Männer sind kein Kriegswerkzeug

TW: Krieg und Flucht vor Gewalt

Seit Wochen geistert dieser menschenverachtende Unfug schon durch die sozialen Netzwerke: Sobald klar war, wie umfassend der Westen in Afghanistan versagt hat, kamen wieder all die „Doitschnationalen“ aus ihren Löchern gekrochen, um sich darüber aufzuplustern, dass sie ja um ihr Land kämpfen würden. Es gehe ja wohl nicht an, dass jetzt junge, kampftaugliche Männer zu „uns“ fliehen würden, wenn sie doch mit der Waffe in der Hand ihre Heimat verteidigen könnten. Aber klar doch: Hier wird über Masken rumgejammert, Panik vor Impfungen geschoben und vom bösen Deep State gefaselt, aber sein Leben im Kampf gegen die Taliban zu riskieren, ist für die Kai-Uwes von der querdenkenden Rechtsfront eine Kleinigkeit.

So geht das seit Jahren. Immer, wenn irgendwo auf der Welt ein Konflikt in einer Region ausbricht, aus der eine gewisse Anzahl Geflüchteter sich bereits in Deutschland aufhält, geht die gleiche Leier los: Warum kämpfen denn die ganzen jungen Syrer nicht gegen Assad? Wieso bleiben die jungen Männer nicht in Afghanistan und verteidigen ihr Land gegen die Taliban? Wieso sollten sie? Und wie kommen Privilegienmänner in der Festung Europa eigentlich dazu, andere Männer verbal in den Krieg zu schicken, während sie sich mit ihren trockenen, warmen Ärschen zwischen allen Stühlen wähnen und hier die Revolution gegen Merkel, das RKI, Greta Thunberg, Bill Gates und „die da oben“ anzetteln? Dafür gibt es zwei Gründe.

Zum einen ist da eine tatsächliche Kriegslust. Oder genauer formuliert: Eine Friedensmüdigkeit. Das hat hier jetzt alles schon viel zu lange gedauert, wir dümpeln so vor uns hin, nichts Aufregendes passiert. Dabei wird schon seit Jahren von gesellschaftlichem Umsturz und einer neu erstarkten Nation fantasiert, die sich durch die Umwälzungen eines Krieges realisieren sollen. Angebliche „Männer der Tat“, die es heute in ihren tristen, kleinen Leben zu nichts bringen und kaum jemanden interessieren, könnten in glorreichen Kämpfen ihre Mittelmäßigkeit abstreifen und sich durch Stahl und Blut getauft zu neuem Heldentum aufschwingen. Kriege haben immer auch so funktioniert.

Ganze Generationen von Männern hielten es für unter ihrer männlichen Würde, in Frieden zu leben.

Nils Pickert

Ganze Generationen von Männern hielten es für unter ihrer männlichen Würde, in Frieden zu leben. Sie wollten raus, Abenteuer, Feinde töten, hochdekoriert werden und schließlich siegreich in die Arme einer sich nach ihnen verzehrenden Geliebten zurückkehren. So erklären sich beispielsweise auch die Fotos aus dem 1. und 2. Weltkrieg, auf denen sich begeisterte Soldaten von Zügen an die Front transportieren lassen und von ihren Frauen in der festen Annahme Abschied nehmen, sie bald wieder unter einer Laterne zu küssen

Krieg als die ultimative Möglichkeit, die eigene Männlichkeit und Größe unter Beweis zu stellen. Der Welt zu zeigen, was in einem steckt. Wir erzählen Männlichkeit schon so lange auf eine so pervertierte Weise, dass diese Idee immer noch in den Köpfen von Männern steckt. Dabei müssten sie es besser wissen. Nie waren Kriege und die mit ihnen verbundenen Gewaltexzesse besser dokumentiert als heute. Trotzdem verfallen sie der „Emotionalität, Suggestionskraft und Sinnstiftungsdynamik“ eines möglichen Kriegsbeginns, als hätte ihnen niemand gesagt, was Krieg wirklich bedeutet. So als wären sie die Söhne reicher Plantagenbesitzer aus den Südstaaten, die ihre Große Tour durch Europa unbedingt abbrechen mussten, um bloß nicht den Bürgerkrieg zu verpassen. Bloß nicht zu spät zu kommen, wenn alle Ehre schon gewonnen ist.

Und der zweite Grund ist, dass man(n) mit dem Leben anderer Männer gerne „großzügig“ umgeht. Die sollen sich mal schön in die Schlacht werfen. Je mehr sie dabei als „Fremde“ zu identifizieren sind, desto leichter. Dann sitzt man(n) schön in seiner muckeligen Bude vor dem Rechner und identifiziert andere Männer als „untaugliche Weicheier“, als „Versager“ und „Feiglinge“, weil sie nicht bereit waren zu kämpfen.

Screenshot vom 13.09.21: Kommentar unter einem Artikel der Tagesschau

Das nennt man Gratismut und es ist das Männlichkeitsgebalze derjenigen, die es nichts kostet. Die ohne viel Aufwand in der Sicherheit der eigenen vier Wände andere durch billige Signale zur Kampfbereitschaft zum Krieg verurteilen. Zu Grausamkeiten, Angst, Gewalt, Verstümmelung und Tod. Aber es gibt nicht nur den Gratismut der Männer auf Kosten anderer Männer. Auch Frauen beteiligen sich an dieser Missachtung des Lebens von Männern, für die man jetzt leider, leider nichts mehr tun könne, weil jetzt gehe es nun einmal um andere Prioritäten. Am 16.08. forderte Alice Schwarzer „jetzt nur Frauen als Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen„. Angesichts der Gefahr, die insbesondere Frauen unter der Schreckensherrschaft der Taliban droht, mag das zunächst wie eine nachvollziehbare Forderung erscheinen. Aber am 16.08. hingen sich auch ein paar verzweifelte Jungen an das Fahrwerk eines Flugzeugs der US Air Force. Als sie sich nicht mehr halten konnten, stürzten sie aus dem Himmel in den Tod. Sie starben wie ihre Träume, den rettenden Westen zu erreichen. Waren sie es etwa nicht wert, vor Verzweiflung, Folter und Tod gerettet zu werden? Oder warum werden Männer hier wie Wegwerfprodukte behandelt, die man entweder ganz entspannt in den Krieg kommandiert oder deren Tod man billigend in Kauf nimmt? So als hätten sie kein Recht zu leben. So als würde niemand sie betrauern.

Männer sind kein Kriegswerkzeug. Sie sind auch kein Materialschaden, den man zur Rettung von Frauen in Kauf nehmen kann. Manche von ihnen begehen unfassbare Gräueltaten, anderen werden sie zugefügt. Und wieder andere haben mit all dem nichts zu tun. Wenn wir nicht endlich damit aufhören, Männlichkeit als kriegerische und blutdurchdränkte Heldenreise zu erzählen, dann wird das alles nie aufhören. Dann werden wir niemals herausbekommen, wie friedlich und gleichberechtigt wir miteinander leben könnten, wenn weder Frauen noch Männer für einen fanatischen, gewalttätigen Männlichkeitskult mit ihrem Leben bezahlen müssten.

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Bildquelle: UX Gun/Unsplash