„Lebensschützer“? Von wegen!

Am Samstag zog erneut der sogenannte „Marsch für das Leben“ durch Berlin, um mit einem stillen Trauermarsch ein „Europa ohne Abtreibung“ zu fordern. Ein „Trauermarsch“ war es tatsächlich, denn laut Berliner Polizei war er mit rund 3.000 Demonstrant*innen deutlich kleiner als im vergangenen Jahr. Still blieb es aber ganz und gar nicht! Denn gleich mehrere feministische Bündnisse fanden sich zusammen, um ihre Stimmen gegen die Bevormundung durch fundamentale Christinnen und Christen, konservative und rechte Bewegungen zu erheben und zu entlarven, was der „Marsch des Lebens“ tatsächlich ist: Ein Marsch gegen eine selbstbestimmte Familienplanung, gegen den Schutz von (insbesondere ungewollt schwangeren) Frauen*, gegen autonomes Leben.

Unsere Forderung: Entkriminalisierung von Abtreibung!

Im Zentrum der Gegenproteste, die sich aus insgesamt drei feministischen Demos zusammensetzten, stand der Aktionstag des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, an dem auch Pinkstinks als Bündnispartnerin teilgenommen hat. Am Brandenburger Tor, wo der Trauermarsch im Laufe des Tages vorbeiziehen sollte, forderte das Bündnis mit Grußworten, Redebeiträgen und Livemusik von Lady Lazy die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Denn nach §218 ist Abtreibung in Deutschland auch heute noch ein Straftatbestand, der mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Nur durch einen Zusatzparagraphen ist geregelt, dass ein Abbruch innerhalb von 12 Wochen nach der Empfängnis durch eine*n Ärzt*in vorgenommen werden kann, wenn die Schwangere zuvor eine entsprechende Beratung erhalten hat. Und genau dieses juristische „Hintertürchen“ stellen Fundamentalist*innen und rechte Bewegungen, darunter auch die AfD, nun infrage und greifen damit scharf grundlegende Rechte von Frauen* an. Viele der selbsternannten „Lebensschützer*innen“ sabotieren auch an anderen Stellen Zugänge zu Beratungseinrichtungen oder Informationsquellen und diffamieren Lebensweisen, die von einem traditionellen Familienbild abweichen.

„Es bleibt hartherzig und unchristlich, ungewollt Schwangeren ihre Entscheidungsautonomie abzusprechen“, antwortet Volker Beck auf die Anfrage, am Marsch für das Leben teilzunehmen. „Schaut man sich die Teilnehmer*innen der letzten Jahre an, kann man nur sagen: Da wächst zusammen, was mit Menschen, denen der Respekt des menschlichen Lebens ein Anliegen ist, nicht zusammen gehört: AfD, christlicher Fundamentalismus, Homosexuellenfeindlichkeit, Menschen, die die Shoa verharmlosen, in dem sie von ‚Babycaust’ fabulieren“.

Auch Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller hat sich in seinem Grußwort für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung eindeutig gegen den Marsch positioniert. Unter Solidarität und Vielfalt verstehe er „die umfassende rechtliche Anerkennung aller Formen des Zusammenlebens sowie die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität“ und fordert eine „geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung“.

„Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!“

Als auch der bereits am Vormittag am Wittenbergplatz gestartete Demonstrationszug des queerfeministischen „What the Fuck!“-Bündnisses am Brandenburger Tor ankam, waren wir mit insgesamt über 3.000 Protestler*innen bereit, dem „Marsch für das Leben“ laut, bunt und entschieden zu begegnen. Aus Angst vor der Konfrontation entschieden die sich dann aber spontan für eine andere Route. Während unseres Zuges Richtung Lustgarten gab es dann trotzdem noch mehrere kleine, dafür umso lautere Begegnungen zwischen den beiden Parteien – mit Trommeln, Pfeifen und starken Slogans („Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“, etc.).

Am Lustgarten trafen wir dann auf die dritte Demo, die mit 7.500 Leuten und unter dem Motto „We’ll come united“ solidarisch gegen die Verschärfung des Asylrechts auf der Straße war, darunter auch viele LGBTQI*-Aktivist*innen und ein Wagen des Feministischen Netzwerkes. Gemeinsam mit ihnen marschierten wir zum Oranienplatz, wo der lange – und manchmal unübersichtliche – Protesttag zu Ende ging. Uns hat der Tag mal wieder gezeigt, wie fruchtbar ein bunter, friedlicher und intersektionaler Protest sein kann. Insgesamt waren mehr als 10.000 Menschen auf der Straße, um gegen ein rechtes Weltbild und für ein solidarisches Miteinander einzutreten. Ein starkes Signal in der Hauptstadt, insbesondere eine Woche vor der Bundestagswahl.

Und wenn der „Marsch für das Leben“ im nächsten Jahr wieder durch Berlin ziehen will (voraussichtlich am 22. September 2018, save the date!), dann werden wir noch mehr und noch lauter sein!