“Ihr seid zu hübsch!” Die Härte der Social Media

Dass unser Video „Not Heidi’s Girl“ zum Start von GNTM letzte Woche knallen würde, hatten wir gehofft: Und wirklich teilte es sich rasend schnell im Netz (bis heute knapp 150.000 Views auf Facebook). Neben vielen Herzchen und Liebesbotschaften an Lara war „Löscht euch, ihr hässlichen Feminazis!“ einer der ersten Kommentare, der unter unserem Video auf Youtube hereinflatterte. Uns war schnell klar, dass wir die psychische Sicherheit der jugendlichen Mitwirkenden nicht garantieren konnten, wenn wir die Kommentarfunktion angeschaltet ließen. Mit zwei für Social-Media zuständigen Mitarbeiter*innen würden wir maximal Facebook unter Kontrolle halten, wo Kinder eh nicht reinlesen. Die Vorstellung, die jüngste Mitwirkende (11 Jahre) macht morgens vor der Schule ihr Youtube auf und wir haben nicht schnell genug „Maskus gelöscht“, wie wir das nennen, bereitete uns Übelkeit.

Wir seufzten, verzichteten schweren Herzens auf eine sehr viel höhere Reichweite und schrieben in die Infobox, dass man hier nicht kommentieren könne.

Auch mir wird regelmäßig geschrieben, dass ich hässlich und alt sei und nur deshalb „Feminismus mache“. Damit kann ich umgehen. Ich bin erwachsen, selbstbewusst und auch oft genug „normschön“ genannt worden. Aber 11-jährige Schülerinnen, auch, wenn wir sie über den Hass im Netz aufklären, haben noch nicht unsere Schutzschilder. Ein Kommentar wie „Bei deinem Aussehen…“ oder „Du würdest es nie zu GNTM schaffen!“ bestätigt nur die Komplexe, gegen die die meisten Mädchen eh schon kämpfen.

Dann wendeten wir uns Facebook zu. „Die Mädchen sind viel zu hübsch! Konntet ihr keine normalen Mädchen casten? Was fällt euch ein? Das ist diskriminierend!“ Neben unzähligen lieben Unterstützungskommentaren kam immer wieder dieser Angriff. Anfangs versuchten wir es noch im ruhigen Ton, nach zwei Tagen wurde ich teilweise richtig wütend. Deshalb hier geballt die Argumente, die ich auf Seitenweise Facebook hinterlassen habe:

NEIN, ES GAB KEIN CASTING.

Wir sind nicht auf die Suche nach den hübschesten Mädchen Hamburgs gegangen. Die Sängerin, Aliya Ilgin, hat „ihre Mädels“ zusammengetrommelt, die sich über zwei Schulen erstreckten. Wir haben am Drehtag nicht zu ihr gesagt: „Sorry, Aliya, die sind viel zu hübsch. Wir müssen euch alle noch ein paar Pickel anmalen, wäre das okay? Und wie – du hast keine Freundin im Rollstuhl? Können wir die noch irgendwo herbekommen?“

Alle Mädchen, die da waren, hatten Angst. Vor den Kommentaren im Netz, vor dem, was sie dort kennen: Vor Sprüchen wie „Ihr seid so hässlich, löscht euch!“. Davor, von ihren Mitschüler*innen gedisst zu werden, weil sie etwas gegen GNTM sagen. Als furchtbar uncool und hässlich dazustehen.

WIR HABEN GLOSS AUFGELEGT.

Wir haben den Mädchen, die alle ihre Unsicherheiten mit sich tragen, versprochen, dass Sie professionelles Haare-Make-Up-Styling bekommen. Die Visagistin Ruth Vahle Haruna hat acht Stunden am Set gestanden und die Mädchen gepudert, ihnen die Haare gelegt. Denn diese Mädchen sehen sich nicht als „hübsch“. Während wir vor ihnen stehen und denken, wie toll die sind, zeigen die auf ihre Augenbrauen, ihre für uns unsichtbaren Pickel, ihre Bauchfalten: „Da, das muss weg!“ Diese Kinder sind nicht aus dem luftleeren Raum, sondern echt. Sie sind mit Barbie, GNTM, Selfies und BRAVO Girl aufgewachsen. Dieses Video ist und bleibt im Netz, vielleicht, bis sie erwachsen sind. Und nein, wir sind nicht die, die sie überreden, dort mit fettigen Haaren zu sehen zu sein. Auch nicht mit dem fetten Pickel, der sie dann vielleicht immer noch ärgert. OMG, wir haben die tatsächlich übergeschminkt. Und trotzdem werden, im Gegenzug zu den älteren Feministinnen, die diese Kinder „zu hübsch“ finden, genug Kinder ihrer Altersgruppe kritisch schauen und sagen: „Tja, von denen könnte wohl tatsächlich keine zu Germany’s next Topmodel“. Und haben natürlich Recht: Selbst unsere „große“ Lara ist nämlich nur 1.60m lang und hat als Teenie genug daran geknabbert, nicht „perfekt“ zu sein.

WIR WOLLTEN KEIN VIDEO FÜR EUCH MACHEN!

Sondern eins für die Zielgruppe. Und die wollen kein Video, in dem auf Deutsch gesungen wird, wenn der Hashtag nun mal englisch ist. Die wollen ein cooles Video, was ihren Sehgewohnheiten entspricht und sie trotzdem stärkt. Die Mädels, die hier mitwirken, sehen nicht aus wie Taylor Swift oder Beyoncé. Für manche älteren Damen vielleicht, aber nicht für ihre Peers. Die sind kritisch, hart mit sich und anderen. Die bekommen normale Kids zu sehen, die etwas gestylt wurden: Mehr nicht. Mit etwas Make-Up und dem richtigen Licht sehen wir alle aus wie Stars. Und das war genau das, was die Darstellerinnen toll fanden: Stars zu sein, ohne 1.76m groß sein zu müssen, Größe 34 zu tragen und lupenreine Haut zu haben. Und dabei noch ihre Meinung rausschmettern zu dürfen.

Wenn ihr Kids kennt, die etwas mehr Volumen haben oder WAS IHR SONST SO ALS NICHT-NORMSCHÖN und so viel „normaler“ als diese Kids beschreibt, dann seid ihr absolut frei, euer eigenes Video zu machen. Hier könnt ihr den Song kostenlos downloaden und euren eigenen Film bauen. Wie stark muss aber ein Kind sein, sich gegen die Sendung zu wehren, die 93% der 16-jährigen regelmäßig schauen, von denen 63% Heidi Klum als Mutter haben möchten? (IZI 2015). Den Mädchen in unserem Video gebührt tonnenweise Respekt. Leider müssen einige von ihnen – wenn sie denn auf Facebook lesen – sich jetzt überlegen, wer von ihnen als „die einzige Mollige“ heraussticht, weil eifrige, sogenannte Feminist*innen sie alle genau nach Körpermaße sortiert haben. Auch, wenn die Kommentatorin nach meinem Wutausbruch „Aber ich finde die wunderhübsch!“ ergänzt hat. Das hilft den Mädchen absolut gar nicht, die gemeinsam gegen Heidi ansingen und nicht wieder auf ihr Aussehen reduziert werden wollten. Nicht umsonst haben sie diese Sticker entwickelt: Zum Beispiel „Don’t shame my sistas!“.

DAS SIND KEINE SEELENLOSEN STATIST*INNEN, SONDERN MENSCHEN.

Ich persönlich fühle eine große Verantwortung diesen Kindern gegenüber, nicht nur, weil wir einen harten Drehtag miteinander verbracht haben. Sondern weil sie sich im Namen von Pinkstinks gegen die beliebteste Sendung ihrer Generation ausgesprochen haben. Nie im Leben hätte ich ein Casting ausgeschrieben: „Dicke Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren gesucht, die sich von GNTM bedrängt fühlen und richtig harte Kommentare von ihrer Umwelt aushalten können.“ Wir haben jede ungünstige Szene rausgeschnitten und nur die genommen, in denen die Mädchen strahlen. Und ich würde mich echt wundern, wenn keine von euch das nicht ebenso gemacht hätte. Vielleicht wisst ihr es nicht: Das Netz da draußen ist hart.

Und trotzdem haben wir schon jetzt ganz vielen Mädchen Mut machen können, auch „Nein“ zu sagen, auszuschalten und GNTM doof finden zu dürfen: Gerade, weil die „coolen“ Mädchen im Film es ja auch tun. Wir haben tonnenweise lobenswerten Feedback von Sozialarbeiterinnen und Mädchen, die sich genau darüber freuen. Darum geht es, nicht um die Weltrevolution. Um die kleinen Schritte, mit denen sich alle gut fühlen und keine*r traumatisiert wird. Das kann nämlich auf Social Media sehr schnell passieren.

Lieben Gruß von eurer Stevie

Foto: Markus Abele für Pinkstinks