Mockridges heimliche Helfer

TW: Sexualisierte Gewalt

Einen kritischen Artikel über Luke Mockridge zu schreiben, ist nicht ganz ungefährlich. Als sich im April 2021 die Vorwürfe von diversen Ex-Partnerinnen bezüglich sexualisierter Gewalt, Manipulation und Übergriffigkeit durch Mockridge so zuspitzten, dass Aktivist*innen in den sozialen Netzwerken #konsequenzenfürluke forderten, beauftragte er einen Medienanwalt und ließ eine entsprechende Berichterstattung unterbinden. Es dauerte nur wenige Stunden, bis Artikel von Plattformen wie t-online und diversen Lokalnachrichten wieder verschwunden waren.

Übrig blieben ein paar wenige Berichte, die mit dürren Worten wiedergaben, dass sich SAT.1 als Haussender von Mockridge hinter den Comedian stellt und auf die Unschuldsvermutung pocht.

Es war von „Pranger“ die Rede, von „Lynchjustiz“ und anderen Schlagworten, die klarstellen sollten, dass hier ein Mann von einem rasenden Mob vorverurteilt wurde und man das so nicht hinnehmen würde. Tatsächlich war das auch als Warnung an all diejenigen gemeint, die über das Thema recherchieren und dazu schreiben wollten, dass sie es doch besser sein lassen sollten, oder sonst… Dieses “oder sonst” schwang so lautstark, so drohend mit, dass sich einige Prominente und Aktivist*innen zu Recht darüber beschwerten, wie wenig die Comedy-Szene sich zu der Sachlage verhalte.

Die Berichterstattung stagnierte – bis vor wenigen Tagen. Nun ist ein Artikel im Spiegel erschienen, der die „Akte Mockridge“ noch einmal aufrollt. Wie so häufig in dieser PostMeToo oder doch eher noch Mittendrin-Metoo-Ära sind es zwei Journalistinnen, die nicht locker gelassen haben. Es sind Frauen, die Frauen glauben und das Prinzip der Unschuldsvermutung endlich auch auf die mutmaßlichen Opfer sexualisierter Gewalt anwenden, indem sie sich und allen anderen die ebenso schlichte wie leider immer noch revolutionäre Frage stellen: Warum sollte ich ihr nicht glauben?

Im Fall von Mockridge ging es lange Zeit um seine Ex-Partnerin, die Podcasterin Ines Anioli, die immer wieder über eine „toxische, gewalttätige Beziehung sprach“, ohne dabei Namen zu nennen – aus oben genannten Gründen. Aber alle, die mit der Comedy- und Promiszene in Köln einigermaßen vertraut waren, wussten, wer gemeint war. Der Spiegel hat mit weiteren Frauen gesprochen, die Erfahrungen mit den Übergriffen von Mockridge gemacht haben. Er hat Einsicht in die Gerichtsakten genommen und sich die Chatverläufe zwischen Anioli und Mockridge angeschaut.

Dabei ergibt sich das Bild eines Mannes, der den Willen seiner jeweiligen Partnerin bewusst übergeht, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Mockridge hält sich nicht an ein „Nein!“ oder ein Safeword. Er will Anioli „einschalten“, weil er sie so „aus“ findet. Er nimmt sich das Recht heraus, einen Blick von ihr als „Ja“ zu verstehen, während sie wiederholt „Nein!“ sagt. Und in Momenten, in denen sein Opfer unmissverständlich gegen den Übergriff aufbegehrt, kitzelt er es, um die Situation in einen „War ja nur Spaß“ Bereich zu schieben. In diesem Zusammenhang fallen auch die von SAT.1 erwähnten „guten Gründe“ in sich zusammen. Es steht wie so oft Aussage gegen Aussage und die Glaubwürdigkeit des Opfers wird angezweifelt, weil es nicht erwähnt hat, dass es beim Kitzeln habe lachen müssen und den Fall erst vier Monate später zur Anzeige gebracht habe. Wer hätte das gedacht: Menschen haben einen Kitzelreflex und Opfer sexualisierter Gewalt haben Angst davor, dass man ihnen nicht glaubt und dass mächtige Täter ihnen das Leben auf jede nur erdenkliche Weise zur Hölle machen. In diesem Zusammenhang sei hier auf die Hassnachrichten und Mordrohungen gegen Ines Anioli und Aktivistinnen wie Jorinde Wiese hingewiesen. Mockridge und sein Team bedienen sich den üblichen Verteidigungsstrategien für solche Fälle:

Ich bin hier das Opfer.
Verfahren eingestellt.
Hier sind die Beweisfotos von unserer glücklichen Beziehung.
Böser, gesichtsloser Internetmob.
Das schadet hier alles den echten Opfern.
Ganz schwierige Trennung.
Die will auf meine Kosten reich und berühmt werden.
Irre Ex-Freundin.

Aber MeToo ist immer noch keine Karriereleiter und den Mythos der verrückten Ex kennen wir jetzt auch schon seit geraumer Zeit. Schwierige Trennung sind weder Rechtfertigung für Gewalt noch ein auch nur annähernd guter Grund, sich durch Falschaussagen ins gesellschaftliche sowie berufliche Abseits und ins Gefängnis zu bringen. Der böse, böse Internetmob hat Konsequenzen gefordert, keine (Vor-)Verurteilung. Auch gewalttätige Beziehungen können glücklich aussehen. Verfahren werden wegen fehlender juristischer Beweisbarkeit eingestellt und nicht wegen fehlender Übergriffe.

Die zentrale Frage bei dem Fall Mockridge und allen anderen ist, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Wie finden wir einen Weg, der der Unschuldsvermutung auf beiden Seiten Rechnung trägt und es trotzdem schafft, sich zu positionieren? Und diese Frage geht vor allem an die Männer. Denn immer wieder sind es die Männer, die wegschauen, es nicht glauben können und nicht wahrhaben wollen, dass ihr Freund, Kollege, Bruder, Vater, Sohn so etwas tut. So auch in diesem Fall. Der Autor und Comedian Thomas Spitzer ist einer der wenigen Männer, die ihren Hals, ihren Ruf und ihre Karrieren riskieren, um zu sagen, was Sache ist. Seit Wochen und Monaten bezieht Spitzer Stellung und berichtet von den Erfahrungen weiterer mutmaßlicher Opfer, die an ihn herantreten.

Warum ist Spitzer damit so alleine? Was ist denn jetzt mit den grimmebepreisten Männerwelten, wo sind Joko und Klaas? Wo bleiben all die Männer, die seit Jahren immer wieder davon sprechen, von solchen Dingen „entsetzt“ zu sein und jetzt aber mal wirklich andere Männer nicht mehr davon kommen zu lassen? Nun, die sitzen alle Zuhause und sagen lieber nichts. Oder sie versichern Mockridge ihre Solidarität wie Sänger Pietro Lombardi, Comedian Oliver Pocher oder Moderator Steffen Hallaschka. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist ein viel zu ubiquitäres, viel zu pandemisches Thema, als dass sich Männer dahinter verstecken dürfen sollten, womöglich mit einem „falschen Wort“ eine Freundschaft zu gefährden. Was ist so eine Freundschaft wert, wenn Mann angesichts derartiger Vorwürfe nicht klarstellen kann: „Wenn da was dran ist, sind wir die längste Zeit Freunde gewesen!“

Der Comedian Daniel Sloss hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass Männer immer noch glauben, sexualisierte Gewalt durch heroische Rettungsakte beenden zu können.

Eine Frau wird in einem dunklen Park vergewaltigt und Mann springt dazwischen, tritt dem Täter in die Eier und ist der Held des Monats. Aber so funktioniert das nicht. Das ist lediglich eine Schutzfantasie, um nicht wirklich tätig werden zu müssen. Um nicht die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Mann all die Anzeichen, Bemerkungen und Indizien ignoriert hat, bis es zu spät war. Die Good Guys™ werden nur dann aktiv, wenn es nicht mehr anders geht oder etwas für sie dabei herausspringt. Dabei sind sie es, die am meisten gefordert sind. Sie müssen Mittel, Wege und Kommunikationstechniken finden, um ein solches Verhalten anzusprechen und zu sanktionieren. Sie müssen aufhören, sexistisches Verhalten unter „Naja, aber sonst ist er echt ganz ok“ einzuordnen. Ansonsten machen auch sie Frauen zu Opfern. Frauen, die schon durch sexualisierte Gewalt zu Opfern gemacht wurden und die Mann noch einmal über die Klippe springen lässt, weil alles andere einfach viel zu ungemütlich wird.
Solange Männer nicht aufhören, es sich auf Kosten von Frauen zu leicht zu machen, werden Frauen immer den Preis dafür zu bezahlen haben.

Hilfreiche Links:

Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen – rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Nummer 08000 116 016 – https://www.hilfetelefon.de/
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch – erreichbar Mo, Mi, Fr: 9.00 bis 14.00 Uhr und Di, Do: 15.00 bis 20.00 Uhr unter der kostenlosen Nummer 0800 22 55 530 https://www.hilfeportal-missbrauch.de
Tipps der Polizei bei Belästigungen: https://www.aktion-tu-was.de/tu-was/gegen-belaestigung/
“Ist Luisa hier?”-Initiative in Kneipen, Bars und Clubs: https://luisa-ist-hier.de/ 
Bundesweite Frauenhäuser-Suche – https://www.frauenhauskoordinierung.de/
Suche nach Hilfe-Einrichtungen in der Umgebung – https://www.frauen-info-netz.de/
ProFamilia – Onlineberatung – Suche nach Beratungsstellen in der Umgebung: https://www.profamilia.de/

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Bildquelle: Road Trip with Raj/Unsplash