Magere Models von den Laufstegen bannen – bringt das was?

 

Sicher habt ihr es schon gehört: Frankreich überlegt, „Magermodels“ zu verbieten bzw. Geldstrafen von Agenturen zu fordern, die Models mit einem BMI unter 18 beschäftigen. Immer wieder wurde gefragt: Warum postet ihr das nicht jubelnd auf Facebook? Weil es dazu einiges an Erklärung bedarf und wir das nicht unkommentiert stehen lassen möchten.

Zunächst die kritischen Anmerkungen: Ein Model mit einem BMI von 18 kann bei einer Größe von 175 cm 55 Kilogramm wiegen. Schon das ist echt dünn, extrem dünn wird die Modewelt auch mit einem „Unter-BMI 18-Verbot“ bleiben. Ein solches Verbot suggeriert: Jetzt haben wir die Gefahren ausgemerzt! Alles ist gut! Dabei ist es das mitnichten. Und überhaupt, ist eine solche BMI-Grenze gerecht? Die meisten von uns kennen die eine oder andere Frau, die ungewohnt dünn ist und trotzdem regelmäßig menstruiert, reichlich isst und kraftvoll ihr Leben lebt. Die darf dann nicht mehr modeln? Sehr schwierig. Zum Glück darf auch sie mit der geplanten Regelung auf den Laufsteg, wenn sie ein Gesundheitsattest vorweist. Doch gerade die paar Prozent Frauen, die genetisch dünn, groß und gesund sind, finden sich oft in der Modelwelt und zeigen dann weiter ein sehr seltenes Körperbild, das repräsentativ für ein universelles Schönheitsideal ist. Was ist also gewonnen?

Es ist ein riesiger Fortschritt, wenn Regierungen endlich Verantwortung für die Ausweitung und Opfer von Essstörungen nehmen und den Zusammenhang mit einem übertrieben schlanken Schönheitsideal anerkennen. Dieses Schönheitsideal gilt es dringend aufzuweichen mit Models verschiedener Körpergrößen, die keinesfalls als „Plus-Size“ ausgewiesen werden sollten. Auch ein BMI von 18 kann sehr mager wirken und für die Mehrheit der Mädchen ohne lebenslange Diät unerreichbar bleiben. Der umgekehrte Hohn einer solchen Regelung kann leicht die Essgestörte sein, die auch mit einem BMI von 18 oder 19 nicht mehr menstruiert oder sich regelmäßig und nach außen nicht sichtbar übergeben muss, um ihr Gewicht zu halten. Ein Diversitäts-Gebot wäre insofern viel effektiver, aber unmöglich durchzusetzen. Die Lobby der Modeindustrie kriegt beim Wort „Diversität“ Schnappatmung: Immer wieder wird betont, dass Mode an sehr schlanken Personen einfach „besser aussieht“ und sich besser verkauft.

Komplett feiern tun wir die Überlegungen, Betreiber*innen von Pro-Ana-Seiten (Webseiten, die Essstörungen glorifizieren) in Frankreich unter Gefängnis- und Geldstrafe zu stellen. Ein Unter-BMI18-Verbot hingegen kann aber leicht das Zeichen setzen, dass ab BMI 18 schon alles okay ist. Und das ist es keineswegs. So wie Cannes jetzt den „Glass Lion“ vergibt, um geschlechtergerechte Werbung zu motivieren, sollte die französische Regierung zusätzlich zur neuen Regelung Diversitätspreise ausschreiben, um zu zeigen, dass ein solches Verbot nur ein Anfang sein kann.
Manch eine Kritikerin beklagt, dass mit diesem Verbot Essgestörte als „dumme Frauen wirken, die nur wie Models aussehen wollen“. Magersucht sei eine Krankheit, keine Eitelkeit. Diese Argumentation ärgert uns maßlos. Natürlich sind Essstörungen kein Ausdruck von Eitelkeit. Dass aber zwangsneurotische Störungen ihr Krankheitsbild heute im Hungern oder Kotzen, nicht aber im „Wahnsinnigwerden“ des Anfangs des letzten Jahrhunderts finden, liegt an einer Verschiebung der Kontrolle von Frauen: Vom Festhalten im Wohnzimmer, strickend und lesend, zum Festhalten in der Körperkontrolle, u.a. zur wirtschaftlichen Ausbeutung. Wer dies mit „Ich war magersüchtig, weil ich unglücklich war, nicht, weil ich Model werden wollte“ abtut, der will diese Zusammenhänge nicht sehen. Die überall präsente Darstellung von dünnen Körpern drückt aus: „Kontrolliere Deinen Körper, und du bist wer. Du hast Erfolg. Du hast eine Daseins-Berechtigung.“ Das ist die Botschaft, die es dringend zu stoppen gilt, weil sie als Droge wirkt für Mädchen und Frauen, denen zu selten andere Wege gezeigt werden, Selbstermächtigung zu spüren und genießen zu dürfen.