„Mein Kind wird sich ja wohl noch als Indianer verkleiden dürfen! Oder als Wilde aus dem Busch! Wollen die einem jetzt alles verbieten, oder was!?“
Kitakinder kommen selten von selbst auf die Idee, sich als Cowboy, „Freitag“ (der „Gehilfe“ von Robinson Crusoe, gerne mit Knochen im Haar) oder Kreuzritter zu verkleiden. Denn – hallo? – welchem 3-jährigen Kind wird Karl May vorgelesen? Winnetou I bis III ist auch nicht mehr oft im Fernsehen. Öfter, und das ist erst mal überhaupt nicht verwerflich, überlegen sich die Eltern der Kids, was es dieses Jahr als Kostüm geben könnte. Ich weiß noch, mit welcher Hingabe mich meine Mutter als „Zigeunerin“ schminkte und wie ich es genoss, von ihr betüdelt zu werden. Ich rieche noch heute das dunkle Make-Up und den Geruch von heißen Lockenwicklern, die meine aalglatten Haare etwas „exotischer“ gestalten sollten. Ich fühlte mich wild, anders, magisch. Auch, wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, dass wir „Zigeuner“ (etymologisch: „ziehende Gauner“) einige Jahrzehnte später nicht mehr sagen würden, sondern heute korrekt die Ethnien „Roma und Sinti“ benennen. Auch und gerade, weil mit mir niemand über ihre jahrhundertelange Verfolgung, Diskriminierung und Tötungen unter den Nazis gesprochen hatte. Mit meiner Mutter übrigens auch nicht, die ihren Hauptschulabschluss in den 1950er Jahren in England gemacht hatte. Alles, was ich wusste, war, dass ich eine begehrenswerte Prinzessin einer anderen Kultur war und aus Zauberkugeln lesen konnte. Wie toll war das denn? Mein Faschingstag im Kindergarten war dementsprechend traumhaft, ich fühlte mich hinter meinem Gesichtsschleier geheimnisvoll und royal.
Meine Mutter hat sicherlich – wie so viele Eltern, die für ihre Kinder die Kostüme besorgen oder nähen – viel Freude daran gehabt, dieses Glück an mir zu sehen. Vielleicht war sie selbst einmal als „Haremsprinzessin“ (leider auch heute noch eine beliebte Verkleidung) zum „Fancy Dress Day“ gegangen. Genau wie wir unseren Kindern Geschichten vorlesen, die uns an unsere Kindheit erinnern: Weil sie Zeiten aufleben lassen, in denen wir uns geborgen und wohl fühlten. Das wollen wir für unsere Kinder, und für uns die Nostalgie.
Umfragen und Reportagen der letzten Wochen zeigen, dass Kitas es sehr unterschiedlich halten, wie Karneval gefeiert wird. Die einen lassen es jetzt ganz ausfallen (die Kinder wird das wahrscheinlich am wenigsten stören und viele Eltern seufzen erleichtert auf), andere machen Motto-Faschingsfeiern, damit nicht auf rassistische oder sexistische Klischees zurückgegriffen werden kann. Aber ehrlich gesagt: Das gekaufte oder geliehene Kostüm ist manch einem Elternteil sicherlich lieber als nach der Arbeit noch ein „Astronauten-Tierkostüm“ zu basteln. Gibt es also einen besseren Weg, die Fettnäpfchen zu umgehen und trotzdem entspannt Verkleidungstag zu feiern?
Aber natürlich: Indem man mit den Kindern und den Eltern über Diskriminierungen spricht. Denn auch, wenn Überschriften wie „Jetzt wollen die alles verbieten!“ immer wieder Schlagzeilen machen, gibt es in der Mehrzahl Kitas, in denen man sich einig ist und Wege findet zu vermitteln, welche Verkleidungen 2020 nicht mehr sein müssen. Und sich Zeit nimmt, herauszufinden, was die Kinder eigentlich wollen.
Hätte man mich damals gefragt: Ich wollte von meiner Mama verwöhnt werden, gestriegelt, geschminkt, mit ihr viel Zeit verbringen, in der auch sie aufgeregt und fröhlich ist und mich unendlich toll findet in meinem Kostüm. Ich wollte etwas können (zaubern!), das ich sonst nicht kann. Ich habe das rassistische Klischee genommen, weil es mir angeboten wurde – ich hätte all das aber auch als schillernder Glücksdrache haben können. Es kommt darauf an, was uns als erstrebenswert präsentiert wird.
Wenn ich meiner Tochter zugehört hätte, was sie eigentlich am Faschingstag – also dem Tag, in dem man aus seiner Haut schlüpfen darf – sein möchte, hätte ich vor zehn Jahren nicht den größten Faux-Pas unserer Verkleidungsgeschichte begangen. Da Star Wars – Sammelkarten hoch im Kurs waren, obwohl kaum ein Kitakind die Filme gesehen hatte, freute ich mich über meine zeitsparende, schlaue Faschingsidee: Judo-Kostüm, Schminke, Laserschwert von nebenan und fertig ist der Yedi-Ritter. „Das krieg ich hin“, dachte ich. Als meine Kleine unfassbar süß als kunstvoll geschminkte Meisterin Yoda vor mir stand, machte sie das gruseligste Gesicht aller Zeiten und schrie:
„Woooooaaar! Heute bin ich mal den ganzen Tag so richtig böse!“
Oh, war sie sauer als sie verstand, dass ich sie als Universums-rettenden, buddhistisch anmutenden Guru eines fiktiven Weltraum-Volkes verkleidet hatte. Vorher fragen und hinhören lohnt sich tatsächlich! Denn Klischees machen nur die glücklich, die sie im Kopf haben.
Alaaf, Helau und ganz viel Spaß!
Eure Stevie
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