Letzte Woche gab ich einen Vortrag vor einer Gruppe von Feminismus-Interessierten, in der immer wieder ein männerfeindlicher Kommentar oder Witz fiel. Das ist nicht selten. Vielen fällt gar nicht auf, wie diskriminierend Sätze sein können, die mit „Männer sind…“ beginnen. Ich ertappte mich, wie ich freundlich und gekünstelt mit kicherte, bis ich mich nicht mehr leiden konnte und mich traute, meine Gesichtszüge neutral zu lassen. Ich liebe Männer nämlich. Nein, nicht alle, und Männer als Gruppe sind eh schwer zu definieren. Es gibt aber Männer in meinem Leben, die ich sehr gern habe und für die es mir besonders weh tut, wenn auf Männer im Allgemeinen eingehauen wird.
Dabei habe auch ich Gewalt von Männern erfahren, bin von Männern verletzt worden und habe große Wut auf ein patriarchales System, das über Jahrhunderte Männer privilegiert hat. Ich glaube nur, dass nicht jeder Mann diese Privilegien feiert. Ich kenne Männer, die unter den Ansprüchen an ihre heteronormative Männlichkeit (das ist der Coupon, mit dem man sich die Privilegien abholen darf) gescheitert sind. Alkoholismus, psychische Krankheit, Drogen, Spielsucht, Depressionen und versuchte Suizide sind die häufigsten Dinge, an denen markiert wird, ob ein Mann im System mitspielen durfte. Ein Alkoholiker mag als Mann trotzdem täglich Privilegien genießen (z.B. fallen saufende Männer weniger auf als saufende Frauen), und die dürfen Feminist*innen auch wütend machen. Ich behaupte jedoch, dass ihn dieser Bonus nicht glücklich macht.
Gestern, beim Joggen im Park, traf ich einen Bekannten aus Schulzeiten. Ich habe ihn damals immer als Alphatier gesehen, als einen der coolen Jungs, vor deren Clique ich enorme Angst hatte. Man kassierte von ihnen regelmäßig einen Spruch über das eigene Aussehen, der einen an einem Tag als Schlampe, am nächsten Tag als prüde Sau deklarierte. Diese Unberechenbarkeit von Bewertungen von etwas älteren, sehr gut aussehenden und lauten Jungs hielt einen gerne konstant eingeschüchtert. Am besten versuchte man ihnen nicht zu begegnen, wenn sie in der Gruppe beisammen standen. (Ob Jungen das kennen? Eine Angst vor älteren Mädchen, die mit sexuell aufgeladenen Sprüchen und niederschmetternden Urteilen die gesamte Existenz bedrohen können?) Dieses Mitglied der ehemaligen Bedrohung arbeitet heute als Erzieher, begrüßte mich herzlich und erzählte, dass er mit Begeisterung unseren Newsletter lese. Ich war verwirrt und wie so oft purzelten Vorurteile und Realitäten durcheinander. Ich sendete Nachfragen an meine grauen Zellen, ob ich von ihm persönlich je einen Spruch oder dumme Anmache kassiert hatte. Mein System hatte keine Antwort außer, dass er Teil von denen war, die mir Angst gemacht hatten. Ist er damit auch schuldig? Und wenn ja, für immer?
Menschen, auch Männer, verändern sich. In ein Geschlecht, eine Gruppe oder eine Sozialisierung hinein geboren zu werden macht einen nicht primär schuldig und ich empfinde eine große Notwendigkeit von Kulanz darin, diesen Menschen zuzugestehen, dass sie ihre Privilegien nicht sofort als solche empfinden sondern Zeit brauchen, sie zu erkennen. Alle Männer, die ich Freunde nenne, haben Privilegien als Mann, die mich wütend machen. Nehmen wir meinen Pinkstinks-Kollegen Nils: Wie oft wird er von Leser*innen bejubelt, nur weil er – als Mann! – über Feminismus schreibt. Oder meinen Lebensgefährten: Seine Empathie-Leitung ist dank konservativer Erziehung zum „echten Jungen“ länger als meine, was ihn für viele Dinge weniger sensibel macht. Gerade in geteilter Care-Arbeit gibt es dadurch eine unfreiwillige Arbeitsteilung: Manchmal würde ich auch lieber die Wäsche machen als für jedes emotionale Problem Ansprechperson zu sein. Aber ebenso, wie Nils um sein Privileg weiß und immer wieder hinterfragt, ob er sich als Mann zu bestimmten Themen im Feminismus überhaupt zu Wort melden sollte, kann mein Mann seine Baustelle benennen, sie aber nicht über Nacht verändern. Sie sind verhaftet im „Privilegiert-sein“ und können es nicht „einfach wegmachen“.
Sie können sich aber dazu verhalten, welche Zuschreibungen sie gar nicht wollen und welche Nebenwirkungen mit dem patriarchalen System einhergehen. Wo genau mangelnde Sensibilität ersehnte Nähe behindert oder ungewollte Privilegien zur Ausgrenzung aus einer Gruppe führen, zu der man gerne gehören würde. Deshalb gibt es ab jetzt bei uns den Schwerpunkt „Männer im Feminismus – Feminismus für Männer“, in dem neben Nils Pickert auch das Feministen-Duo „Herr und Speer“ aus Berlin und andere regelmäßig bloggen werden. Über Fragen wie die, die mich täglich bewegen: Wie können Frauen mit ihrer Wut auf Männer umgehen? Was können Männer tun, damit diese Wut weniger wird? Wie kommen wir alle zusammen, zu den gleichen Rechten und Chancen? Und: Welche Männer wollen das überhaupt, und warum?
Ich freue mich darauf, mehr Feminismus von Männern zu hören und Feminismus für Männer sichtbar zu machen. In unserem monatlichen Newsletter, für den ihr euch hier anmelden könnt, wird es jetzt immer mindestens einen „Männer“-Artikel geben, der natürlich von allen gelesen werden kann. Nicht nur von Männern. Aber eben auch.
Lieben Gruß! Eure Stevie