Kunst hat eine Grenze

Dass das mit dem Humor, der Satirefreiheit und der Ironie so eine Sache ist, erlebt Deutschland gerade als Dauerthema. Jeden Tag aufs Neue hat irgendwer irgendwas gesagt, behauptet und dann womöglich doch ganz anders gemeint und die mediale Öffentlichkeit verhält sich dazu. Regt sich auf, komplimentiert, verurteilt, springt zur Seite. Ganz aktuell geht es dabei um den Schauspieler, Musiker und Kabarettisten Serdar Somuncu. Der hat sich nämlich in einer dreistündigen Podcastfolge beim Thema Cancel Culture mit seinem Kollegen Florian Schröder in eine minutenlange sexistische, rassistische und homofeindliche Schimpftirade hineingesteigert, die so heftig war, dass viele es nicht fassen konnten.

Dabei ist das seit Jahren Teil des Programms von Somuncu. Zunächst verbrachte er ab den 90ern viele Jahre damit, Hitlers Mein Kampf zu sezieren und den Mythos von Goebbels Sportpalastrede zu dekonstruieren. Er ging mit diesen Themen zu Zeiten der Baseballschlägerjahre deutschlandweit auf Tour, teilweise unter Polizeischutz, legte sich mit Nazis an, las vor Schüler*innen und KZ-Überlebenden und konfrontierte die Deutschen mit ihrer mangelnden Vergangenheitsbewältigung.

Dafür gewann er zu Recht Preise und viel Anerkennung. Ab der Mitte der 00er Jahre begann er jedoch die Rolle eines hasserfüllten Narzissten zu entwickeln, der „jeder Minderheit zu ihrem Recht verhilft, diskriminiert zu werden“. Somuncu feuerte als imaginärer Durchnittsbildleser, später dann als Hassist, Hassprediger und Hassias gegen alles, jeden und jede – vor allem gegen Frauen und Minderheiten, die er kübelweise mit Häme, Spott und Beleidigungen überzog. Stets mit dem Hinweis darauf, dass er eine Rolle spiele und Kunst auch immer als Zumutung an das Publikum gemeint sein müsse, weil sie sonst viel zu harmlos, ungefährlich und wohlfeil wäre.

Aber Kunst sollte sich immer besser rechtfertigen müssen als damit „dass man das darf“ oder dass sie provokant ist. Und gerade in Deutschland, wo die Werkseinstellung des Humors immer noch die Schadenfreude ist, sollte Kunst mehr drauf haben als das. Dass sie das vielfach nicht hat, liegt leider auch an Somuncu. In seinem Programm Hitler Kebab von 2005 stellte er fest, dass nicht immer eine Pointe komme – manchmal reiche einfach auch der Mittelteil. Und genau das ist das Problem:
Deutsche Comedy (oder auch Kabarett) – und das schließt Somuncu ausdrücklich mit ein – ist viel zu oft nur noch Mittelteil, in dem aber fortwährend behauptet wird, die Pointe käme gleich. Oder noch schlimmer: Deutsche Comedy ist häufig eine Ansammlung von Pointen, die mit Ressentiments, abwertenden Zuspitzungen und diskrimierenden Punchlines arbeitet, aber permanent so tut, als wäre sie der Mittelteil. Als käme der eigentliche Witz erst noch. Das Doppelbödige, der Hintersinn, die Ironie und die Auflösung des Ganzen. Als steckte hinter der angeblichen oder tatsächlichen Kunstfigur oder der Rolle wirklich ein Mensch mit dem Plan, „der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten“.

Aber es kommt nichts. Die Frage bleibt, wem da eigentlich der Spiegel vorgehalten werden soll und wieso?

Und wenn die empörten Reaktionen auf Somuncus Untergriffigkeiten ihm wirklich Recht geben sollten:

In welcher Sache denn? Was ist denn die Behauptung, die These, für die hier maximal (und übrigens öffentlich) rechtlich beleidigt wird?

Dass es Menschen gibt, die sich über rassistische, sexistische und antisemitische Abwertungen aufregen, in Wut und Verzweiflung geraten und sich diese nicht bieten lassen wollen?
Oder etwa, dass es in unserer Gesellschaft immer noch viel zu viele Menschen gibt, die genau so etwas sagen und denken, ohne dabei eine Rolle zu spielen. Ja wow, wer hätte das gedacht.

Wahrscheinlicher ist eher, dass irgendwann einmal hehre künstlerische Motive eine Rolle gespielt haben, aber inzwischen nur noch Provokation um ihrer selbst willen betrieben wird. In Somuncus Fall sind die Leute nicht in seine Shows gekommen, um durch die vorgeblich angebotenen Metaebenen navigieren und mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert zu werden, sondern um einfach mal jemanden so richtig über Frauen und Minderheiten vom Leder ziehen zu sehen. Das kommt an, das bringt Geld. Also wurde das der Plan. Für diesen tatsächlichen Plan hat die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz sehr präzise Formulierungen. Sie spricht davon, dass Menschen sich „hochcanceln“ oder „auf die Bühne canceln lassen“. An dem Fall Lisa Eckhart lässt sich ihre Beobachtung besonders gut veranschaulichen. Auf eine Ausladung eines Literaturfestivals aufgrund einer nicht existenten Bedrohungslage hagelte es Presseberichte, Interviews, Langstrecken, Fernsehauftritte und Buchverkäufe. Selbstverständlich kommt es vor, dass diese eine spezielle Bühne, auf der in Eckharts Fall mit antisemitischen Ressentiments kokettiert wurde, nicht mehr zugänglich ist und man runtergebeten und -gebuht wird. Aber es finden sich andere Plattformen für die Skandalmaschinerie, für „provokante Künstler*innen, die zum Beispiel jüdischen Kritiker*innen Antisemitismus vorwerfen, weil sie antisemitische Klischees antisemitisch nennen.

Serdar Somuncu, Lisa Eckhart oder auch Dieter Nuhr – das sind alles Beispiele für Personen, die entweder für eine begrenzte Zeit oder vollständig ihren eigentlichen Job als Comedian gegen den des Edgelords tauschen. Edgelord ist die Bezeichnung für eine Person, die in Internetforen strittige Behauptungen aufstellt und mit Beleidigungen um sich wirft, um Konversationen zu stören und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ein Troll eben. Und genau das ist es, was uns gerade als als freigeistige, tabulose Satire verkauft werden soll: Comedytrolle. Das Traurige daran ist, dass gerade jemand wie Somuncu so viel mehr drauf hätte.

Die jüngere Version seiner selbst hätte angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die Junge Freiheit als Sprachrohr der Neuen Rechten als erste über den Fall berichet, der heutigen entgegengehalten:

„‚Wir wollen auch mal wieder was gegen Juden sagen dürfen‘, ist sehr verfänglich. Vorsicht bei solchen Sätzen, man landet schnell in den Mündern der Leute, die man nicht wahrhaben will als seine Freunde.“

Serdar Somuncu liest aus Josef Goebbels Sportpalastrede

Der heutige Serdar Somuncu beschimpft „ungefickte Feministinnen“ und flüchtet sich wie andere auch in „viele Ebenen“ und „eine Rolle“, damit das Publikum die Arbeit leisten soll, zu unterscheiden was er meint und was nicht. Er will herausstellen, dass die, die „so oft Toleranz fordern selbst oft intolerant reagieren„. Aber das ist nur der Versuch die eigene künstlerische Faulheit anderen anzulasten und löst jede Substanz in einer Lauge der Ironie und Uneigentlichkeit auf. Was bleibt ist die künstlerische Selbstüberschätzung eines Mannes, der nicht einsehen will, dass seine billigen Provokation Minderheiten zum Mittel für einen Zweck degradieren, der sich selbst genügt, hochriskant daherkommt und absolut nichts riskiert. Was bleibt sind rassistische, sexistische und homofeindliche Abwertungen im Namen einer fiktiven Metaebene in einer Gesellschaft, in der Menschen jeden Tag rassistisch, sexistisch und homofeindlich abgewertet werden.

Mehr nicht.

Bildquelle: Creative Commons

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 110.000 Menschen teilen!

Ähnliche Beiträge