Eine Kolumne von Nils Pickert
Triggerwarnung: Die folgenden Inhalte behandeln Themen wie Tod, sexualisierte Gewalt und Sexismus.
Als Team von PINKSTINKS haben wir darüber diskutiert, ob wir diesen Beitrag veröffentlichen wollen, denn wir reproduzieren damit explizite Inhalte. Da wir den Text sehr wichtig finden, haben wir uns aus folgenden Gründen für eine Veröffentlichung entschieden:
1. Weil wir damit die Sexualisierung, Objektifizierung und Herabwürdigung, die Marilyn Monroe erfahren musste, mit kaum bekannten Details beleuchten, die im deutschsprachigen Raum bisher nicht zusammengetragen worden sind.
2. Weil das Beispiel von Marilyn Monroe im Kontext der aktuellen Geschehnisse rund um die #MeToo-Bewegung zeigt: Sexismus ist ein tiefgreifendes Problem unserer Gesellschaft, heute wie damals. Dem treten wir mit lauter Stimme entgegen.
„Sie sah aus wie eine durchschnittliche, alternde Frau, die nicht besonders gut auf sich geachtet hat. Ihre Beine wurden mindestens eine Woche nicht rasiert und ihre Lippen waren spröde. Außerdem hätte sie dringend Maniküre und Pediküre gebraucht.“ Diese Aussage stammt von Allan Abbot, der sich im Hollywood der 60er Jahre einen Namen als Leichenbestatter für Stars wie Clark Gable und Gary Cooper gemacht hat. Abbott wurde damals mit der Bestattung von Marilyn Monroe beauftragt und fand es nach Inspizierung ihrer Leiche „unvorstellbar, dass sie das gewesen sein soll.“ Er störte sich daran, dass sie Flecken im Gesicht hatte und ihre Haarwurzeln nicht gebleicht waren.
So frech einfach von der Schauspielerin, sich mit Blick auf ihr mögliches Ableben nicht präsentabel gemacht zu haben. Was soll Mann denn davon halten?! Nicht viel. Mit ihrem Maskenbildner Allan „Whitey“ Snyder besprach er ausgiebig die unzufriedenstellende Form ihrer Brüste. „Von ihren berühmten schönen Brüsten war nichts mehr übrig“, sagte er später in Interviews. Abbott nahm ihre BH-Einlagen (sogenannte Falsies) an sich und ließ sie sich einrahmen, um sie sich an die Wand hängen zu können. Man schnitt ihr Haarsträhnen ab, die bis auf den heutigen Tag für viel Geld in Auktionen veräußert werden. Genauso wie ihre Kleider, persönlichen Gegenstände und sogar medizinische Röntgenaufnahmen.
Im Leichenschauhaus verschaffte sich anschließend der Fotograf Leigh Wiener Zugang und Zugriff zum Körper der Verstorbenen. Er bestach ein paar Leute mit Alkohol und machte Fotos von der Leiche, die er an das Life Magazin verkaufte. Darunter unter anderem ein Bild ihres Fußes mit einem Zettel daran, das um die ganze Welt ging. Die drei Rollen Film, die Wiener dem Magazin verkaufte, sind aber nicht alles. In einer kürzlich erschienenen Dokumentation berichtet Wieners Sohn, sein Vater habe damals zwei weitere Filmrollen verschossen – mit postmortalen Nacktaufnahmen. Norma Jeane Baker durfte und darf nichts für sich behalten. Selbst mit ihrem Tod erlischt die Anmaßung eines sexistischen Zugriffsrechts auf ihren Körper und ihre Biografie nicht. Egal, wohin sie sich auch wendet, überall sind die gierigen Blicke und Hände von Männern. Ihr Sterben wird nach männlichen Gefälligkeitsansprüchen bewertet. Noch im Tod wird sie sexualisiert.
Der Mann, der testamentarisch verfügt hat, sich über Marilyn Monroe begraben zu lassen, hieß Richard Poncher. „Wenn ich krepiere und du mich nicht mit dem Gesicht nach unten und mit Blick auf Marilyn begräbst, dann werde ich dich bis in alle Ewigkeit jagen.“ ließ er seine Frau wissen. Also wurde sein Leichnam vor der Sargschließung umgedreht. 1996 schreibt der Spiegel, mit dieser letzten „Ruhestellung“ habe es eine „erotische Bewandtnis“.
Der Mann, der neben Marilyn Monroe begraben liegt, hieß Hugh Hefner. „Ich werde den Rest meiner Ewigkeit mit Marilyn verbringen“, sagte der Mann, der die Schauspielerin nie getroffen hatte, mit ihrer Nacktheit gegen ihren Willen ein gigantisches Imperium schuf und ein gewaltiges Vermögen anhäufte. Die Aufnahmen, die Hefner 1953 in der ersten Ausgabe seines Playboys zeigte, hatte Monroe vier Jahre zuvor aus Geldnot vom Fotografen Tom Kelley anfertigen lassen. 50 $ hatte sie dafür bekommen und Kelley das Versprechen abgenommen, die Aufnahmen niemandem zu zeigen. Hefner zahlte für die Fotos 500 $ und verkaufte von der Playboyausgabe fast 50.000 Exemplare.
„Ich habe nicht einmal ein Dankeschön von all denen bekommen, die Millionen mit einem Nacktfoto von Marilyn gemacht haben. Ich musste mir sogar selbst eine Ausgabe des Hefts kaufen, um mich selbst darin zu sehen“, sagte die Schauspielerin später.
Die Lebensgeschichte von Marilyn Monroe ist zweifellos einmalig. Der widerwärtige Sexismus, den Mann ihr nicht nur zeit ihres Lebens entgegenbrachte, ist es hingegen nicht. Denn selbst nach ihrem Tod wollte Mann nicht damit aufhören, sie zu besitzen. Vielleicht ist diese Art der postmortalen sexistischen Aneignung außergewöhnlich und sprengt jeden Rahmen. Aber vielleicht wird die Darstellung von weiblichen Leichen seit Jahren auch dazu verwendet, um Krimis aufzuwerten und Produkte zu verkaufen – als Modetrend sozusagen. Vielleicht hört man unsere Frauenverachtung sogar aus den spärlichen Nachrufen heraus, die über Frauen existieren. Oder daraus, dass wir sie selbst dann noch „Frau von“ nennen. Selbst auf Grabsteinen sprechen wir über Frauen immer noch zu oft nur in ihrer Zugehörigkeit zu Männern.
Kurz bevor Allan Abbot im November 2015 starb, erschien noch ein Buch mit seinen Lebenserinnerungen darüber, wie es ist, der Bestatter der Stars zu sein. In den zur Veröffentlichung geführten Interviews schwärmte er immer noch über den Besitz von Marilyn Monroes Falsies. Sie würden zu seinen wertvollsten Besitztümern gehören, sagte er. „Und sie sind ein Vermögen wert.“ In einem Nachruf auf ihn ist zu lesen, dass er sich gerne damit brüstete, der letzte Mann gewesen zu sein, der Marilyn Monroe im Arm hielt. Weil er ihren Körper hochhob, damit ein Einbalsamierer seine Arbeit machen konnte. Männer wie Abbott, Snyder, Wiener, Kelley, Poncher, Hefner und wie sie nicht alle heißen, sollten nicht das letzte Wort über Marilyn Monroe haben. Über keine Frau. Deswegen gehören die letzten Worte in diesem Text ihr:
„Die Wahrheit ist, dass ich nie jemanden getäuscht habe. Ich habe Männer sich selbst täuschen lassen. Männer hatten mitunter kein Interesse daran herauszufinden, wer oder was ich war. Stattdessen haben sie einen Charakter für mich erfunden. Ich habe nicht mit ihnen gestritten. Sie haben offensichtlich jemanden geliebt, der ich nicht war.“
HILFSANGEBOTE UND LINKS:
- Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen: rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Nummer 116 016
- Frauen-Info-Netz: Suche nach Hilfe-Einrichtungen in der Umgebung
- Bundesweite Frauenhäuser-Suche
- ProFamilia bietet eine Onlineberatung an und auf der Website findet ihr außerdem Beratungsstellen in eurer Umgebung.
- Hilfeportal sexueller Missbrauch mit Suchfunktion nach PLZ!
- Die Anlaufstelle „Weisser Ring“ berät Betroffene sexualisierter Gewalt und Stalking.
- Das „Ergänzende Hilfssystem (EHS)“ unterstützt Menschen, die als Kinder Missbrauch erfahren mussten.
- Die Nummer vom deutschlandweiten Heimwegtelefon könnt ihr jederzeit erreichen:
030 – 12 07 41 82
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die uns alle betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter “Frau” und “Mann” berücksichtigen.
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Bildquelle: wikimedia