Kommt ’ne Frau zum Arzt

TW: Narben, sexualisierte Belästigung/Gewalt

Über den Zusammenhang zwischen Sexismus und Medizin haben wir schon häufiger berichtet. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Gesundheitssektor ein besonders machtsensibler Bereich ist und Sexismus immer auch an die Möglichkeit geknüpft ist, Macht auszuüben und zu missbrauchen. Gerade hier, wo es darauf ankommt, ein Vertrauensverhältnis herzustellen und die jeweilige medizinische Expertise nicht als Vorwand für Herabwürdigungen und Übergriffigkeiten zu missbrauchen, kann es problematisch werden.

Vor zwei Jahren haben wir das ausführlich an den zahlreichen Beispielen der Medizingeschichte gezeigt, wo Männer Frauen für krank erklärt haben – um sie zum Schweigen zu bringen, ihrer habhaft zu werden oder die Spuren ihrer Übergriffe zu verwischen. Frauen wurden für besessen, hysterisch, frigide oder emotional und sexuell interessiert an Geiselnehmern erklärt, ohne dass es dafür auch nur die geringsten medizinischen Belege für gab. Aber damit ist das Thema nicht erschöpft. Auch im 21. Jahrhundert muss Sexismus in medizinischen Zusammenhängen thematisiert werden. Sei es, wenn es darum geht, dass wir dringend eine Gendermedizin brauchen, weil Männer immer noch als Norm und Zentrum der medizinischen Forschung behandelt werden. Oder aber, wenn es sich um übergriffiges Verhalten, verbale und physische Gewalt in Untersuchungssituationen dreht.

Dass sich hier in den letzten Jahren einiges getan hat, um Licht in diesen dunklen Bereich zu werfen, kommt einer Revolution gleich. Denn es handelt sich qua Definition um eine vertrauliche, nahezu uneinsehbare und im Detail kaum belegbare Ausgangssituation. Berichten über Sexismus und sexualisierte Gewalt wird oft allenfalls eine anekdotische Evidenz zugestanden. Meist aber nicht einmal das. Oftmals heißt es dann, dass etwas „medizinisch geboten war“ oder die Patientin das „falsch verstanden“ habe. Insbesondere auf dem der Gewalt in der Geburtshilfe hat in den letzten Jahren viel Sensibilisierungsarbeit und Sichtbarkeitsmachung stattgefunden. Jedes Jahr berichten Betroffene zum Roses Revolution Day am 25. November über ihre Erfahrungen und fordern Veränderung. Gewaltfreiheit. Respekt.

Die Geburtshilfe ist allerdings nicht der einzige Bereich, in dem diese Forderungen angebracht sind. Unter dem Hashtag #frauenbeimarzt tauschen sich Frauen seit einigen Tagen über ihre Erfahrungen aus.

Und auch wenn man es irgendwie schon immer geahnt hat und es beileibe nicht das erste Mal ist, dass der herablassende, übergriffige, sexistische Umgang von medizinischem Personal mit Patientinnen thematisiert wird, ist man einigermaßen fassungslos. Fassungslos darüber, wie oft Frauen abgewertet werden, wenn sie sich weigern, auf unangenehme oder fragwürdige Untersuchungsmethoden einzugehen.

Fassungslos, weil sich Ärzte anmaßen, in die Familienplanung erwachsener Frauen reinzuquatschen.

Fassungslos über die Selbstverständlichkeit, mit der eine Verfügungsgewalt über weibliche Körper behauptet und ausgeübt wird.

Über die Art und Weise, wie selbstverständlich Schmerzen nicht ernst genommen werden.

Es ist schier unerträglich.

Viel zu oft werden solche Berichte allerdings abgetan. Als Übertreibungen, Einzelfälle, Fehlinterpretation. Betroffenen wird vorgeworfen, es ginge ihnen „nur um Aufmerksamkeit“ – als hätten die Opfer von derartigem Verhalten ein Interesse daran, ihre Erniedrigungen freiwillig in der Öffentlichkeit auszubreiten. Sie tun es, weil sich etwas verändern muss. Weil Schluss damit sein muss, dass Übergriffe einfach abgetan werden.

Weil sie endlich aufhören müssen.

Dazu wird es nötig sein, jede Menge unangenehme Fragen zu stellen, Verantwortliche zu benennen und auch nicht vor einer Reformierung medizinischer Berufe zurückzuschrecken. Denn so wie es ist, darf es nicht bleiben.

Was du tun kannst

Das alles ist ein Problem, das keine Einzelpersonen alleine lösen müssen sollte. Die gesellschaftlichen Strukturen und unser System muss sich ändern – nicht die Frauen und weiblich gelesenen Personen, die belästigt werden oder sexualisierte Gewalt erfahren. Solange das System aber noch nicht geändert ist, ist es wichtig, sich Hilfe suchen zu können. Das können in erster Linie Freund*innen oder Vertrauenspersonen sein, die eine*n bei den nächsten Schritten unterstützen und die zuhören. Der Standard berichtet in einem aktuellen Artikel zum Thema, dass viele Betroffene erst viel später über die Erlebnisse sprechen und diese rekonstruieren können, weil sie unter Schock stehen.

Bis zu fünf Jahre nach einem Vorfall kann man bei der Bundesärztekammer Beschwerde einreichen. Doch dort sprechen die Hilfsangebote online stellvertretend für alle Fälle, die gemeldet werden können, von „Kommunikationsproblemen“, bei denen es hilfreich sei, „den Ärger abklingen zu lassen und dann auf die Ärztin oder den Arzt zuzugehen.“ Die Ärztekammer Berlin fügt dahingehend zusätzlich an, dass der Sachverhalt bei einer Beschwerde „sachlich, korrekt und frei von Wertungen vorgetragen“ werden soll. Das mag für manche Fälle eine sinnvolle Herangehensweise sein, nicht aber bei sexuellem Missbrauch, Belästigung oder sexualisierter Gewalt. Wie sollte das bei den Erfahrungen, die in den Tweets geteilt wurden, funktionieren? Wir haben da viele offene Fragen. Aber wir haben auch ein paar andere tolle Hilfsangebote, auf die ihr einen Blick werfen könnt:

  • Gynformation ist ein queer-feministisches Kollektiv für gynäkologische Selbstbestimmung. Dort findet ihr eine Adressliste, die aus subjektiven Empfehlungen besteht. Sie beinhaltet Gynäkolog*innen, Hebammen, Endokrinolog*innen und gynäkologisch tätige Allgemeinärzt*innen. Ihr könnt auch selbst eure Empfehlung einreichen.
  • Feministische Medizin e.V. ist ein Zusammenschluss von intersektional-feministischen Humanmediziner*innen. Der Verein setzt sich unter anderem für einen fairen Zugang zum Gesundheitswesen für alle, ganzheitlich faire und diskriminierungsfreie Behandlung unter Berücksichtigung soziokultureller Faktoren und Patientinnen*rechte ein.
  • Die Roses Revolution ist eine friedliche Revolution gegen Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe. Hier kommt ihr zur deutschen Website, auch Mother Hood e.V. setzt sich für sichere Geburten ein.
  • Braucht ihr akut Hilfe oder Unterstützung, könnt ihr euch an das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch wenden. Dort findet ihr online eine Suchfunktion nach Postleitzahl. Telefonisch erreichbar: Mo, Mi, Fr: 9.00 bis 14.00 Uhr und Di, Do: 15.00 bis 20.00 Uhr unter der kostenlosen Nummer 0800 22 55 530
  • Zusatz vom 25.01.21: Eine Leserin hat uns auf Social Media darauf Aufmerksam gemacht, dass man Vorfälle ebenfalls bei der Krankenkasse melden kann. Die kann Ärzt*innen verwarnen, wenn es zu mehreren Vorfällen kommt oder gekommen ist.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 120.000 Menschen teilen!

Bildquelle: Clay Banks/Unsplash