Eine Kolumne von Nils Pickert
Triggerwarnung: Der folgende Inhalt behandelt das Thema Schwangerschaftsabbrüche
53 Jahre ist es mittlerweile her, seit die Zeitschrift Stern mit der Titelgeschichte von 374 Frauen aufmachte, die sich zu Schwangerschaftsabbrüchen bekannten, die sie hatten vornehmen lassen. Am 06. Juni 1971 erschien diese Ausgabe, mit der Betroffene nicht nur zeigen wollten, dass sie in allen gesellschaftlichen Schichten existieren, sondern zugleich den Paragrafen 218 für überholt erklärten.
53 Jahre also. Mindestens so lange wird schon sehr nachdrücklich und öffentlich gefordert, dass Schwangerschaftsabbrüche aus der Illegalität gehoben werden müssen. Straffreiheit in manchen Fällen bedeutet nämlich nicht, dass Abtreibungen legal sind. Es bedeutet lediglich Folgendes:
Wir sehen wohl ein, dass es unter gewissen Umständen notwendig ist, dir die Möglichkeit einzuräumen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, bestehen aber darauf, dass es falsch ist. Hörst du, es ist FALSCH. Wir finden, du solltest das wissen. Was du da machst, ist illegal. Du verstößt damit gegen das Gesetz, auch wenn wir dich dafür nicht unbedingt bestrafen. Ja, du solltest dich in der Tat was schämen und ein schlechtes Gewissen haben.
Den Paragrafen selbst gibt es schon 100 Jahre länger. Das im Mai 1871 verkündete Reichsstrafgesetzbuch enthielt erstmals den Paragrafen 218. Allen Bemühungen zur Entkriminalisierung in der Weimarer Republik zum Trotz ist 218 immer noch da. Obwohl im Zuge der Wiedervereinigung die Möglichkeit bestanden hätte, die sehr viel liberalere eigenverantwortliche Fristenregelung der DDR für Gesamtdeutschland zu übernehmen, sind Schwangerschaftsabbrüche noch immer illegal. Auch 2024 noch. Nun hätte man seit dem Zustandekommen der Ampelkoalition am 6. Dezember 2021 annehmen können, dass damit endlich Schluss ist. Ganz knapp zum 150. unsäglichen Geburtstag des Paragrafen ließ sich im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grüne nachlesen:
»Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. (…). Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung.«
Außerdem wollte man eine Kommission einsetzen. »Zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen
Leihmutterschaft prüfen wird.« Die Kommission hat ihre Arbeit abgeschlossen, das Ergebnis ist eindeutig: Schwangerschaftsabbrüche sollen entkriminalisiert werden, eine generelle Rechtswidrigkeit ist nicht haltbar. Für Betroffene besteht ein klarer Unterschied zwischen Straffreiheit und Legalität. Was dann folgte, lässt sich mit dem Begriff arbeitsverweigernder Eiertanz ziemlich gut beschreiben. Der Kanzler möchte jetzt erstmal »ruhig und sensibel diskutieren«. Die zuständigen Minister*innen lassen wissen, dass es jetzt wichtig sei, »die Spaltung der Gesellschaft zu verhindern«. Eine Gesellschaft, die mittlerweile zu 84 % findet, dass Schwangerschaftsabbrüche in den meisten oder gar allen Fällen legal sein sollten. Selbst Menschen katholischen Glaubens sind mehrheitlich dafür, Abtreibungen in den ersten 12 Wochen zu legalisieren. Aber klar: Gesellschaftliche Spaltung verhindern, laberrhababer. Es ist, wie Antje Schrupp sagt: Wer hat uns verraten? Alle.
Ungewollt schwanger – was jetzt?
- In vielen Orten bieten unabhängige, nichtreligiöse Beratungsstellen kostenlose psychologische Gespräche an.
- Hier informieren über die Fristen, Möglichkeiten und staatlich anerkannte Beratungsstellen speziell für Schwangerschaftsabbrüche.
- Hier eine vertrauenswürdige, erfahrene und kompetente Praxis oder Klinik finden.
Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.
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Bildquelle: Pinkstinks Germany e.V.