Heute, am 28.03.2019, wird wieder einmal deutschlandweit der Girls‘ und der Boys‘ Day begangen – und das ist auch gut so. Seit 2001 schauen sich Mädchen Berufsfelder aus der Nähe an, für die sie sich aufgrund eines eher stereotypen Rollenverständnissen wenig bis überhaupt nicht entscheiden. Dabei stehen vor allem Berufe aus dem MINT-Bereich im Vordergrund. Also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.
Allerdings beschränken sich die Angebote nicht auf diesen Bereich. Für den Girls‘ Day gibt es im Baugewerbe ebenso Angebote wie aus der der Politik oder von der Bundeswehr. Die Teilnehmerinnenzahl hat sich in den vergangen Jahren bei um die 100.000 eingependelt. Ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen gibt an, dass die Mädchen sich anschließend bei ihnen um ein Praktikum oder eine Ausbildung bewerben. Beim Boys‘ Day sind die Zahlen noch nicht ganz so erfreulich: 2018 haben knapp über 30.000 Jungen teilgenommen und konnten zwischen etwa 7000 Angeboten aus klassischen Frauenberufen wählen.
Als Boys‘ Day Berufe gelten in diesem Sinne Berufe, in denen maximal 40% Männer arbeiten. Das reicht von Altenpfleger über Drogist und Maskenbildner bis hin zu Psychologe und Tierarzt. Die Annahme, dass die Auswahlmöglichkeiten sowohl für Mädchen als auch für Jungen jeweils sehr überschaubar sind trifft also nicht zu. Für Mädchen sind Malerin und Köchin ebenso dabei wie für Jungen Apotheker und Tierarzt. Und das geringere Interesse der Jungen liegt nicht zuletzt auch an dem Umstand, dass der Boys‘ Day erst seit 2011 bundesweit durchgeführt wird. Der Girls‘ Day hat also schon ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel. Beide sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein Erfolg.
Trotzdem gehört an diese Stelle ein Aber. Und zwar aus mehreren Gründen. So darf bei aller Freude über diesen Aktionstag nicht die gesamtgesellschaftliche Problematik aus den Augen verloren werden, die sich dadurch nur viel zu langsam oder überhaupt nicht beheben lässt.
Hansbremsen für Staatssekretärinnen lösen sich nicht von allein. Genauso wenig wie die in der letzten Pisa-Studie von 2018 geschilderten Probleme, denen zufolge Mädchen deshalb schlechter in Mathematik abschneiden, weil sie den Eindruck haben, über dieses angebliche Defizit ihre Geschlechtsidentität belegen zu müssen. Anders ausgedrückt: Sie unterschätzen sich, weil ihnen von allen Seiten vermittelt wird, dass Mathe nicht ihr Ding ist.
Leider gibt es dazu bislang keine sauber gearbeiteten Studien, die bei reinen Mädchen- und Jungsklassen zweifelsfrei belegen, dass sie ohne den geschlechternormativen Druck in den entsprechenden Fächern besser abschneiden. Dazu konnten andere Umstände (Elternhaus, Schulausstattung etc.) nicht definitiv genug ausgeschlossen werden. Aber wenn man sich eine sehr gute deutsche Studie zu der Benachteiligung von Mädchen in koedukativem Sportunterricht anschaut, hat man eine ungefähre Vorstellung von der Situation.
Ein weiterer Punkt ist die unterschiedliche finanzielle und soziale Wertschätzung von bestimmten Berufsgruppen. Durch die voranschreitende Digitalisierung und Automatisierung wird es in den meisten Branchen weniger Beschäftigte geben als heute. Ausnahmen bilden Berufsgruppen aus dem MINT-Bereich sowie aus dem Gesundheits- und Sozialwesen. Angesichts der Tatsache dass in Deutschland 2025 voraussichtlich knapp 3 Millionen Erwerbstätige fehlen werden, müssen die Dinge beim Namen genannt werden: Wir können nicht alle Aufsichtsräte führen und Bundeskanzlerin werden – selbst wenn wir wollten. Der Sheryl Sandberg Lean-In Feminismus löst unsere Problem in der Pflege nicht. Zur Wahrheit über den Gender Pay Gap gehört eben auch der Gender Care Gap und dass Kümmern zwar unverzichtbar ist aber unterbezahlt und nicht genug gewertschätzt wird.
Womit wir bei einem anderen wichtigen Grund dafür sind, warum die Teilnahme am Boys‘ Day so viel geringer ausfällt als am Girls‘ Day. Wieso sollten sie sich dafür entscheiden, beispielsweise Altenpfleger zu werden? Mit dem Boys‘ Day wird zwar daran gearbeitet, die Rollenklischees aus den Köpfen zu bekommen und zu zeigen, wie sich diese Arbeit wirklich anfühlt. Aber es fehlen die flankierenden Maßnahmen. 1040 € bekommt eine Altenpflegekraft im ersten Ausbildungsjahr. Brutto. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa dem Hartz IV Regelsatz von 424 € plus der Miet- und Heizkostenübernahme in einer deutschen Großstadt.
Girls‘ und Boys‘ Days sind und bleiben sinnvolle Aktionstage. Aber sie sollten weder Selbstzweck noch Feigenblatt für eine eigentlich geschlechterungerechte Gesellschaft sein, die viel zu oft nur durch Untätigkeit glänzt. Stattdessen sollten sie uns jedes Jahr anspornen, klüger, ausdauernder und nachhaltiger für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Sexismus zu kämpfen. Das ist das mindeste, was wir für Mädchen und Jungen tun können.
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Quelle Beitragsbild: kompetenzz.de