Mädchenarbeit in Pink

 

Mädchenarbeit in Pink

Die Körber-Stiftung hat eingeladen: An vier Abenden wird zur Nachwuchsförderung in den MINT-Berufen diskutiert. NDR info berichtet. Matthias Mayer, Leiter des Bereichs Wissenschaft der Körber-Stiftung, erklärt: Deutschland fehlen die Nachwuchskräfte in der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Schon jetzt verzeichnet Deutschland daraus Verluste in Milliardenhöhe. Wir können nicht mehr Mithalten in der technischen Innovation, und neben den Verlusten für Industrie und Haushalt steht die Sorge um Deutschlands Sicherheit: Wer soll Epidemien bekämpfen, Krebsmittel entdecken und Windräder entwickeln?

Am ersten Diskussionsabend geht es um Mädchen und MINT. Die größte Armut in Deutschland sitzt bei alleinerziehenden Müttern und ihren Familien. Manch eine hat eben nicht Klempnerin oder Informatikerin, sondern Friseurin oder Philosophin gelernt, und in welchem Beruf man in Teilzeit mehr verdient, ist klar. Alleine deshalb sollten auch Frauen in die MINT-Berufe. Wie das gehen soll, diskutieren Prof. Dr. Barbara Schwarz, Sozialwissenschaftlerin, Prof. Dr. Cornelia Denz, Physikerin, Regine Stachelhaus, Juristin und ehemalige Vorständlerin bei E.ON.

Anhand einer fiktionalen Louisa wird durchgespielt, welche Hürden Mädchen überwinden müssen, um in die MINT-Berufe zu kommen. Man zählt auf, welche Programme Universitäten und Stiftungen anbieten, um sie an den jeweiligen Hindernissen abzuholen und zu fördern. Angefangen von Ablenkungen in der Pubertät, in der es als Mädchen uncool ist, ein Mathecrack zu sein, zu den Schwierigkeiten im Studium, das eher „männlich“ und zu wenig interdisziplinär ausgerichtet ist, zur Vorstandsetage, in der Frauen sich mit ihrer sanften Art nicht durchsetzen können, werden viele wichtige Punkte angesprochen und Lösungen aufgezeigt. Und Erfolge genannt: Immerhin sind wir schon bei fast 25% Frauenanteil in den MINT-Studienfächern. Auch ein fiktionaler Robert muss ran: Der müsse sich, laut Schwarz, genauso gegen den gesellschaftlichen Druck durchsetzen, nicht Teilzeit arbeiten zu dürfen. So wird eine Zukunft anvisiert, in der Robert in der Karriere zurückschraubt, um Louisa in ihrer zu unterstützen.

Alle Programme, die vorgestellt werden, setzen in der Pubertät an. Auf meine Nachfrage bestreitet Cornelia Denz, dass die Geschlechterrollen der frühen Kindheit eine Auswirkung auf die Benachteiligung von Frauen in den MINT-Berufen haben. Die Pubertät sei das Problem: Hier wird Mathe uncool. Dass raumgreifende Piraten und ihre Tiere fütternden Prinzessinnen irgendetwas damit zu tun haben, hält sie für Unsinn. Auch Schwarz sagt, dass die rosa Phase doch vorbei gehe, und Kindergarten- und Grundschulkinder trotz dieser nicht weniger Interesse an naturwissenschaftlichen oder physikalischen Phänomenen zeigen.

Recht hat sie. Vierjährige wissen ja auch noch nicht, dass Flaschenzüge unsexy sind. Doch gerade die frühkindliche weibliche Konditionierung auf Schönheit und soziales Verhalten ist es, die in der Pubertät dafür sorgt, dass Mädchen sich unwohl in ihrer Haut fühlen. Dass die Bestätigung ihres Aussehens und das Sich-Verschönern wichtiger sind als ihr Spaß am Rechnen, und Interessen, in denen Empathie gefragt sind solchen vorgezogen werden, in denen man systemisch denkt. Dass sie so leicht durch ein „Physik? Das ist doch was für Kerle!“ aus der Bahn geworfen werden können, weil sie auf gar keinen Fall männlich wirken wollen. Genauso wenig, wie Jungen „weiblich“, also Erzieher, sein wollen. Und auch, wenn das ein Ablehnen von rosa mit einschließt, geht es natürlich nicht um die Farbe. Rosa oder Pink ist die heutige Farbe für Mädchen und ganz strikt ihnen vorbehalten, damit die Grenzen klar sind. Das ist das Problem.

Was von der Diskussion also blieb war das Gefühl, die Diskutant*innen wären der Ansicht, die sanfte Art von Frauen und Mädchen wäre ebenso normal wie eine Pubertät, in der sich alles um Topmodel und Schminken dreht. Man müsse sie nur dort abholen und „bearbeiten“. Gut: Dann spielen wir doch Louisa und Robert einmal weiter, und fangen bei den Kleinen an.

Louisa spielt im Kindergarten mit Laserschwertern und Boxhandschuhen und lässt die Sau raus. Ihr Vater holt sie von der Kita ab und ist begeistert, weil sie rote Backen hat. Beim Abholen dreht er sich zu Robert um, der heute eine besonders schöne (rosa) Hose anhat und gerade noch seine männliche Puppe ankleidet. „Du hast Püppi aber hübsch gemacht, Robert!“ Er geht mit Louisa Fußball spielen und danach bauen sie zusammen ein Legohaus. – Louisa wird älter, Robert auch. – Robert ist jetzt zwölf, und liebt Religion und Theater. Mathe ist nicht so sein Ding und er bewundert Louisa, die darin top ist und außerdem schon selber programmieren kann. Louisa ist in Robert verknallt, der so toll malen kann und ihr ein Schmusekissen zum Geburtstag genäht hat. Ein paar Jahre später: Robert überlegt, Erzieher zu werden. Louisa überlegt, Ingenieurin zu werden. Beide am liebsten in Teilzeit. Rosa Förderprogramme sind obsolet. Und wieder soll es hier nicht heißen, dass alle Kinder so sein sollen wie Louisa und Robert, sondern dass sie sein dürfen. Dass Spielwarenwelt und Vorbilder in Kinderfernsehen, Außenwerbung und Literatur sie sichtbar machen, so dass sie als Identität gewählt werden kann. Daran sollten wir arbeiten.

mint:pink heißt das Programm, dass die Hansestadt Hamburg sowie die Körber-Stiftung unterstützen. Es ist ein lobenswertes Programm, das Schülerinnen für MINT-Berufe begeistern soll, um ihnen zu zeigen, dass MINT auch weiblich ist. Die Körber-Stiftung war sich uneins, ob „pink“ im Titel so schlau wäre, aber letztendlich hat sie überzeugt, dass die Zielgruppe, zwölfjährige Mädchen, den Projektnamen witzig und überzeugend fand: Mädchen, die sich in der Pubertät befinden und den Problemen ausgesetzt sind, die die zurzeit typischen Stereotypen der Kleinkindzeit begünstigen: rosa Prinzessinnen und blaue Piraten. „Diese Farbe ist für uns“, zeigt die Reaktion, und man kann uns durch sie ansprechen. Ebenso wie mit pinken Werkzeugkästen, pinken Lady-Parking-Zonen und pinken Kartoffelchips. „Ihr seid anders!“, lautet die Botschaft der Farbe, egal, wie sie konnotiert wird. Genau das ist das Problem. Wenn wir erlauben, dass EINE Farbe ein Geschlecht konnotiert, kann sie auch immer wieder im Gender-Marketing benutzt werden und spezifische Eigenschaften fördern, die für das Konsumverhalten günstig sind, wie wir anderswo schon oft beschrieben haben. Der Kreislauf dreht sich: Von rosa Prinzessinnen zu rosa Förderprogrammen. Wenn wir in zehn Jahren wirklich 40% Frauen in den MINT-Berufen haben, freue ich mich. Bis dahin bleibe ich kritisch und warte ab. Jungen Frauen flexiblere Berufsbilder zu vermitteln und die entsprechenden Einstiegsschwellen zu senken erscheint mir durchaus sinnvoll. Dabei allerdings genau die Art geschlechtsspezifische Identität anzusprechen und zu zementieren, die in die MINT Problematik mündet, wirkt auf mich eher kontraproduktiv.