Männerkörper
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Eine Kolumne von Nils Pickert

Body Positivity scheint für Männer kein besonders wichtiges Thema zu sein. Und falls doch, dann wird es von queeren Männern besprochen, die sich intensiv mit ihren Körpern auseinandergesetzt haben. Aber innerhalb der heterosexuellen Cis-Normativität geht es immer noch darum, sich möglichst krass zu machen. Sichtbare Muskeln, lückenloser Haaransatz und einen Penis, der möglichst die Ausmaße eines Unterarms hat.

Dass Frauen selten bis gar nicht Dinge sagen wie „Hey, dein lateraler Muskelkopf ist mir ein bisschen zu undefiniert, mach mal was dagegen!“ oder auch „Unter 20 cm Schwanzlänge brauchst du gar nicht in mein Bett zu steigen!“ spielt dabei keine Rolle. Wir machen uns diesen Film schon selber.

Zur Erinnerung: Wir leben in einer Welt, in der Männer Pillen schlucken, um angeblich oder tatsächlich die Menge ihres Spermas in sexuellen Kontexten zu erhöhen.

So als hätte irgendeine Frau im Verlauf der Menschheitsgeschichte jemals gesagt: „Du, also das Sperma, das du mir vorhin beim Sex auf die Brüste gespritzt hast, war mir echt zu wenig. Fand ich ungeil.“

Wie gesagt: Männer sind Meister darin, sich mit Anforderungen unter Druck zu setzen, von denen sie lediglich annehmen, dass sie den Erwartungen von Frauen entsprechen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich gibt es Frauen, die Ansprüche und sogar übergriffige Anforderungen an Männer formulieren, und mit Enttäuschung und Abwertung reagieren, wenn sie nicht erfüllt werden. Hashtag smalldickenergy. Hashtag schlappschwanz. Tatsächlich sind die Erwartungen von Frauen an den männlichen Körper aber häufig ziemlich realitätsbezogen. Was sie sich mehrheitlich in puncto Penisgröße von ihrem Sexualpartner wünschen, ist nicht etwa 10 Zentimeter über dem Durchschnittspimmel, sondern ziemlich nah dran.

Und auch beim Kauf von Sextoys greifen die meisten Frauen zu einem Dildo zwischen 16 und 17 cm Länge, statt zum über 20 cm großen Riesengerät. Wenn man dann noch die Materiallänge abzieht, die benötigt wird, um den Dildo vernünftig halten und einführen zu können, landet man wieder knapp über der durchschnittlichen Penislänge. Die Männer übrigens oft höher einschätzen als sie ist.

Männer versuchen sich also häufig in einem nur angenommenen Bedarfsfall krass zu machen oder sorgen sich. Dabei wäre es viel wichtiger, dass sie sich selbst annehmen. Ansonsten werden Phänomene wie die Spreizung zwischen der von Männern angenommenen Attraktivität von Muskeln und der von Frauen tatsächlich wahrgenommenen immer wirkmächtiger. Das Problem Muskeldysmorphie betrifft immer mehr junge Männer, die meinen pumpen gehen zu müssen, statt sich für einen Sport zu entscheiden, der ihnen Spaß macht und guttut.

Wenn der ganze Körper als Problemzone wahrgenommen wird, dann ist der Brustumfang nie groß genug – egal wie viel du wie oft im Gym stemmst. Gefilterte Instabilder von Fitfluencern tun ihr Übriges. Selbsternannte Alphas, die schmächtigeren Betas das Geld aus der Tasche ziehen, während die restlichen Männer sich darüber wundern, was da für ein Zirkus veranstaltet wird … und dann achselzuckend weitergehen.

In dieser Gruppe habe ich mich bislang verortet. Mittelalt, mittelgroß, mittelfit und penisdurchschnittlich. Meine Fresse, was für eine bequeme Ausgangslage. Selten mehr wollen als mann hat und in der erfahrenen Gewissheit leben, dass es in den meisten Fällen genug ist. Das reicht aber nicht. Es genügt eben nicht, sich aus der Debatte herauszuhalten und „diesen ganzen Unfug nicht mitzumachen“. Eigentlich wäre es Zeit für eine Body-Positivity-Revolution der Männer – es macht nur kaum jemand mit, weil die meisten damit beschäftigt sind, sich als Gewinner, Verlierer oder Unbeteiligte zu sehen. Nur, dass es keine Unbeteiligten gibt. Körper haben wir alle.

Eine kleine Revolution hat schon begonnen. Der YouTube Kanal Baldcafe versucht zum Beispiel, Männer dazu zu ermutigen, mit ihrem Haarausfall klarzukommen und ihn anzunehmen, anstatt Geld für überteuerte, nutzlose Produkte auszugeben. Regelmäßig veröffentlicht er Clips, in denen Männer zu sehen sind, die sich nach jahrelanger, manchmal jahrzehntelanger Leidensgeschichte entschließen, mit ihrem Aussehen endlich liebevoller umzugehen und es anzunehmen.

In den Kommentaren dazu liest man dann Sätze wie „Ich würde jedes Haar auf meinem Kopf gegen einen Freund eintauschen, der so unterstützend ist wie der Freund von diesem Typen im Clip“. Baldcafe scheut sich auch nicht, diejenigen zu benennen, die von der Verunsicherung und dem Leid dieser Männer profitieren.

Von daher sollte ich an dieser Stelle ergänzen: Für mein Alter habe ich überdurchschnittlich viele Haare auf dem Kopf. Ich bin hier nicht mal nur unbeteiligt, sondern stehe sogar auf der Gewinnerseite. Aber wenn ich, wenn wir Männer leidend, triumphierend oder teilnahmslos weitermachen, haben wir alle verloren – egal wie überlegen wir uns wähnen und wie super wir uns geben. Also brauchen wir viele Anfänge für die Revolution. Ich hätte da auch einen:

Ich habe Dehnungsstreifen. Wusstet ihr, dass das auch bei Männern ein Ding ist? Meistens auf den Oberschenkeln und am Rücken. Falls nicht, kein Wunder. Insbesondere, wenn du ein Mann bist. Die Tatsache, dass auch Männer Dehnungsstreifen bekommen, läuft so unter dem Radar, dass sich dazu genau null Einträge im Magazin Men’s Health finden.

Dafür gibt aber einen (ziemlich guten) bei der Zeitschrift Brigitte. Wieder mal typisch: Was Body Positivity angeht, sind Frauen den Männern weit voraus. Damit meine ich nicht diese egale Wurschtigkeit. Egal können wir Männer. Ich meine Annehmen.


Annehmen also. Ich trage meine seit der Pubertät auf der Innenseite der Oberschenkel. Einige schimmern leicht bläulich und sind stellenweise so dick wie mein kleiner Finger. Als junger Mann habe ich mich deshalb nur mit langer Badehose ins Schwimmbad und an den Strand getraut. Mittlerweile finde ich sie ok. Auch in kurzen Badehosen oder nackt. Es sind halt einfach Wachstumsstreifen.

Wachstum klingt gut.


Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

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