Mit Sexismus Leben retten?

Wir sind ja von Germany’s Next Topmodel einiges gewohnt, aber das hat selbst uns überrascht: In der gestrigen Ausgabe wurde bekannt, dass GNTM jetzt mit dem Bundesverkehrsministerium für eine neue Kampagne kooperiert, die das Tragen von Fahrradhelmen hip und cool für junge Leute machen soll. Dazu wurden Kandidatin Alicija von LA nach London zu Heidis Lieblingsfotografen Rankin geflogen und – anders macht es ja anscheinend gar keinen Sinn – in Dessous und Fahrradhelm gepackt. Das ganze unter dem Motto Looks like shit. But saves my life.

Dazu hätten wir an dieser Stelle mal ein paar Fragen:
Verfährt die Koalition jetzt nach dem Prinzip Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Während das BMFSFJ Geld ausgibt, um über Aktionen wie „Not Heidis Girl GNTM zu kritisieren, gibt das BMVI Geld dafür aus, GNTM zu promoten. Wir haben ein Video gegen ein sexistisches TV-Format produziert, das junge Frauen und Mädchen wiederholt erniedrigt, vorführt und bewusst ihre Grenzen verletzt. Das geschieht mittlerweile in der 14. Staffel. Wie läuft eigentlich die Vorrecherche für so eine Kooperation mit dem Verkehrsministerium?

Apropos Recherche: Präventionsarbeit für Sicherheit im Straßenverkehr ist selbstverständlich wichtig. Und es stimmt, dass insbesondere in der Altersgruppe 17-30, für die diese Kampagne konzipiert wurde, die wenigsten Radfahrer*innen (8%) einen Helm tragen. Es stimmt auch, dass viele „ästhetische Gründe“ dafür angeben, warum sie keinen Helm tragen. Da muss dringend etwas getan werden.
Aber dieses Anliegen kann doch nicht ernsthaft mit der Marke GNTM verbunden werden. Angesichts der vom Präsidenten des Deutschen Verkehrssicherheitsrats ausgegebenen Maxime

Es gibt nichts Wichtigeres, als die Gesundheit und das eigene Leben zu schützen

muss man sich schon fragen, was hier für eine Risikoabwägung vorgenommen wurde. Zur Erinnerung:
Laut der IZI Studie gaben 2/3 der von Essstörungen betroffenen Befragten an, dass GNTM einen Einfluß auf ihre Krankheit hat(te).
GNTM setzt unerreichbare Normen und fordert die „bedingungslose Anpassung an gesundheitsschädigende Körpernormierungen und Schönheitsideale“.
Mit anderen Worten: GNTM macht krank.
Die Leiterin der Studie, Dr. Maya Götz, hielt zu diesen Ergebnissen fest:

Wir brauchen dringend eine Erweiterung der medialen Bilderwelten und mehr Achtsamkeit beim Umgang mit jungen Frauen vor der Kamera.

Was hat man bei der #helmerettenleben Kampagne daran eigentlich nicht verstanden? Wo zeugt das denn bitte von mehr Achtsamkeit beim Umgang mit jungen Frauen vor der Kamera?

Und weil Verkehrsminister Fan von Botschaften ist, die etwas ziemlich genau auf den Punkt bringen: Wir haben da schon mal was vorbereitet.

Wann etwas sexistisch ist, ist im Grunde gar nicht so schwer zu verstehen.

Daran ändern auch zwei männliche Models als Nebelkerzen gegen das Problem nicht.

Als finale Frage bleibt, ob man das nicht mit wenig Aufwand hätte besser machen können. Ob man diese Ziegruppe nicht mit einer besseren, cooleren Kampagne hätte erreichen können, die sich nicht bei gesundheitsschädigenden Schönheitsidealen bedient. Weil Helme ja tatsächlich Leben retten. Dass die Antwort auf diese Frage JA lautet, haben wir gerade erst wieder gezeigt. Und zwar ohne Leute dafür über den Atlantik zu fliegen und ohne die „Regelsätze für Fotografen“ à la Rankin.

Looks like sexism, lieber Verkehrsminister Scheuer. Das reicht uns nicht. Und nicht nur uns wie die zahlreichen Zuschriften zeigen, die uns dazu innerhalb weniger Stunden erreicht haben:

Sehr geehrter Herr Scheuer,

in den Medien wird berichtet, dass zukünftig in Dessous gehüllte junge Mädchen für Ihre Helmkampagne mit den Worten „Looks like shit but saves my life“ werben werden. Ich hoffe sehr, dass Sie dies noch einmal überdenken. Die Fahrradfahrer (auch und gerade viele Kinder und Jugendliche), die ohne Probleme bereits Helme tragen, werden sich gedisst fühlen („looks like shit“).

Darüberhinaus sollte sexistische Werbung per se nicht durch ein Bundesministerium unterstützt werden. „Sex sells“ ist absolut old fashion und diskriminiert die Hälfte der Bevölkerung, denen Sie unter Eid geschworen haben, als Bundesminister zu dienen.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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