Männerfreundschaften

Ich hätte nicht gedacht, dass mir Körperkontakt so fehlen würde. Neben dem für mich doch ziemlich anstrengenden Gefühl, eingesperrt zu sein, ist die Abwesenheit von körperlicher Nähe eines meiner verdeckten Hauptdefizite, die mir die Pandemie über die Wochen immer deutlicher vor Augen führt. Und das, obwohl ich viel Intimität in meinem Leben habe. Das ist einer der Vorteile einer sehr haptischen, kuschelbedürftigen sechsköpfigen Familie. Es ist etwas anderes: Corona hat mir mit erschreckender Deutlichkeit klargemacht, wie sehr mir der freundschaftliche Körperkontakt mit Männern fehlt. Und zwar nicht erst seit März dieses Jahres.

Mein Vater und mein Bruder wohnen in anderen Städten. Meine Söhne sind mir sehr nah, auch körperlich, aber eben als meine Kinder. Und selbst wenn es weniger umarmungsfeindliche Zeiten wären, zeichnen sich Männerfreundschaften nicht gerade durch eine Nähe aus, die von Zärtlichkeit geprägt ist und nicht von krachenden „Der Fußballclub hat gewonnen“ Körpern, die bei jedem Kontakt „No homo/nicht schwul/Sportausnahme, wir dürfen das“ zu schreien scheinen. Dass 2/3 aller Männer keine Freundschaft haben, in der intime Gespräche und Berührungen Platz haben, ist so offensichtlich wie schade. Und dass Männer sehr unterschiedlicher Milieus angeben, unter der Beendigung einer Männerfreundschaft nicht sonderlich zu leiden, ist nicht etwa ein Anzeichen für emotionale Stabilität, sondern hochgradig besorgnisserregend. Gleichzeitig existieren Studien, die belegen, dass Männer mit ihren Bromance-Beziehungen zu anderen Männern zufriedener sind als mit ihren romantischen Beziehungen zu Frauen. Das Bedürfnis und die Fähigkeit zu tiefer Männerfreundschaft existieren also – und zwar nicht nur im Fernsehen.

Sie scheint sich aber nicht einfach zu ergeben oder aufrecht erhalten werden zu können, sondern muss sich gegen Widerstände durchsetzen, die von traditionellen Männlichkeitskonzepten herrühren und durch die Verkomplizierung von Männerfreundschaften sogar die psychische Gesundheit gefährden. Der Psychotherapeut Robert Garfield hat das 2016 in einem Buch als Male Code bezeichnen, den Mann brechen müsste, um die Kraft von Freundschaft wirklich zu erfahren. Männer verharren zu oft in Funktionsfreundschaften: Arbeitsfreunde, Nachbarschaftsfreunde, „Hast du das Spiel gesehen“ Freunde, „Hast du den Artikel gelesen“ Freunde und „Tja, unsere Kinder verbringen ja jetzt Zeit miteinander, was machst’n du so?“ Freunde. All diese Freunde zu haben, ist nichts Schlechtes. Aber wer von denen ist noch mal der „Sie hat mich verlassen, mir geht es beschissenen“ Freund? Der „Mein Kind ist krank“ oder der „Ich bin so einsam“ Freund? Der „Nimm mich in den Arm, mir ist das alles zu viel hier“ Freund?

Ich hatte einst so einen Freund. Einen Kindheits- und Jugendfreund, der mir so viel bedeutet hat, dass all diese Dinge hätten möglich sein müssen. Einen Freund, bei dem ich rückwirkend bitter bereue, dass ich nicht in einer Gesellschaft aufgewachsen bin, die mir erlaubt hat, meinen Freund zu lieben. Denn geliebt habe ich ihn zweifellos – auch wenn ich es ihm nie gesagt habe. Ich wäre ihm auch gerne körperlich näher gewesen. Aber er und ich waren das, was die Entwicklungspsychologin Niobe Way als „emotional analphabetisch“ bezeichnet.

Die Gefühle waren also da, aber die Möglichkeit und der Raum, sie auszudrücken, fehlte. So sehr, dass es einer absoluten Ausnahmesituation bedurfte, um den Male Code zu brechen. Als ich im letzten Jahr auf der FEBuB Familienkonferenz mein Buch Prinzessinnenjungs vorstellte und diese darin enthaltene Episode erzählte, musste ich ziemlich schlucken: Der einzige Moment, in dem ich meinen Freund nicht knuffend, rempelnd, raufend oder schubsend berührte, war als mich unsere Klassenlehrerin aufforderte, ihm ins Gesicht zu schlagen. Mich und alle anderen. Weil er nicht bei den Jungpionieren war, die er „sinnlos“ und „scheiße“ fand. Ich hab ihm stattdessen über die Wange gestreichelt und das war auch gut so. Leider nicht häufiger. Leider nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit, obwohl wir uns so nahe waren und es sich gut angefühlt hätte. Das Bedauern darüber kann allerdings nur ein Anfang zu besseren, tieferen Männerfreundschaften sein. Um den Prozess einer emotionaler Alphabetisierung bei gleichzeitigem Entlernen von intimitätsblockierendem Verhalten. Damit es nicht immer Katastrophen wie den Tod der jeweiligen Partnerinnen braucht, um beispielsweise zwei Sportjournalisten nach Jahren der /Zweckfreundschaft/Bekanntschaft wirklich zu verbinden.

Damit Mann sein eigenes Bedürfnis nach Intimität nicht beständig schlecht redet und beschneidet. Damit wir uns näher sind.

Bildquelle: Unsplash

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