Das muss man sich mal vorstellen: Es ist 2021 und eine Frau versucht, sich im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) der Stadt Dernbach einen Termin für den Wechsel ihrer Spirale zu organisieren. Am Telefon wird sie freundlich darauf hingewiesen, dass das MVZ des Herz-Jesu-Krankenhauses diese Leistung seit einem Jahr nicht mehr anbiete, weil man „ein katholisches Haus“ sei. Der Frau wird eine gynäkologische Einrichtung in der Nähe empfohlen.
Gegenüber der Lokalzeitung erklärt ein Pressesprecher der Katharina-Kaspar-Gruppe, die diese und viele andere Einrichtungen zur Krankenversorgung mit etwa 6300 Mitarbeitenden betreibt, die Problematik wie folgt: „Das Intrauterinpessar (IUP), auch bekannt als Spirale, wird zur Empfängnisverhütung eingesetzt. Es führt aber in seltenen Fällen zu einer Abtreibung.“ Gemeint ist damit, dass es trotz der Anwendung einer Spirale in wenigen Fällen zur Befruchtung einer Eizelle kommen kann, die von eben dieser Spirale am Einnisten in der Gebärmutter gehindert wird. Nach den ethischen Maßstäben, die man sich im Herz-Jesu-Krankenhaus vor einem Jahr gegeben hat, entspricht das einer Abtreibung – und die nimmt die katholische Kirche nicht vor.
Nun könnte man argumentieren, dass eigentlich kein Problem vorliegt: Die katholische Kirche ist eben nun einmal die katholische Kirche und wie die zum Thema Verhütung und Schwangerschaftsabbruch steht, sollte bekannt sein. Außerdem hat man seitens des MVZ die Betroffene sowohl dahingehend beraten, wo sie den Eingriff vornehmen lassen kann, als auch angeboten, die Nachsorgeuntersuchungen zu unternehmen. Tatsächlich ist alles daran problematisch.
Die Position der katholischen Kirche ist diesbezüglich zumindest aufseiten der medizinischen Einrichtungen gar nicht so eindeutig. Immerhin war das Krankenhaus auch schon vor einem Jahr katholisch und im Nachbarort gibt es laut Kommentar der Lokalzeitung eine katholische Klinik, die genau diese medizinische Leistung anbietet. Plausibler als dieses „Argument“ scheint der Umstand zu sein, dass zum 01.01.2020 eine Übernahme der Dernbacher Gruppe Katharina Kasper durch den Orden der Alexianer stattgefunden hat. Zuvor befand sich die Gruppe im Besitz der Armen Dienstmägde Jesu Christi. So ein Wechsel innerhalb der katholischen Kirche kann offenbar auch eine ethische Neuausrichtung zur Folge haben – zu einem Thema, bei dem es angeblich keinen Verhandlungsspielraum gibt.
Darüber hinaus ist die Weiterempfehlung zu einer gynäkologischen Praxis und das Angebot, die medizinische Nachsorge zu übernehmen nicht etwa großzügig, sondern mindestens fragwürdig. Hier wird nicht nur Verantwortung abgeschoben, sondern auch noch vollkommen inkonsequent gehandelt. Das wäre in etwa so, als wäre jemand nicht bereit, beim Anlegen eines Kondoms zu unterstützen, hätte aber kein Problem damit, im Anschluss den korrekten Sitz zu überprüfen.
Das Hauptproblem aber ist die Verquickung des Staates mit dieser Kirche. Die katholische Kirche ist nicht irgendein Kaninchenzüchterverein, sondern eine milliardenschwere Glaubensinstitution, das auch als Unternehmen und in Gestalt des Vatikans als Staat auftritt. Deutschland treibt für diese Kirche nicht nur die Mitgliedsbeiträge (allein im Jahr 2019 waren es für die katholische Kirche 6,76 Milliarden Euro), sondern alimentiert sie darüber hinaus auch noch großzügig und zahlt seit 200 Jahren Reparationszahlungen für Gebietsabtritte im Zuge der geografischen Neuordnung Zentraleuropas während und nach den napoleonischen Kriegen.
Die Summe beläuft sich jährlich mittlerweile auf über eine halbe Milliarde Euro, die an beide Kirchen fließen. Insgesamt sind seit Gründung der Bundesrepublik etwa 20 Milliarden gezahlt worden. Und das heißt letztendlich nichts anderes, als dass auch Menschen, die nicht Mitglied der Kirche sind, mit ihren Steuergeldern eine Institution finanzieren, die es sich herausnimmt, das Einsetzen einer Spirale als unethisch zu empfinden. Das ist schlicht und ergreifend die Weiterführung der Idee einer Staatskirche. Nur dass es seit Adenauer „christliches Abendland“ genannt wird. Wieso erlauben wir das? Warum gestatten wir der katholischen Kirche in der so wichtigen Frage der medizinischen Versorgung, anderen ihre eigenen ethischen Maßstäbe aufzuzwingen, die dann auch noch über Umwege dafür bezahlen müssen?
Noch weniger verstehe ich, wie wir diesem Club die wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe „medizinische Versorgung“ nach seinen Hausregeln erlauben (und dafür bezahlen).
— 🇪🇺 Schienensatzverkehr 🌈 (@semireg) September 21, 2021
Wer gibt der katholischen Kirche das Recht, Betroffenen medizinische Versorgung zu verweigern?
#tb als man mir 2011 nach einer Verhütungspanne in einem katholischen Krankenhaus in Münster (Westf) die Pille danach verweigerte. „Weil wir sind ja katholisch und so.“ https://t.co/5uWkyP0vxd
— Jo Luecke 🔴 (she/her) (@femm_hood) August 6, 2021
Oder gar Vergewaltigungsopfer abzuweisen? Der Staat tut es. Der Staat, das sind wir alle. Wir gestatten dieser Kirche auch, einem homosexuellen Lehrer „wegen seiner Heiratspläne“ zu kündigen.
Es wird Zeit das zu ändern. Wenn die katholische Kirche sich ihre eigenen Kaninchenzüchtervereinsregeln geben will, dann ist das ihre Sache, solange es sich im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit bewegt. Aber es muss Schluss sein damit, dass sich der Staat, und damit wir alle, zum Handlanger für „ethische Vorbehalte“ machen lassen, die nicht der ethischen Ausrichtung einer säkularen Gesellschaft entsprechen. Insbesondere, wenn diese Vorbehalte auf Kosten von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen gehen.
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Bildquelle: Reproductive Health Supplies Coalition/ Unsplash