Lasst uns über Inkontinenz reden!

Jeder achte Mann in Deutschland ist inkontinent. Wusstet ihr nicht? Ich auch nicht. Bei Inkontinenz denke ich an die Generation unserer Mütter, die kein Beckenbodentraining nach der Geburt erhielten und heute ständig „müssen“.  Aber wenn ich die Zahl erwähne, berichten viele Freundinnen, dass ihr Mann tröpfelt. Ein schambesetztes Thema, weil es einfach nicht zu passen scheint: Der kernige Kerl und die Durchlässigkeit.

TENA Men nimmt sich schon lange dem Thema an, um Binden unter die Männer zu bringen. Auf genial humorvolle Weise. Sage ich, bin ja auch Britin. Was meine mütterliche Kultur auszeichnet ist der Vorteil, über sich selbst lachen zu können. Der Nachteil: Das ändert überhaupt nichts an fester Überzeugung. Selbst Brexit-Fans lachen sich darüber schlapp was es heißt, British zu sein, lernen aber nichts daraus. Selbst überzogene Machos können über ihr Machismo lachen – was nicht heißt, dass sie den ablegen werden. Aber sie können losgehen und Binden kaufen, immerhin!

Auch Depend macht sehr humorvolle Werbung zu männlichen Stereotypen und Tropfenproblemen:

https://www.youtube.com/watch?v=zFUkJ5_p8mo

In Deutschland sind wir noch sehr weit davon entfernt, dass ein junger Mann einem anderen von seiner Leckage berichtet oder darüber lacht. Überhaupt sprechen Männer zu selten über ihre Gesundheit oder ihre Gefühle, was dringend geändert gehört: Denn neben einer höheren Suizid- und Suchtgefährdung sterben sie im Schnitt auch fünf Jahre früher als Frauen. Aber wie das Tabu brechen? Neben Sanitätsproduktwerbung für sehr alte Männer (viele Männer sind oft um die 40, wenn sie anfangen „undicht“ zu werden) gibt es nichts, was sensibilisieren könnte. Das wollen Miguel Schmid und Magali Herzog, die 2017 den Nachwuchspreis der Deutschen Werbefilmakademie gewonnen haben, ändern. Ihr erinnert euch an die „Like A Girl“-Werbung von Always Ultra? Dann schaut euch das an:

Als Ariane und ich den Film zum ersten Mal auf der Preisverleihung des Deutschen Werbefilmpreises Ende März 2018 sahen, entlockte er uns, ehrlich gesagt, nur ein müdes Lächeln. Wir hatten uns gerade durch drei Stunden von der Branche hochgelobte Werbung gequält, die gefühlt immer wieder den gleichen Film zeigte: Männliche Protagonisten (viele Muskeln), männliche Erzählerstimmen (sehr lässig), männlich-konnotierte Bilder (Naturgewalten, Explosionen, schnelle Schnitte, laute Musik), und dabei war es völlig egal, um welches Produkt es ging. Selbst eine Werbung für einen Energiekonzern als Tier-Cartoon wurde mit nur männlichen Tieren beworben! Wir waren erschöpft. Als Schmids und Herzogs Speed- und Muskelmänner mit rasanten Schnitten und cooler Erzählerstimme auftauchten, warteten wir auf das nächste Mercedes- oder VW-Logo. Dass es hier um Binden für Männer und Inkontinenz ging, machte uns nicht glücklicher. Höchstens so: „Okay, es gibt also doch (eine einzige) progressive Werbung in Deutschland. Funktioniert nur mit den ewig gleichen stereotypen Bildern. Gott ist das traurig.“

Wenn man dieses Video jetzt aber der TENA-Werbung sowie die Kulturen einander gegenüberstellt, dann fordern wir vielleicht zu viel. Dann müssen es anscheinend genau diese kleinen Schritte sein, die den deutschen Mainstream-Mann in seiner Sehgewohnheit abholen und ihm ganz sanft erklären, dass auch er durchlässig sein darf. Um den ersten Schritt zu gehen hin zu einer Kultur, in der Männer über ihre Gesundheit reden, sich weich machen dürfen und aus dem Drogeriemarkt mit einem Bindenpaket unter dem Arm rauskommen können, ohne belächelt zu werden. Wir ticken eben anders hier. Ob es uns nervt oder nicht. Deshalb hoffen wir, dass Always diesen Vorschlag von Schmid und Herzog übernimmt, um ÜBERHAUPT Werbung für männliche Sanitätsprodukte in Deutschland zu machen. In diesem Fall sind wir tatsächlich für Gender-Marketing! Denn Always bewirbt nur eine Einheitsbinde für Urintröpfchen, enttabuisiert damit aber nicht männliche Inkontinenz. Und wenn TENA den deutschen Mann nicht erreicht (die Spots gibt es nur in englischer Sprache), bringt aller Humor nichts. Dann muss eben der deutsche her – und zur WM passt der oben drein. Seufz!

Lieben Gruß, Stevie und Team