Europa ist ein anderes geworden, hört und liest man dieser Tage immer wieder: Es sind zu viele Geflüchtete, es sind die falschen Geflüchteten, wir machen doch schon so viel, wir haben doch auch kaum was, irgendwann muss auch mal gut sein. Wenn so viele von Denen™ zu uns kommen, dann werden wir überfremdet uns Europa wird nicht mehr uns gehören.
Und um das in die Köpfe immer mehr Menschen zu transportieren, werden immer drastischere Bilder gewählt. So wie das eines polnischen, rechtskonservativen Magazins. Einer weiße Frau, die in eine Europaflagge gehüllt ist, wird von dunklen Händen Gewalt angetan. Im Text spricht das Magazin dann von der „islamischen Vergewaltigung unseres Kontinents“ und anderen groben Verzerrungen der Realität. Das kann und sollte man aufs Schärfste verurteilen und als genau die Art von rassistischem Rechtspoulismus demaskieren, die es darstellt. Allerdings darf man es dabei nicht belassen. Denn so anders ist Europa gar nicht geworden. Im Gegenteil: Vieles ist erschreckend gleich geblieben. Die gewalttätige Bildsprache. Der Sexismus. Die rassistischen Stereotypen.
The so-called 'Islamic rape of Europe' is part of a long and racist history https://t.co/UzeJSfaaP0 #racism #Islam pic.twitter.com/BPc1XDUu02
— Alessio Fratticcioli (@fratticcioli) February 18, 2016
Ob im faschistischen Deutschland oder im faschistischen Italien. Der Mythos des virilen, dunkelhäutigen Mannes, der es in seiner Triebhaftigkeit auf die weiße Frau abgesehen hat, existiert schon sehr lange. Ob nun 1923 behauptet wird, die Frau müsse sich gegen die „farbige Besatzung am Rhein“ wehren,
1938 die „farbige Gefahr“droht
oder Schwarze 1943 mit jüdischen Männern gemeinsame Sache machen.
Das rassistische Prinzip dahinter funktioniert immer gleich: Der/Die/Das Fremde wird entmenschlicht und als tierhafte Kreatur markiert,
der man sich erwehren muss und entledigen darf. Dabei enthält man sich jeder Form notwendiger Differenzierung und verdreht in grotesker Weise den Ist-Zustand, um jede noch so absurde und abscheuliche Soll-Forderung zu rechtfertigen.
Die angebliche Sorge um die Frauen ist dabei nur Mittel zum Zweck. Hinter ihr verbirgt sich lediglich ein Bedürfnis nach Besitzstandswahrung. Unsere Frauen haben gefälligst nur das zu machen, was wir wollen,
und sich nicht etwa unserem Willen zu versagen.
Man könnte meinen, die Gegenwart müsste es besser wissen. Man möchte glauben, dass wir uns in den letzten Jahrzehnten dieser menschenverachtenden Bildsprache entledigt hätten. Aber dem ist nicht so. Von der „Bekämpfung der Zigeunerplage“ zu Zeiten des Nationalsozialismus führt eine direkte Verbindung zum Titel „Die Roma kommen“ der Schweizer Weltwoche von 2012.
Da ist es auch egal, wenn der gleiche Mann 2010 bei der „Ausländer Raus!“ Fraktion in der Schweiz Faruk heißt und ein Mörder ist, während er 2012 für die Gesinnungsgenoss*innen in Belgien als Räuber Saïd sein Unwesen treibt.
Hauptsache Unwesen! Es ist ja DER Ausländer. Die sind ja sowieso alle gleich. Die wollen auch überall das Gleiche. Schwarze Minarette und verschleierte Frauen in Frankreich, England und Deutschland.
Da tut es auch nichts weiter zur Sache, wenn man Lügen verbreitet und Bilder verfälscht, indem man beispielsweise ein Ärzte ohne Grenzen Plakat in Liberia
zu einer Vergewaltigungseinladung für Geflüchtete in Finnland umdeklariert.
Das hatten die ja eh vor. Hat man ja in Köln gesehen. Was man da tatsächlich gesehen hat, war sexualisierte Gewalt gegen Frauen, wie sie der deutsche Staat trotz gegenteiliger Bekundungen viel zu lasch oder gar nicht ahndet. Was man danach beobachten konnte, war die rassistische Vereinnahmung dieser sexualisierten Gewalt, um Gesetzesverschärfungen oder gar „Gegengewalt“ zu rechtfertigen. Auch die Presse hielt es für angebracht, die Kölner Silvesternacht entsprechend zu bebildern.
Mit schwarzen Handabdrücken auf einer nackten, weißen Frau (Focus). Mit einem Meer aus dunkelhaarigen Männern, die blonde Frauen in Stücke reißen (Falter). Mit einem schwarzen Arm zwischen weißen Beinen (Süddeutsche). Und die Menschen fragen sich immer noch, ob die Situation wohl eskalieren wird. So als wäre es nicht schon längst so weit. So als würden nicht Menschen verletzt, Unterkünfte angezündet und Busse belagert. So als würde sich die Rechte nicht damit brüsten, dass sie „nicht nur Plakate hängt“.
Aus unerfindlichen Gründen musste ich heute hin und wieder mal an Volksverräter-Galgen-Drohungen denken #ltwlsa pic.twitter.com/RYdapHkjPI
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) February 28, 2016
So als wäre nicht gerade der schwarze Pfarrer der Gemeinde Zorneding, Olivier Ndjimbi-Tshiende, zurückgetreten, weil er die ständigen Morddrohungen und die rassistischen Beleidigungen von CSU Politiker*innen einfach nicht mehr ausgehalten hat.
Wir haben längst den Punkt überschritten, wo wir uns den Luxus leisten können zu fragen, ob sich Geschichte wiederholt. Die freundliche Schießbefehl-Partei von nebenan, die so genau weiß, wie sie die deutsche Volksseele in Wallung bringt,
wird bei den drei anstehenden Landtagswahlen voraussichtlich zweistellige Ergebnisse erzielen. Und zwar auch deshalb, weil es immer noch viel zu viele Menschen gibt, die sich landauf landab fragen, ob die AfD jetzt wirklich rassistisch ist. Also so richtig. Wir müssen endlich aufhören, uns hinter dieser bequemen Frage zu verstecken, und mit Nachdruck die sehr viel unbequemeren Antworten geben:
Ja, die sind rassistisch.
Ja, wir haben viel zu lange weggeschaut, weil Europa von einer rassistischen Vergangenheit profitiert.
Ja, sexualisierte Gewalt ist schon viel zu lange ein Problem, gegen das man ausnahmslos vorgehen muss, anstatt es für rassistische Zielsetzungen zu vereinnahmen.
Ja, man hätte das alles viel früher wissen können und handeln müssen.
Nein, die Tatsache, dass es für viele Dinge inzwischen zu spät ist, befreit uns nicht davon, jetzt aktiv zu werden.