Lasst eure Töchter frei!

Es gibt Sätze, die ich einfach nicht stehen lassen kann. Die mich fertig und wütend machen, bei denen ich sichtbar zusammenzucke und aussehen als würde ich irgendetwas anzünden wollen. Wahrscheinlich weil ich etwas anzünden will.

Mütter/Väter, sperrt eure Töchter ein!

ist so ein Satz. Wenn ich den lese oder höre, knurre ich wahlweise durch meine gefletschten Zähne oder kneife angewidert die Augen zusammen, so als wäre jemand barfuß in Hundekot getreten. Irgendwie ist das merkwürdig. Zum einen gibt es sehr viel krassere Sätze, die meine Ablehnung verdient hätten. Und zum anderen scheine ich mit diesem Gefühl ziemlich alleine zu sein. Menschen finden diesen Satz passend, harmlos oder witzig. Für mich ist die Tatsache, dass Menschen diesen Satz passend, harmlos oder witzig finden mit einer der Gründe, warum ich ihn hasse.
Ich hasse es, dass Mütter Ultraschallbilder auf Instagram posten und mit dem Hashtag #sperrteuretöchterein versehen.
Ich hasse es, dass dieser Hashtag selbstverständlich auch benutzt wird, wenn über das Weihnachtsfest mit den beiden kleinen Söhnen geschrieben wird.
Ich hasse es, dass die Bild diesen Satz immer wieder nutzt, um den Sexappeal männlicher Popstars zu validieren.

Ich hasse es, dass irgendwelche Dudes ihr Dudelife beim Kauf eines neuen Autos, beim Gruppenbesäufnis, bei bestandener Prüfung, bei irgendwas halt immer wieder mit diesem Ausspruch feiern. Dass Rapmagazine auf die Art Künstler ankündigen.

Der Satz eine harmlos tuende popkulturelle Referenz in extrem erfolgreichen Sitcomserien ist.

Fußballfans damit ihre angebliche Gefährlichkeit und ihren Status unterstreichen.

Und natürlich, dass man diesen Güllespruch auch auf Babystrampler druckt.

Kurz: Ich hasse einfach alles daran. Die heteronormative Sexualisierung, den offenen Sexismus, die Vereinnahmung von männlichem Begehren gegen Frauen. Die Vorstellung, dass Menschen das tatsächlich als Lob meinen, die Markierung von Mädchen und Frauen als Eigentum, Freiwild oder Belohnung und die Tatsache, dass man damit noch nicht einmal vor Ungeborenen halt macht. Die Andeutung von Gewalt, immer wieder Gewalt.
Aber am meisten hasse ich die damit verbundene Beschwichtigungstaktik: Alles lustig gemeint, ist doch nur ein Spruch, jetzt hab dich doch nicht so. Doch, ich hab mich so. Ich stelle mich an, wenn ich lese, dass die Bürgermeister irgendwelcher kleinen Käffer aus Tradition Sachen sagen wie „Mütter, sperrt euere Töchter weg, denn zahlreiches fremdes Volk ist in der Stadt“ und anschließend die Anweisung geben, dass nach 22 Uhr keine Jungfrau mehr auf der Straße sein dürfe. Und es kotzt mich an, wenn der Bürgermeister eines größeren Kaffs bei der Vergewaltigung eines 14 jährigen Mädchen andeutet, die Eltern hätten ihre Tochter nachts einsperren müssen, damit so etwas nicht passiert.

Auch wenn er sich im Nachhinein für seine „missverständliche Äußerung“ entschuldigt. Also Schluss damit. Nix mit „Sperrt eure Töchter ein“. Nix mit victim blaming, Verantwortungsgeschiebe, Verharmlosung und Hahaha, alles so witzig. Hört endlich auf mit dieser Scheiße und tut etwas dagegen:
Türen aufreißen, öffentliche Räume sicher für Mädchen und Frauen machen, Männlichkeit gewaltfrei erzählen, vorleben und einfordern. Keine Verharmlosung von sexualisierter Gewalt mehr. Keine Dauersuggestion von weiblicher Verfügbarkeit.

Lasst eure Töchter frei!

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