Milchmädchenrechnung

 

Lange war es schön entspannt bei uns auf Facebook: Über 16.000 Menschen diskutierten meist hoch differenziert und engagiert, ignorierten die vereinzelten Maskus, so dass die von selbst von dannen schlichen. Die Stimmung war lebhaft aber angenehm. Seit letzter Woche ist bei uns die Hölle los: Müllermilch lockt eben auch Menschen an, denen es egal ist, ob die Milch ihrer Wahl auf unethische Weise produziert wird, ob der dazugehörige Konzern keine Steuern zahlt oder er mit Sexismus und Rassismus wirbt. Und diese Menschen lieben Wortgewalt.

„Jetzt kaufe ich die Müllermilch erst recht, ihr Feminazis!“ ist der neue Ton bei uns. Wir sind alle „Emmas“ und, na klar, lustfeindlich, frustriert und „unterfickt“. Dass wir uns von Alice Schwarzers aktuellem Journalismus abgrenzen ist ihnen ebenso wenig klar wie unsere differenzierte Argumentation. Also sagen wir immer wieder: Nein, wir haben kein Problem mit Nacktheit. Nein, Burleske ist eine wunderbare, auch feministische Kunstform, aber laszive Frauenbilder sollten 2015 keine Milch mehr verkaufen müssen. Nein, 50er Jahre-Bilder sind nicht „geil“ sondern erinnern an eine Zeit, in der Frauen kaum Rechte hatten und sie allein durch Schönheit wirksam werden konnten. Oder wie sollen wir unseren Kindern das an der Kühltheke erklären? Dass Theo Müller nur zeigen möchte, wie gut es Frauen heute haben und wie schlecht damals? Da wurden Frauen noch mit Bananen gleichgesetzt und schwarze Frauen immer, und immer wieder, mit Schokolade!

Die kritischen Stimmen finden, dass wir übertreiben. Überhaupt, sagt n-tv, wäre es doch viel schlauer, diesen ganzen Müller-Schmarrn zu ignorieren: So hätten wir Müller doch viel zu viel Presse beschert. Und uns eine Horde Maskus, die gehörig nerven und viel Arbeit machen. Eine Milchmädchenrechnung also?

Keineswegs. Jeder Protest ist eine Chance, eine Handvoll Menschen zu sensibilisieren. Wenn nur ein paar bei uns hängen bleiben, die durch die Petition ins Nachdenken gekommen sind, haben wir etwas erreicht. Es ist eine Chance, den Medien zu zeigen, dass wir und viele andere Feminist*innen kein Problem mit Sex, sondern mit Sexismus haben. Von Brigitte über Spiegel Online bis NBC wurde über unsere Petition berichtet, die Süddeutsche beschäftigte sich gleich zweimal damit: In einem der Artikel wurde ein Marktforscher interviewt, der Müller einen ziemlichen Image-Schaden durch die Pin-Up-Edition vorhersagte und riet, die Edition schnell zurück zu ziehen.

„Milchmädchenrechnung“ meint meist eine „naive Argumentation“, mit anderen Worten, dass Mädels (und Jacob und Nils sind ja bestimmt auch welche, wenn sie in so einem „Mädchenladen“ wie unserem arbeiten) zu doof zum Rechnen sind. Nun, unsere Rechnung ging aber auf: Bisher haben fast 20.000 Menschen die Petition gegen Müllermilch unterschrieben. Auch die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Elke Ferner, unterstützt unseren Protest. Der Werberat wird zwar nicht rügen, weil es aktuell keine Werbebilder zu den Flaschen gibt, würde aber sofort tätig werden, wenn es welche gäbe. Und auch, wenn jetzt nicht mehr viel passieren wird (die Edition wird im Dezember auslaufen, und – fertig!) empörten sich viele Medien mit uns. Also alles gut. Dabei hörte ich noch beim „Shitstorm“-Podium mit Giovanni di Lorenzo und Anja Reschke letzte Woche, dass Shitstorms oft unkontrolliert verlaufen. Nein, berechnen können wir so etwas nie. Aber wir können alles dafür tun, dass unsere Proteste Erfolg haben, darauf setzen wir. Übrigens: Während Jacob und Lisa im Büro unermüdlich die Presse bedienten und auf Facebook und Twitter den „Shitstorm“ anschoben, saß ich im Bundestag, um über unsere Gesetzesnorm gegen sexistische Werbung zu sprechen. Geht doch, wir frustrierten Milchmädchen. Haben sogar sehr viel Spaß dabei. Und wenn alles gut läuft mit der Norm (das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb wird aktuell im Bundestag stark diskutiert, unsere Chancen stehen gut), müssen wir uns bald mit Kampagnen wie denen von Müller gar nicht mehr abgeben und können uns, liebe Maskus, „um die wirklich wichtigen Dinge im Leben kümmern“. Das wär doch schick! Nur – was macht ihr dann?

Lieben Gruß! Eure Stevie