„Was soll ich denn jetzt machen?“ Die Frau, die diese Frage an mich richtet, ringt sichtbar um ihre Fassung. Sie ist zu meiner Veranstaltung gekommen, hat sich geduldig angehört, was ich über „Lebenskompliz♡innen“ zu sagen habe, über geschlechtergerechte Beziehungen und Mental Load und möchte wissen, was genau sie mit meinen Aussagen anfangen soll. Einiges wusste sie schon, manches war ihr neu und zu vielem hat sie genickt. Sie ist nicht die erste Frau, die nach einer Lesung oder einem Vortrag von mir aufsteht und wissen will, worin hier jetzt eigentlich genau die Handlungsanweisung bestehen soll.
Diese Frauen fangen meistens damit an, dass sie sich für mein Buch und oder meine Arbeit bedanken und leiten dann dazu über, dass sie es „schwierig finden, all diese Dinge umzusetzen“.
„Ich dringe zu meinem Partner einfach nicht durch.“
„Ich rede seit Jahren auf ihn ein.“
„Ich kann bald nicht mehr.“
„Ich gehe einfach unter.“
Diese oder Variationen dieser Sätze zeigen mir immer wieder überdeutlich, wo wir in Sachen Emanzipation stehen, beziehungsweise stecken geblieben sind. Die Frauen, die sich erheben und so sprechen, sind unendlich erschöpft. Sie sind ermattet, müde, wund, enttäuscht und traurig. Sie sind rat- und hilflos. Sie stecken in heterosexuellen Beziehungen zu Männern, die sie lieben und mit denen sie ihre Vision von Liebe und ihre Version eines gemeinsamen Lebens verwirklichen wollen. Aber es funktioniert einfach nicht. Und noch schlimmer: Oftmals trauen diese Frauen seit langer Zeit ihrer eigenen Wahrnehmung nicht, weil sie oberflächlich betrachtet mit einem aufgeschlossenen, liebevollen, an Gleichberechtigung durchaus interessierten modernen Mann liiert sind, der kein Interesse daran hat, sich für seinen Job tot zu schuften oder seine Kinder niemals zu sehen. So ein moderner Beziehungsmann, ist durchaus willens und in der Lage, sich auch mal zu kümmern. Er weiß, wie man ein Baby hält und eine Windel wechselt und hilft im Haushalt mit. Er ist einer von den Guten™. Und als einem von den Guten ist es gar nicht so leicht, ihm auf die Schliche zu kommen und seinen Bluff zu durchschauen. Denn in Wirklichkeit ist es eben nur ein Mithelfen statt einer gleichberechtigten Beziehung auf Augenhöhe, bei der er selbstverständlich seinen Teil dazu beiträgt.
Ein mal mehr, mal weniger unterschwelliges Abwälzen von Arbeit und Verantwortung zugunsten der eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Tausendundeine glaubwürdige Formulierung wird da für das Veranstalten des Geschlechterzirkus gefunden, in dem es am Ende doch immer nur darum geht, dass sie sich zu kümmern hat, weil sie eine Frau ist.
„Schatz, es macht wirklich gar keinen Sinn, dass ich länger als zwei Monate bei den Kindern bleibe – gerade ist so ein kritischer Moment in meiner Karriere.“
„Das Haus sollte auf meinen Namen laufen, du hast nur einen Halbtagsjob.“
„Ich würde ja gerne mehr mit den Kindern machen, aber du kritisierst mich ständig.“
„Mich stört der Dreck ja auch nicht so.“
„Wenn du Hilfe brauchst, hättest du doch nur was sagen müssen!“
Und, ach, es klingt viel zu lange irgendwie einleuchtend. Außerdem hat er ja wirklich viel zu tun. Und mit den Kindern hilft er auch. Schließlich taumelt sie immer verzweifelter und überforderter durch den gemeinsamen Alltag und ist sich ob seiner verbalen Aufgeschlossenheit und moderner Mann/neuer Vater Attitüde nicht sicher, ob sie sich das alles eventuell doch nur einbildet oder übertreibt. Verlangt sie womöglich zu viel? Müsste sie nicht damit zufrieden sein? Ihre Freundinnen erzählen ihr schließlich, dass es bei ihnen noch viel schlimmer ist!
Am Ende bleibt nur noch die Erschöpfung der Frauen. Alle Trümpfe wurden gezogen, jedes Gespräch dutzende Male geführt. Es wurde gebettelt und gefleht, geschimpft und geklagt, geflüstert und geschrien. Auch dann ist da noch Liebe. Selbst an diesem eigentlichen Ende sind Frauen noch gewillt, ihre Partner für ihre Vision von Liebe und ihre Version eines gemeinsamen Lebens über die Schwelle der eigenen Ignoranz und Unfähigkeit zu hieven. Und fragen unter anderem mich, was sie denn noch tun sollen, damit er endlich einsieht, dass etwas geschehen muss.
Leider habe ich nur eine ausgesprochen unzureichende und sehr schmerzhafte Antwort auf diese Frage:
Nichts. Es ist nicht deine Aufgabe und es liegt nicht in deiner Macht, ihn über die Ziellinie einer gleichberechtigten Beziehung zu tragen. Wenn er den Weg nicht zu gehen bereit ist, dann hat dieses Ziel für eure Beziehung nie existiert. An dieser Stelle noch eine weitere Aufgabe in der maximalen Überforderung zu übernehmen, noch einmal deine Bedürfnisse für seine hintanzustellen, damit die Überlastung dann endlich, jetzt aber wirklich, also diesmal ganz im Ernst final auflöst, kann nicht funktionieren. Es macht auch keinen Sinn, ihn in eine gleichberechtigte Beziehung bedrohen oder erpressen zu wollen. Denn der viel beschworene moderne Mann ist in heterosexuellen Beziehungen zu häufig ein high functional man-child. Ein Mann also, der sich in vielen Bereichen erwachsen, verantwortungsbewusst und – geben wir es ruhig unumwunden zu – ziemlich großartig verhält: Hilfsbereit, freundlich, mitfühlend, loyal und vieles mehr. All die Gründe eben, weswegen besagte Frauen ihre Partner geliebt haben und, ja, auch immer noch lieben und es gerne irgendwie mit allerletzter Kraft zum Funktionieren bringen würden. Ein Mann aber eben auch, der sich in zentralen Aspekten seines (Beziehungs-)Lebens unverantwortlich, störrisch, ignorant und zutiefst egoistisch verhält. „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles!“ heißt ein kluges Buch der Autorin Laura Fröhlich über Mental Load. Ja Mann, und sie übrigens auch nicht deine Mutti. Ganz abgesehen davon, dass deine Mutti auch nicht die Art Mutti ist, die du für dich von deiner Frau fürs Leben einforderst.
Also nein, es bleibt nichts mehr zu tun, außer sich zu entscheiden, ob es sich lohnt, diese Beziehung noch fortzuführen. Wenn man mir darin folgen will, dass gute Rahmenbedingungen für eine Liebesbeziehung aus Wohlwollen, Wahrhaftigkeit, Wandelbarkeit und Wissbegier bestehen, dann muss man sich schon die Frage stellen, wo das Wohlwollen all dieser Männer bleibt. Wenn die Partnerin immer wieder sagt: Ich bin überfordert, ich kann nicht mehr, mir wächst das alles über den Kopf, ich ertrinke hier gerade – bitte zieh mit, ich brauche dich hier: Inwiefern sollte es sich als wohlwollend beschreiben lassen, das zu ignorieren. Es abzutun. Wegzuschauen. Einfach nicht so ernst zu nehmen.
Ja, da kann noch Liebe sein. Aber letztendlich wird sie erlöschen in dem verzweifelten Anrennen von Frauen gegen die Mauern, die Männer hochgezogen haben. Frauen glauben, Männer verändern und retten zu können, weil es das ist, was Frauen nun einmal tun. Männer mauern, weil es das ist, was Männer nun einmal tun. Zumindest erzählen wir das einander.
Deshalb war und ist es seine Aufgabe, etwas zu tun. Es ist die Aufgabe von mir und anderen Männern, es ihm zu sagen. Es ist die Aufgabe seiner Freunde, ihm klarzumachen, dass er gerade dabei ist, seine Vision von Liebe und seine Version eines gemeinsamen Lebens zu verspielen. Zu verignorieren. Zu verprivilegieren. Denn am Ende ihrer Erschöpfung steht bezeichnenderweise oftmals seine Überraschung darüber, wie das alles passieren konnte und was denn schiefgelaufen ist. Es war doch eigentlich alles in Ordnung. Wer hätte das denn ahnen können? Hätte sie doch vorher mal was gesagt.
Bevor er ahnt, was ist, hört, was sie sagt, und merkt, wann etwas nicht in Ordnung ist, werden noch sehr viele Paare mit ihrer Vision von Liebe und ihre Version eines gemeinsamen Lebens dafür bezahlen, dass wir immer noch in Geschlechterfallen stecken.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich“ oder „männlich“ benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.
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