Mit kleinen Schritten zum großen Ziel

Es allen recht machen geht nicht. Diese Erfahrung mussten wir auch mit unserer neuen Werbekampagne machen: Sehr viel Begeisterung auf der einen, einiges Entsetzen auf der anderen Seite. Warum wir tun, was wir tun, und warum nur klassische Werbung es den meisten recht zu machen scheint, erklären wir hier.

Werbung wirkt. Damit sie das tut, geben Werbestrateg*innen und Marketingprofis Einschätzungen ab, was die Überzahl der Rezipient*innen sehen möchte. Ihrer Meinung nach möchten die meisten Deutschen sehr junge Frauen in Größe 34 sehen, die sexuell verfügbar wirken. Diese Frauen sehen wir, täglich, überall. Und das Bild verkauft sich sensationell.

Mit unserer neuen Werbekampagne wollten wir nicht primär die Menschen erreichen, die dieses Bild nervt und die sich deshalb in den entsprechenden Debatten bereits engagiert haben. Bei Pinkstinks sind das z.B. nur 12.000 Menschen auf Facebook und 10.000 in unserem Newsletter, also 0,01% der Einwohner Deutschlands. Terre des Femmes ist sicher einer der größten feministischen Verbände, aber den meisten Leserinnen von In Touch oder Gala überhaupt nicht bekannt. Klassische Frauenzeitschriften erreichen Millionen von Menschen, viele wöchentlich.

Wir wollten die Menschen, die mit ihrem Körperbild hadern, weniger verdienen als Männer, alleinerziehende Mütter auf Hartz IV sind, sexuelle Diskriminierung kennen und gelernt haben, all dies mit „So ist es eben“ bzw. „So sind Männer eben“ zu erklären, ansprechen. Zeigen, dass es auch anders gehen kann, in kleinen Schritten, und sie dazu bewegen, sich unserer Position anzunähern. Wir wollen sie in ihren Sehgewohnheiten abholen und diese verändern. „Warum ist dieses Bild für eine feministische Kampagne? Das sind doch Radikale? Warum sprechen die in meiner gewohnten Bildersprache? Aber, Moment mal: Sind das Haare? Ist die Frau nicht zu kräftig und cool für Dessous-Werbung?“

So schlau kann man auch aus der Wäsche gucken

Redakteur*innen von Frauenzeitschriften, denen wir unsere alternativen Werbebilder zeigten, fanden diese „unglaublich mutig“. Sie lachten über die frechen Sprüche. „So schlau kann man auch aus der Wäsche schauen!“ fanden sie wunderbar, weil man Schläue, Brille, Computer, nächtliches Arbeiten und Dessous in klassischen Modestrecken nicht zusammenbringt: Dessous verkauft man mit Schlafzimmerblick, überschlanken Körpern und Frauen, die irgendwo rumliegen. Auch, dass das Model über 40 (Kleidergröße und Alter!) war, sahen die Expert*innen sofort, und fanden das grandios, aber gewagt. So etwas ist eigentlich ein No-Go in der Branche und fällt schon in den „Plus-Size“- oder „Age“-Bereich.

Ich mach die Bluse zu, wann es mir passt

„Ich mach die Bluse zu, wann es mir passt!“ erinnert Medienleute sofort an die Sexismus-Debatte des letzten Jahres. Nach dem #Aufschrei hatte Anti-Feministin Birgit Kelle mit ihrem Bestseller „Dann mach doch die Bluse zu!“ gewettert, Frauen seien selbst schuld, wenn sie belästigt werden würden. Genau dagegen hat die Slut-Walk-Bewegung protestiert, genau dagegen protestieren wir bei Pinkstinks immer wieder. Zum Beispiel mit unserem Bild einer jungen Frau, die in der traditionellen Männerdomäne (HafenCity, Finanzwelt) erfolgreich ist und schon ihr Blick die sexuelle Belästigung verbietet. Dass sie trotz ihrer Größe 40 ihre Figur zeigt: In der Gala-Leser*innen-Welt ist das eine Revolution.
Das Bein-Bild hingegen ließ viele explodieren: „Nein, damit kommt ihr nie durch! Das ist viel zu hässlich!“ Was Werbefachleute als unmögliches feministisches Extrem bezeichneten, war für manch eine Leser*in „blanker Sexismus“: Peeptoes mit 12cm Absatz! Und Minirock! Unmöglich! Gerade aber dieser Gegensatz ließ Moderedaktionen aus Grusel aufschreien, sie fanden nicht den Minirock obszön, sondern die „Wolle“ auf Ruths Beinen. Viele junge Frauen schrieben uns, dass sie begeistert seien: Sie liebten ihren Minirock, aber das tägliche Rasieren und schmerzhafte Waxing nerve sie. Die hatten wir also schon erreicht. Werber*innen, die unsere Kampagne auf Facebook teilten, erzählten, dass sie gespannt seien, ob wir mit unseren Edgar-Postkarten es schaffen, eine neue Zielgruppe zu erreichen. Wir sind es auch.

blanca

Auch Blanca Fernandez, die Pinkstinks-Theaterpädagogin auf der Bühne des St. Pauli-Theaters, fiel bei den Werber*innen durch: „Das wird nichts: So etwas will niemand sehen.“ (Sie meinten ihre Größe 44 bei einer Höhe von 160cm.) Ihr schon: Blancas Bild war der Favorit unserer Leser*innen und bekam die meisten Klicks. Ab Februar wird sie auf Leuchtlitfaßsäulen hängen und Heidi Klum zum GNTM-Start Konkurrenz machen. Fast 2000 Euro wurde für die Kampagne gespendet. Leider ist das nicht viel und reicht gerade mal für sechs Litfaßsäulen. Mit Aufrufen zur GNTM-Demo oder unserem neuen Büro bekamen wir locker das Doppelte. Ein Flopp? Eher eine Erfahrung, was geht, und was nicht so: Von der eigenen Szene, die es satt hat und gerne mal etwas komplett anderes sehen möchte, zu erwarten, dass sie diese sehr klein scheinenden Schritte mit finanziert. Das haben wir verstanden.

Es ist schwierig. Die Frage, die die Kampagne aufwirft, ist einmal wieder: Wem gehört der Feminismus? In einem Interview mit dem WDR heute Morgen wurde mir die Frage gestellt, was die vierte Generation Feminismus ausmache. Und ich antwortete, dass es die Pluralität sei, und die sei wunderbar. Wichtige, queer-feministische Blogeinträge, die aufgrund ihrer Sprache und benötigten Vorbildung nicht im Mainstream präsent sind, aber unverzichtbar für die Szene seien. Frauen, die es furchtbar finden, dass diese „jungen Feministinnen“ feministischen Porno feiern, weil sie ein ganz anderes, privateres Bild von Sexualität haben. Eine Frau sagte: „Furchtbar die Vorstellung, meine Tochter liefe in so einem Minirock herum!“. Das Bild kann ich nicht teilen. Aber jede*r hat seine eigenen, berechtigten Agenden. Die Vielfalt macht ein gemeinsames Agieren schwer, und es ist wunderbar, wenn es mal zusammen klappt. Doch die Unterschiede dürfen und müssen sein. Wir sehen uns nicht als „die“ Stimme des Anti-Sexismus, sondern als eine Möglichkeit unter vielen. Und auch unsere Stimme ist vielfältig: Von Bildungsarbeit an Schulen und Internet-Shitstorms über Lobbyarbeit am Bundestag bis zu dieser Kampagne, die manche „anbiedernd“ finden. Eine junge Feministin, Gewinnerin des GNTM-Gedicht-Wettbewerbs in diesem Jahr, fand die Bilder grandios: Nur die Haare auf den Beinen, die fand sie altbacken. Für sie war das nicht anbiedernd, sondern „altfeministisch“. Da wären wir wieder bei den Feminismen.

Mit unseren Werbebildern wollen wir unsere Petition an Heiko Maas bewerben. Der größte Widerstand ist dabei, dass man glaubt, wir wollten Dessous-Werbung verbieten. Das können und wollen wir jedoch nicht. Die Mehrheit der Frauen in Deutschland hat mit Dessous-Werbung kein Problem, sonst gäbe es mehr Kritik. Es gibt viele Frauen, die sich gerne „klassisch“ sexy zeigen möchten, aber die Magernorm satt haben oder das Bild, dass eine Frau ihre Bluse nur aufmachen darf, wenn sie dabei lasziv und verfügbar schaut. All das haben wir versucht mit unseren Bildern zu konterkarieren: Innerhalb der Sehgewohnheit von Konsument*innen, um sie nicht zu überfordern. Nach unserer Recherche wäre ein solches Bild am ehesten geeignet, Feminismus-ferne Menschen für unsere Norm, also ein Verbot sexistischer Werbung, zu begeistern.

Blancas Bild auf Leuchtlitfaßsäulen zu sehen, wird uns glücklich machen, weil Blanca unser Vorbild ist. Femke (Bluse) oder Ronja (Dessous) würden die Konsument*innen in ihren Sehgewohnheiten vielleicht eher abholen, weil erst auf dem zweiten Blick die Brüche mit dem Status Quo zu sehen sind und diese die Betrachtenden zum Denken animieren, was noch alles möglich sein könnte. Für die Edgar-Postkarten haben wir Blanca und Femke als Motive gewählt (mehr konnten wir uns nicht leisten). Wir hätten gerne alle vier Bilder geschaltet, um zu sehen, mit welchen wir am ehesten erreichen, dass sich Menschen unseren Inhalten zuwenden. Mit welchen wir am ehesten Interesse wecken, uns zu lesen, unsere Kritik am aktuellen Frauenbild in der Werbung aufzunehmen, überzeugt zu werden und unsere Petition zu unterschreiben: Für eine Gesetzesnorm gegen sexistische Werbung.

PS: Ein wichtiger Zusatz zu unserer Gesetzesnorm: Sicher ist diskutabel, ob die Werbebilder Frauenrollenbilder repräsentieren, die für jede Person progressiv wirken. Nach unserer Gesetzesnorm sind sie jedoch nicht sexistisch. Beispiel Beine: Natürlich kann ein Körperteil einer Person gezeigt werden, wenn es dezidiert um die Beine geht (Rasierschaum, Körpercreme, in unserem Fall Werbung für Beinbehaarung). Uneins waren wir im Team, ob die Beine sexualisiert sind: Frauen, die ihre Beine nicht rasieren, fanden ja – andere eher nicht. Zu fremd war das behaarte Bild. Sexualisierung ist nicht immer leicht zu benennen. Sie ist aber nicht per se diskriminierend. Es gibt aber Bereiche (z.B. Dessous-Werbung), in der sie nach unserer Norm erlaubt ist. Gerade deshalb ist es dort wichtig, starke Blicke einzusetzen. Das können wir nicht verordnen, sondern nur vormachen.