Ignoranz als Waffe

Menschen, die Kolumnen schreiben, müssen sich schnell eine Meinung bilden können. Insbesondere wenn sie politische Kolumnen schreiben. Sie müssen sich aufregen wollen, Dinge für falsch halten, Missstände benennen und sich verbal gerne mit Leuten anlegen. Insofern macht der Kolumnist Jan Fleischauer einiges richtig. Früher beim Spiegel, heute beim Focus tut er nämlich genau dies. Unter anderem wenn er darüber schreibt, dass die Gender Studies biologische Realitäten leugnen würden, man der Autorin J.K. Rowling fälschlicherweise Transfeindlichkeit vorwerfe und dieser neumodische Genderkram sowieso viel zu weltfremd und außerdem irrelevant sei. Da applaudieren manche, weil „endlich mal einer sagt wie es ist“ und andere werden sauer, weil sie „so viel Schwachsinn selten zuvor gelesen haben“. So gehört sich das für eine Kolumne. Eines aber sollten sie nie sein: Ignorant. Eine gute Kolumne will nicht nur Widerspruch und Zustimmung provozieren, sondern informierte Gegenrede, Austausch und Debatte. Ein Kolumnist oder eine Kolumnistin sollte auf die Frage: „Du musst doch irgendwelche eigenen Gedanken haben außer ‚Worum geht’s, ich bin dagegen!‘?“ mehr zu sagen haben als „Nee, das finde ich reicht.“

Andernfalls wird Ignoranz bewusst als Waffe eingesetzt, mit der ernsthafte Debatten verunmöglicht werden. Wenn bürgerlich-konservative Autor*innen also in beißendem Ton über die Schwachstellen feministischer Positionen herfallen, ist das durchaus angebracht. Das macht die Gegenseite ja auch. Im besten Fall gewinnen beide dadurch. Die Gegenpositionen hingegen auf die verschiedenste Art und Weise immer wieder nur als lächerlichen Schwachsinn zu bezeichnen, ohne sie wirklich zu kennen, vergiftet die Situation. Deshalb müssen wir über Ignoranz als bewusstes Mittel der Sabotage sprechen. Und über einen der wichtigsten Vertreter dieser „Kunst“: Jan Fleischhauer.

Jan Fleischhauer, so scheint es, wäre gerne ein Contrarian im angloamerikanischen Sinne. Also jemand wie der bekannte linke Intellektuelle Noam Chomsky oder der scharfzüngige Journalist und Autor Christopher Hitchens, die beide schon aus Prinzip gegen eine mehrheitlich vorgetragene Meinung argumentieren. Und mit Hitchens verbinden ihn tatsächlich einige Gemeinsamkeiten wie die berufliche Tätigkeit und der schrittweise Wechsel vom ursprünglich linken Lager in das libertär-konservative. Aber zum Contrarian reicht es dann eben doch nicht. „Worum geht’s, ich bin dagegen“ ist einfach nicht genug. Jan Fleischhauer fehlen sowohl das Wissen als auch das Interesse, um die Position eines Contrarian ausfüllen können. Er ist mehr so der Schattenboxer, dessen Bewegungen nach wenigen Augenblicken sehr nachlässig werden, weil er sein eigenes Antlitz im übergroßen Spiegel bemerkt. Während Chomsky, Hitchens und andere über die Hintergründe der Positionen ihrer Gegner*innen stets umfassend informiert sind, täuscht Fleischhauer Informiertheit nur vor. Hitchens beispielsweise, der eine brillante und bitterböse Kritik am Leben und Wirken von Mutter Teresa geschrieben hatte (die er obendrein auch noch „Die Missionarsstellung“ nannte), wurde vom Vatikan eingeladen, um im Prozess der Heiligsprechung von Mutter Teresa als Advocatus Diaboli gegen sie zu argumentieren. Nicht, weil er sie besonders publikumswirksam beschimpfen konnte (auch darin war er herausragend), sondern weil er über ihre Verstrickungen mit eher unerfreulichen Personen der Zeitgeschichte bestens Bescheid wusste.

Fleischhauer hingegen ist ein klassischer Strohmannargumentierer. Das bedeutet, er legt der von ihm ausgesuchten Gegenseite unterkomplexe und verzerrte Scheinargumente in den Mund, an denen er sich dann abarbeiten kann. Zuerst Sachen behaupten wie

„Die Frage, ob es mehr als Mann und Frau gibt, beschäftigt die akademische Öffentlichkeit schon seit Längerem. Der Theorie zufolge, die Einzug in die Seminarräume gehalten hat, ist Geschlecht nichts, was man vorfindet, so wie Gene oder Hormone, sondern Definitionssache und damit eine Frage der gesellschaftlichen Übereinkunft.“

um sie anschließend genüsslich an ihnen abzuarbeiten. Ein paar absichtliche und versehentliche Fehlbenennungen rund um Transidentität, die immer wieder gerne herbeizitierte Toilettenfrage, einmal Hoden sagen (Höhöhö!), fertig. Zumindest fast. Als besonderes Schmankerl wird den Gender Studies noch Rassismus vorgeworfen, weil sie sich in ihren weißen Zentren der Akademisierung „den meisten Menschen, die in Afrika leben“ überlegen glauben.
Das Stöckchen liegt wirklich so tief, das man entspannt drüberlaufen kann. Was man nicht alles dagegen auffahren könnte. Artikel hier, Essay hier, Studie da, Dokumentation dort. Immer wieder. Aber um Inhalte geht es ja gar nicht. Dagegen sein reicht. Und die immer gleichen Variationen von „Selber, selber, lachen alle Kälber.“ Hier in der „Eigentlich seid ihr die Rassisten!“ Form. Reden wir also lieber darüber, was Jan Fleischhauer nicht erwähnt, wenn er – durch Kenia und Tansania reisend – darüber schreibt, was er so vom Gendergedöns hält.
Er schreibt nicht darüber, dass LGBTIs in der sehr konservativen kenianischen Gesellschaft Stigmatisierung, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Nichts über den Kampf der Gay and Lesbian Coalition of Kenya gegen die gerichtliche Einschätzung ihrer sexuellen Identität als „Verbrechen an der Natur„. Nichts von Safehouses für intersex, transgender und nicht genderkonforme Menschen in Kenia oder von Organisationen wie Jinsiangu, die sich seit Jahren unter großen Gefahren für die Akzeptanz sexueller Vielfalt einsetzen. Fleischhauer interessiert sich weder für die Implikationen der Tatsache, dass die Kategorie Intersex vom nächsten kenianischen Zensus erfasst werden wird, noch für die Arbeit der transgender Ikone Letoya Johnstone.

Oder dafür, was die National Gender and Equality Commission in Nairobi so für Pläne hat. Spoiler: Unter anderem Gender Mainstreaming (Focus-Kolumnisten hassen diesen Trick).
Diese Ignoranz ist, wo wir ja beim Thema waren, nebenbei bemerkt auch rassistisch motiviert. Es sind nicht die Gender Studies, die „die Bewohner Afrikas für besonders rückständig“ halten. Es sind die Fleischhauers dieser Welt, die 1,2 Milliarden Menschen als homogene Gruppe beschreiben und ihnen absprechen, selber feststellen zu können, dass das binäre Geschlechtermodell unzureichend ist. Da macht es dann auch nichts mehr, wenn die Bildredaktion über den Text das Foto von griechischen Aktivist*innen klatscht, die vor dem Parlament gegen Gewalt und Patriarchat demonstrieren.

Ist ja eh egal. Kann alles ignoriert werden. Der Gestus des Kritikers reicht. Echte Kritik wäre einfach auch zu anstrengend.

Das alles erwähne ich hier nicht etwa, um Jan Fleischhauer zu belehren oder zu überzeugen. Das ist so überflüssig wie aussichtslos. Ich erwähne es, weil alle, die an einer gesellschaftlichen Debatte teilnehmen, wach und aufmerksam für diejenigen bleiben müssen, die Widerspruch nur absondern und nicht begründen. Die glauben, Bildungsfloskeln und spitz formulierte Einsprüche würden einen relevanten Debattenbeitrag darstellen, und unter dem Deckmantel „im Zweifel gegen Herdentrieb, Gemeinplätze und Denkschablonen“ anzuschreiben einfach nur ihrer intellektuellen Faulheit frönen. Uninformierte Inhaltlsleere ist eine Sache. Die passiert uns allen, schließlich ist die Welt eine komplizierte Angelegenheit. Bewusste Ignoranz als Waffe jedoch eine andere.
Dagegen sollte man Einspruch erheben. Und zwar begründeten.

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