Die Kämpferin für die Rechte von Müttern

Frauen haben im Laufe der Geschichte nur brav gestrickt und gestickt? Von wegen. Ein Beispiel ist das Leben der Autorin Caroline Norton. Ihr Mann war brutal, Scheidung im England des 19. Jahrhunderts nahezu unmöglich. Er entzog ihr die Kinder, nahm ihr alles weg – und war damit komplett im damaligen Recht. Doch Caroline wehrte sich, schrieb Pamphlete und änderte dabei tatsächlich die Gesetzeslage. Eine starke Frau, deren Geschichte zeigt: Es gab durchaus auch einflussreiche Heldinnen – sie finden nur kaum im Mainstream statt. Deshalb schreibt Pinkstinks-Autorin Jessica Wagener in ihrer Kolumne „Frauengeschichten“ über faszinierende Menschen mit erstaunlichen Storys.

Trigger Warnung: häusliche Gewalt, Fehlgeburt, Tod

Muttersein gehört zur Rolle der Frau, die Biologie hat das so vorgesehen, Mütter gehen in ihrer Aufgabe auf, sind die aufopferungsvollsten Alles-Hinkriegerinnen – so lautet der Mythos. Nur: Dafür, dass sie so idealisiert werden, werden sie von Politik und Gesellschaft erschütternd oft im Stich gelassen. So leiden nach einer Studie besonders Mütter unter den Belastungen der Corona-Pandemie.

Woher kommt diese gleichzeitige Überhöhung und Abwertung von Müttern? Die Geschichte der englischen Autorin Caroline Norton illustriert die Idealisierung und Rechtlosigkeit von Müttern ziemlich gut.

Das erste Mal bin ich Caroline Norton im Pollok House hier in Glasgow begegnet. Und zwar auf einem Gemälde aus dem Jahr 1877. Da war sie schon Lady Stirling Maxwell – eine elegante, erhabene Frau mit der Andeutung eines verschmitzten Lächelns. Dabei war ihr Leben trotz privilegierter Herkunft von Kampf und Kummer geprägt. Sie hat ihr Leid und ihre Wut kanalisiert und daraus Kraft geschöpft – um mitten im Patriarchat des 19. Jahrhunderts für die Rechte von verheirateten Frauen und Müttern zu kämpfen.

Caroline wurde 1808 in eine bekannte Londoner Familie geboren. Ihr Vater starb 1817 und hinterließ Caroline, ihre zwei Schwestern und ihre Mutter ohne Geld. Deshalb sollten die Töchter möglichst schnell und möglichst vorteilhaft heiraten. Und so wurde Caroline 1827 im Alter von 19 mit dem Anwalt und Politiker George Norton verheiratet. Doch die Ehe war eine Katastrophe. Die beiden waren gegensätzliche Charaktere. Und George war eifersüchtig, gewalttätig, brutal. 

Zwei Monate nach der Hochzeit trat er sie nach einer Meinungsverschiedenheit in die Seite: „Ich hatte mehrere Tage große Schmerzen“, schrieb sie 1854 rückblickend in einem ihrer Pamphlete. Ein anderes Mal attackierte George seine Frau im Schlafzimmer: „Mein Mann sprang plötzlich vom Bett auf, packte mich im Nacken und schleuderte mich zu Boden. Das Geräusch meines Sturzes weckte meine Schwester und meinen Schwager, die unter uns schliefen  … Mein Schwager brach die Tür auf und trug mich die Treppe hinunter. Ich hatte danach noch tagelang eine Schwellung am Kopf.“ Carolines Leben war geprägt von häuslicher Gewalt.

Trotz allem hatte das Paar drei Söhne: Fletcher, Brinsley und William. Im Sommer 1835, nach einem heftigen Streit, verließ Caroline ihren Mann. Kurz darauf willigte sie jedoch ein, zu ihm zurückzukehren. Aber George schlug und misshandelte sie weiter. Dann, im August 1835, erlitt Caroline eine Fehlgeburt. Die Ehe war am Ende und sie verließ ihn endgültig.

Aus Rache entzog George ihr die Söhne. Caroline spürte ihre Kinder auf, durfte aber keinen Kontakt haben. Wie schlimm das für sie war, beschreibt sie selbst mit eindringlichen Worten: „Als ich sie fand, weigerte er sich, mich sie auch nur sehen zu lassen, und rief die Polizei! Ich konnte ihre kleinen Füße hören, wie sie fröhlich über meinem Kopf herumliefen, während ich schluchzend unten saß – nur die Decke zwischen uns … Ich ging fort, ohne sie auch nur küssen und Lebewohl sagen zu können – wenn sie mir meine Jungs vorenthalten, werde ich verrückt.“

Doch damit war George Norton komplett im Recht. Ehefrauen existierten damals vor dem englischen Gesetz nicht als juristische Person; sie galten als Eigentum ihres Mannes. Diese männliche Herrschaft erstreckte sich auf Kinder und alles, was Ehefrauen besaßen oder verdienten. George nahm ihr nicht nur die Kinder, er zahlte ihr auch keinen Unterhalt und beanspruchte darüber hinaus ihre Einnahmen als Autorin.

Scheidung war im England Mitte des 19. Jahrhunderts extrem kompliziert und teuer. Und oft auch nur möglich nach einer gerichtlichen Feststellung, dass eine Partei Ehebruch begangen hatte. Die Untreue einer Frau wurde dabei viel härter beurteilt als die eines Mannes. „Das war in England, Frankreich und in den Staaten, die dem napoleonischen Codex unterstanden, im Gesetz verankert“, schreibt die Historikerin Lynn Abrams in ihrem Buch The Making of Modern Woman und erklärt auch, warum: „Der Ehebruch einer Frau wurde als größere Bedrohung für die Ehe angesehen, da es zu einer Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes mit ungewisser Vaterschaft kommen konnte.“

George beschuldigte Caroline, ein Verhältnis mit einem Freund der Familie – dem Premierminister Lord Melbourne – zu haben und brachte die Sache vor Gericht. Obwohl die Anschuldigungen nicht bestätigt wurden, erschütterte der Skandal das ganze Land einschließlich der Regierung und beschädigte Carolines Ruf.

Aber weshalb konnten Ehemänner und Väter damals – in Carolines Worten – „alles tun, was ihnen beliebt“ und wieso galten Frauen und Mütter einerseits so viel und andererseits so wenig? Hier ein verkürzter Erklärungsansatz: 

Ab Ende des 18. Jahrhunderts kam es im Zuge der Aufklärungsbewegung zu politischen Reformen und demokratischen Revolutionen in Europa und kolonisierten Gebieten. Aus Untertanen wurden Bürger, Menschenrechte wurden diskutiert: Für wen sollten sie gelten, wer sollte mitentscheiden dürfen? Immer mehr nicht-adlige Männer bekamen das Wahlrecht; Frauen blieben hingegen von Bürgerrechten ausgeschlossen. „Die Männer, vor allem die des neuen Bürgertums, machten Fortschritte auf Kosten der Frauen“, schreibt Abrams.

Das musste irgendwie gerechtfertigt werden, also wurden Frauen zunehmend als weniger rational, dafür aber als sensibler und fürsorglicher dargestellt. Sie wurden mit Gefühl statt Vernunft assoziiert – eben von Natur aus nicht für die Macht gemacht. Klingt erstaunlich aktuell, oder?

Gleichzeitig nahm ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Industrialisierung Fahrt auf und brachte enorme soziale und wirtschaftliche Veränderungen mit sich.

Anstelle häuslicher Produktion traten kapitalistische Großlandwirtschaft und Fabrikarbeit. Das veränderte laut Lynn Abrams auch die Beziehungen innerhalb des Haushalts. Arbeit wurde durch neue Technologien stärker in Männer- und Frauenarbeit aufgeteilt; dabei war Facharbeit oft männlich und Frauenarbeit ungelernt und weniger wert. Zwischen den Geschlechtern entwickelten sich beim Thema Lohnarbeit aber nicht nur Hierarchien, sondern auch Konkurrenzkämpfe. Durch Arbeit in Fabriken wurden für viele Menschen auch erstmals das Zuhause und der Arbeitsort voneinander getrennt. „Vor allem Männer verließen zunehmend das Haus, um zu arbeiten“, schreibt Abrams. Parallel dazu wuchs eine Mittelschicht, die mit einem Einkommen auskam – Ehefrauen blieben daheim. Daraus entwickelte sich die Ideologie der getrennten Sphären, nach der die Gesellschaft in zwei Bereiche aufgeteilt war: Den öffentlichen der Politik und Wirtschaft – das Reich der Männer – und den privaten des Hauses – das Reich der Frauen. 

All das führte dazu, dass aus Männern typischerweise Ernährer und aus Frauen vor allem Hausfrauen und Mütter wurden. 

Zwar war diese Aufteilung schon damals nicht total neu und könnte auf fast jedes Jahrhundert angewendet werden; laut Historikerin Amanda Vickery haben „Institutionen immer zwischen Männern und Frauen unterschieden, wenn es um Macht ging“. Und eine gesellschaftliche Rollenvorstellung bedeutet auch noch lange nicht, dass alle tatsächlich genau so gelebt haben. Trotzdem war das Konzept der getrennten Welten der vorherrschende Geschlechtercode des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Und sorgte für eine Neudefinition des Mutterseins.

Damals wurde Mutterschaft, so schreibt Abrams in einem Artikel über Ideale der Weiblichkeit im viktorianischen Großbritannien, „als Höhepunkt der emotionalen und spirituellen Erfüllung einer Frau idealisiert.“ Dieses Ideal verlangte von Frauen, ständig für ihre Kinder da zu sein, ihren moralischen Charakter zu prägen, gute Bürger*innen heranzuziehen, verantwortungsvoll und respektabel zu sein. Und dieser extreme Erwartungsdruck war nicht mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes vereinbar. Oder wie Vickery erklärt: „Es war nicht die Ideologie der Häuslichkeit, es war oft die Mutterschaft, die Frauen im Haus hielt und ihre Freiheit einschränkte.“ Mutter sein, damit zufrieden sein und sonst bitte nichts

Zusammengefasst: Frauen wurden mit dem Argument, sie wären zu empfindlich und irrational von politischer Teilhabe und Bürgerrechten ausgeschlossen. Sie wurden vom Arbeitsmarkt verdrängt und ihre Arbeit marginalisiert; sie durften nicht studieren und viele Berufe nicht ergreifen – dadurch waren sie finanziell abhängig. Sie wurden von Macht und Geld ferngehalten. Und Mutterschaft wurde derart überhöht und idealisiert, um das zu rechtfertigen und ihnen eine erfüllende Beschäftigung zu geben, quasi als Ersatz für Wirkungsmacht und Mitsprache. 

Es passt in diese Logik, dass Ehefrauen wie Caroline Norton vor dem Gesetz als Eigentum ihres Mannes galten. Allerdings weigerte sich Caroline, das zu akzeptieren. Als Autorin kämpfte sie öffentlich für die Rechte von Ehefrauen und Müttern, vor allem für Umgangs- und Sorgerecht und das Recht auf Einkommen und Eigentum. 

Caroline schrieb, druckte und verteilte Pamphlete, lobbyierte, nutzte ihr Netzwerk. Mit Erfolg: 1839 wurde ein neues Gesetz zum Sorgerecht erlassen, das Müttern besseren Zugang zu ihren Kindern gewährte. Allerdings galt das nur in England und Wales. George hatte ihre Söhne nach Schottland gebracht, wo ihr jüngster Sohn William 1842 einen Reitunfall hatte, an dessen Folgen er starb. Dafür machte Caroline den Vater verantwortlich: „Mr. Norton ließ dieses Kind eine Woche lang krank liegen, bevor er mir mitteilte, dass es im Sterben lag; und als ich ankam, fand ich das arme kleine Geschöpf im Sarg.“

Caroline kämpfte weiter. Unter anderem schrieb sie 1855 in einem offenen Brief an Königin Victoria: „Mein Elend reicht bis in die Zeit der Thronbesteigung Eurer Majestät zurück. Die Jahre, die Sie als glückliche Gattin und Mutter verbracht haben, habe ich in einem ständigen Kampf für Gerechtigkeit verbracht.“

1857 wurde auf Carolines Initiative hin das Scheidungsrecht liberalisiert und damit die Ehe vom heiligen Sakrament zum auflösbaren Vertrag. Die Sache mit dem Recht am Eigentum dauerte noch bis 1870. Doch wichtige Schritte für die rechtliche Besserstellung von Ehefrauen und Müttern waren getan. 

Auch Caroline Norton berief sich in einem ihrer Pamphlete übrigens auf die mütterliche Natur: „Gott hat den Mutterinstinkt zur Erhaltung des Lebens als den stärksten aller natürlichen Instinkte geschaffen. Er bringt das zahmste Tier zur Raserei; und er ist im menschlichen Herzen nicht weniger stark ausgeprägt.“ 

Eine Scheidung gab es für Caroline nicht. Erst nach dem Tod von George Norton 1875 heiratete sie im März 1877 Sir William Stirling Maxwell, einen langjährigen Freund und Unterstützer. Nur wenige Monate nach der Hochzeit starb sie im Alter von 69 Jahren. Und Sir Williams Familiensitz ist in Schottland, genauer gesagt hier in Glasgow. Darum hängt Carolines Portrait im Pollok Haus. 

Ihre bewegende Geschichte zeigt, dass Frauen und Mütter um jedes ihrer Rechte hart kämpfen mussten. Und dass die Idealisierung von Mutterschaft fest im Patriarchat verankert war und ist: Die überzogene Erwartungshaltung und gleichzeitige Abwertung von Sorgearbeit sind kein Widerspruch, sondern bedingen sich. So kann das Patriarchat seine Machterhaltung sichern. All das heißt beileibe nicht, dass Elternschaft nicht auch zutiefst erfüllend und schön sein kann. Aber eben nicht automatisch die ganze Zeit. Nicht gleichermaßen für alle Menschen. Und schon gar nicht nur für Cis-Frauen. Denn Elternschaft ist vielfältig.

BIBLIOGRAFIE

Abrams, Lynn. The Making of Modern Woman: Europe 1789-1918 (London: Routledge, 2002)

Davidoff, Leonore & Hall, Catherine. Family Fortunes: Men and Women of the English Middle Class, 1780-1850. Third ed. (London: Routledge, 2019)

Gordon, Eleanor and Nair, Gwyneth. Public lives: women, Family and Society in Victorian Britain (London: Yale University Press, 2003)

Lewis, Jane. ‚Women and Society: Continuity and Change since 1870‘, ReFresh, 1 (1985), p. 1-4.

Rendall, Jane. Women in an Industrializing Society: England 1750-1880 (Oxford: Basil Blackwell, 1990)

Offen, Karen M. European Feminisms, 1700-1950: A Political History (Stanford: Stanford University Press, 2000)

Steinbach, Susie. „Can We Still Use ‚Separate Spheres‘? British History 25 Years After Family Fortunes: Can we Still use ‚Separate Spheres‘?“ History Compass 10, no. 11 (2012), p. 826-837. 

Vickery, Amanda. ‚Golden age to separate spheres? A review of the categories and chronology of English women’s history‘. In Women’s Work: the English Experience 1650-1914, edited by Pamela Sharpe, pp. 297-320. (London: Arnold, 1998)

Bild: Unsplash

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 120.000 Menschen teilen!