Movember für Männergesundheit

TW: Krebs, Depressionen und Suizid

Weniger als die Hälfte. So sieht die Realität in der Krebsvorsorge bei Männern aus. Weniger als die Hälfte der Männer ab 35 nimmt die Möglichkeit zur Vorsorgeuntersuchung bezüglich Prostata- und Hodenkrebs wahr. Und Corona verschärft die Situation wegen der Beschränkungen und der allgemeinen Verunsicherung noch mal. Die Gründe dafür, warum Männer häufig Vorsorgemuffel sind und sich nur ungern mit der eigenen Gesundheit beschäftigen, sind schon länger bekannt: Klassische Vorstellungen von Männlichkeit beinhalten keine Konzepte von Selbstfürsorge und Aufmerksamkeit für die eigenen Gesundheitsbelange. Stattdessen werden diese Dinge als unmännlich markiert und der Mythos einer unverwüstlichen Mannhaftigkeit inszeniert, die endlos belastbar und unanfällig für Krankheiten ist. Die Herausbildung von Resilienzen, der Blick für die eigenen Grenzen und Suizidprävention finden im Bewusstsein von Männern zu selten statt. Und das, obwohl stündlich 60 Männer Suizid begehen. Das ist der Grund, warum 2003 einige junge Männer in Australien den Movember eingeführt haben. Movember – ein Kofferwort aus Moustache (Schnurrbart) und November soll dazu dienen, für die oben genannte Problematik Aufmerksamkeit zu schaffen und Geld für Forschung zu sammeln. Teilnehmende beginnen den November glattrasiert und lassen sich über den Monat einen Schnurrbart wachsen. Oder sie zeigen den Schnurrbart einfach entsprechend an.

Die Herangehensweise mag etwas hemdsärmlig wirken, aber sie funktioniert. Im ersten Jahr der Durchführung kamen 55.000 Australische Dollar zusammen. Inzwischen beläuft sich das Spendenvolumen der letzten 17 Jahren auf 793 Millionen Euro. Unternehmen, Organsisationen und Vereine ziehen ebenso mit wie Krankenhäuser, Sportler und Prominente. Das Ganze ist also ein Erfolg. Trotzdem wird der Movember seit Gründung von Kritik begleitet: Was soll das mit den Schnurrbärten, kann man das nicht auch anders machen, feiert das nicht genau die Art Maskulinität, die mit dafür verantwortlich ist, dass Männergesundheit überhaupt in dieser Krise steckt? Muss es ausgerechnet eine stereotyp männliche Gesichtsbehaarung sein, um auf das Problem aufmerksam zu machen? Die Kritik ist nachvollziehbar. Aber Movember bemüht sich mit jedem Jahr um mehr Diversität.

Und auch ein anderer Vorwurf lässt sich entkräften. Denn es wäre an dieser Stelle ein Leichtes einzuwenden, dass Männergesundheit, die männliche Anatomie und die Krankheitsbilder der default-Zustand sind. Sie gelten als gesetzte Norm, an der sich die Medizin orientiert. Auf die Problematik, dass medizinische Behandlungen auf Männerkörper zugeschnitten sind und Symptome geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausfallen können, haben wir schon mehrfach hingewiesen.

Es wäre aber auch voreilig. Denn der Movember tut etwas, was wir schon lange fordern und und längst überfällig ist: Er formuliert ein wichtiges Anliegen von Männern, ohne es dabei gegen Frauen zu richten. Statt des üblichen Whataboutism, der beispielsweise unter praktisch jedem Text über (sexualisierte) Gewalt an Frauen stattfindet und scheinheilig fragt, was denn bitteschön mit (sexualisierter) Gewalt gegen Männer ist, handelt es sich hierbei um ein ernstgemeintes Anliegen. Ein Anliegen übrigens, bei dem auch Frauen als Mo Sis eingeladen sind, sich zu beteiligen.

Denn es geht eben einmal nicht um die Lächerlichmachung eines Problems, sondern um die Sichtbarmachung, die Awareness und auch das Fundraising für ein Problem. Dass das durchaus humorvoll gemacht werden kann, zeigt der Movember jedes Jahr aufs Neue.

Das hindert die Verantwortlichen nicht daran, die Problematik intersektionell zu denken und sich genau zu überlegen, wie sie sich lösen lässt.

Dass es Männern besser geht, ist eine gute Sache. Das hat nichts damit zu tun, sie mit mehr Privilegien auszustatten oder die Medizin noch weiter auf sie zuzuschneiden. Sondern mit Wirklichkeit und Akzeptanz. Krebs ist und bleibt ein Arschloch. Und Männern sollten andere Männlichkeitsversionen angeboten werden als solche, die ihnen unter Umständen nahelegen, sich das Leben zu nehmen. Der Movember ist da definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.

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Bildquelle: Unsplash

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich“ oder „männlich“ benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

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