Aber was ist denn mit Männern? Warum kümmert ihr euch eigentlich nur um Frauen? Männer haben es doch auch schwer. Los, jetzt sag doch mal!
So oder so ähnlich schallt es Pinkstinks bereits seit Jahren entgegen. Und nicht nur Pinkstinks. Insbesondere zu Aktionstagen wie dem Weltfrauentag oder dem kürzlich begangenen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hat diese Form des Whataboutism Hochkonjunktur. Wenn die Tagesschau und andere Medien anlässlich dieses Tages einen Bericht bringen, dann kann man sich sicher sein, dass in Foren und sozialen Netzwerken gegen diese vorgeblich ungerechtfertigte Fokussierung protestiert wird. Entweder wird darauf verwiesen, dass es ein geschlechtsunabhängiger Tag gegen Gewalt ja auch tun würde, oder man(n) stellt klar, dass ein solcher Tag nur dann akzeptabel ist, wenn es im Gegenzug auch einen für Männer gibt.
Gleichberechtigung ist keine Einbahnstraße, damit hat sich das Thema Opferrolle erledigt.
— דוד פיטרס (@cheffe8) 25. November 2019
Sollte es ein Tag gegen Gewalt gegen Männer geben darf diese Diskussion fortgesetzt werden.
Beschönigend könnte man an dieser Stelle festhalten, dass das irgendwie nachvollziehbar aber leider auch kontraproduktiv sei. Tatsächlich stellt beides einen Totalausfall dar. Denn die erste Variante verunsichtbart vollkommen die Tatsache, dass wir als Gesellschaft ein ganz spezifisches Problem mit Gewalt an Frauen haben. Also Gewalt, bei der nicht zufällig Frauen zu Opfern gemacht werden, sondern Gewalt, die Betroffenen angetan wird, gerade weil sie Frauen sind. Und zwar in den allermeisten Fällen von ihren (Ex)Partnern.
Und die zweite Variante tut so, als bestünde überhaupt keine Möglichkeit, für Männer und ihre Probleme Partei zu ergreifen. Lassen wir mal für einen Moment die Debatte darüber außer Acht, dass und in welchem Maße die Gesellschaft schon in ihrer Grundkonfiguration für Männer parteiisch ist: Es gibt tatsächlich zahlreiche Probleme, die Jungen und Männer betreffen und die dringend angegangen werden sollten. Sie verdienen eine Anwaltschaft, die sich um ihre Belange kümmert, ohne sie kleinzureden oder abzuwerten. Nur wird die ganz gewiss nicht dadurch geschaffen, dass man(n) bei jeder sich bietenden Gelegenheit versucht, gerade die Debatten zu überbrüllen und zu kapern, die sich mit den Problemen von Frauen beschäftigt.
Vielmehr werden beiden Problemfelder so der Lächerlichkeit preisgegeben und verharmlost. In Bezug auf Gewalt gegen Frauen heißt das, dass sie zum Anlass degradiert wird, „auch mal was gegen die richtigen Probleme zu sagen“. Und die Gewalt gegen Männer wird ihrer Ernsthaftigkeit beraubt, weil es als Thema lediglich dazu benutzt wird, um anderen über den Mund zu fahren. Und ernst ist das Thema in jedem Fall. Die meisten Opfer von sexualisierter Gewalt durch Würden- und Funktionsträger der katholischen Kirche sind männlich. Die Berichterstattung darüber ist so fehlgeleitet und uninformiert, dass man sich nicht entblödet, das mit Begriffen wie „pikant“ zu umschreiben.
Darüber könnte man(n) doch reden. Man könnte Geld sammeln, Vereine gründen, Lobbyarbeit machen, auf die Straße gehen, Probleme benennen und die Dinge angehen. Und das gilt nicht nur beim Thema Gewalt. Wer oder was sollte Männer davon abhalten, sich zu organisieren und eigene Interessen zu formulieren? Aber sie stecken fest. Sie stecken fest in einer Welt, die anhand von Studien darüber, dass Männer sich „nervös, ruhelos, traurig und wertlos“ fühlen, wenn sie nicht die Hauptverdiener sind, ohne mit der Wimper zu zucken, Frauen zum Problem erklärt.
Anstatt vielleicht mal die Machtfrage zu stellen oder sich auch nur vorsichtig zu erkundigen, warum Männer trotz strukturellem Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft immer noch den Eindruck haben, die Rolle des Ernährers und Hauptverdieners ausfüllen zu müssen.
Gegen diesen Missstand ließe sich doch bei so vielen Gelegenheiten ankämpfen. Aber eben nicht als Überbrüllungsmaßnahme gegen Anliegen von Frauen wie beispielsweise das, gerecht bezahlt zu werden. Sondern als legitime Interessenvertretung, die sich an anderer Stelle nicht zu fein dafür ist, sich solidarisch mit anderen Interessen zu zeigen. Und die sich eben nicht dadurch selbst beschädigt, dass sie ausgerechnet dann besonders laut auf sich aufmerksam macht, wenn es um andere Rechte als die eigenen geht.