegen Welle machen.

Lieben Gruß, eure Stevie