Mr. Big ist ein Arsch

TW: sexualisierte Gewalt

Spoilerwarnung: Im Artikel befinden sich Infos, die die ersten Folgen der neuen Serie „And Just Like That“ betreffen.

Drei Frauen. Drei Frauen beschuldigen den Schauspieler Chris Noth mittlerweile sexueller Übergriffe und der Vergewaltigung. Die Anschuldigungen betreffen Ereignisse aus den Jahren 2004, 2010 und 2015. Noth, der vor allem für seine Rolle als Mr. Big in der Serie Sex And The City bekannt ist und gerade für die Neuauflage And Just Like That noch einmal in diese Rolle geschlüpft ist, bestreitet die Vorwürfe. Im Kern drehen sie sich darum, dass er seine Macht und Prominenz verschiedentlich ausgenutzt haben soll, um sich jungen Frauen aufzudrängen und sie wenig später zu vergewaltigen. Und im Zuge der Berichterstattung kommen immer weitere Details an Licht. So berichtet die Schauspielerin Zoe Lister-Jones davon, dass Noth sie unangemessen bedrängt habe, als sie als junge Frau in einem seiner Clubs arbeitete.

Und auch ein Artikel aus den 90ern über Vorwürfe gegen Noth seitens seiner Ex-Partnerin Beverly Johnson hinsichtlich Stalking, Drohungen und häuslicher Gewalt tauchte wieder auf.

Chris Noth, so scheint es, hat eine lange Geschichte als das, was man schon viel zu lange verharmlosend und beschönigend als Bad Boy bezeichnet. Ein erfolgreicher heterosexueller Mann, dem nachgesagt wird, er hätte „Schlag bei Frauen“, wäre irgendwie „gefährlich“ und „mysteriös“ und gerade deshalb reizvoll. Ein Mann, der „wenn man ihn kennt, ganz anders ist“, mit einem „Herzen aus Gold“, schon immer „missverstanden“. Tatsächlich ist aber überhaupt nichts mysteriös und geheimnisvoll. Im Gegenteil…

Bad Boy Bullshit

Und genau darum soll es hier gehen. Nicht um eine Vorverurteilung von Noth, sondern darum, dass wir als Gesellschaft den Bad Boy immer wieder als heiß, begehrenswert, ja im Grunde liebenswürdig erzählen. Der Bad Boy ist stark und schweigsam, macht sich nicht mit der Masse gemein, pfeift auf Konventionen und ist etwas ganz Besonderes, weil er „so anders ist als die anderen“. Er ist emotional nicht erreichbar, er trifft einsame Entscheidungen, er nimmt sich mit „rauem Charme“, was und wen er haben will. Den Bad Boy umgibt die Aura der Gefahr. Er spielt permanent mit der Option auf Gewalt. Jeden Moment könnte er explodieren.

Er ist ein Blender und ein Aufschneider, aber irgendwie doch nur ein wütender Junge im Körper eines gutaussehenden Mannes. Man kann ihm einfach nicht böse sein.
Sollte man aber. Vor allem aber sollte man wütend darüber sein, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Typ Mann seit Jahren und Jahrzehnten zum hypermännliches Sexsymbol (v)erklärt wird. Deswegen landen auch immer wieder Männer auf Listen heißer Bad Boys, denen wir nicht widerstehen können, die in der Vergangenheit durch Übergriffe und Gewalt gegenüber (Ex-)Partnerinnen aufgefallen sind. Ihr Verhalten wird als Ausrutscher erzählt. Als animalisch. Als männlich. Und im Subtext schwingt die verheißungsvolle Versprechung mit, dass jeder Bad Boy bereit ist, „sich für die Richtige zu ändern“. Er ist bislang einfach nur nicht an die passende Frau geraten. Die anderen konnten einfach nur nicht mit ihm umgehen. Ihn nicht zähmen.

6 Wege um einen heißen „Bad Boy“ zu zähmen? Nein, danke.

Aber du, ja genau du könntest ja die Richtige sein. Sexy, jung, nachsichtig, kontrollierbar, ihm ergeben genug sein, damit er bei dir so sein kann wie er wirklich ist. Womit wir wieder bei Chris Noth und seiner Rolle als Mr. Big wären. Oder sagen wir lieber: Mr. Großkotz. Was genau war an dem noch mal so toll? Was ist so sexy an der Darstellung eines Mannes, der „irgendwie“ sein Geld verdient, manipulativ und abweisend ist? Ja gut, er trägt eine Krawatte und zahlt das Abendessen, während er sich wiederholt gemein und ausweichend benimmt. Warum war Mr. Großkotz, wie eines der mutmaßlichen Opfer von Chris Noth berichtet, „wie ein Gott für uns“? „Ich war 25, er 60“, sagt ein anderes mutmaßliches Opfer und dass sie von seinen Avancen geschmeichelt war: „Es ist verrückt, dass Mr. Big mit mir essen gehen will.“

Man kann ihm einfach nicht böse sein. Sollte man aber.

aus „Mr. Big ist ein Arschloch“

Fuck Mr. Big

Zoe Lister-Jones bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt, dass Männer wie Noth die Fantasie ausnutzen, die eine Rolle wie Mr. Großkotz verkörpert. Und dass es Zeit wird, diesen männlichen Archetypen, mit dem Frauen vermittels der Popkultur gefüttert wurden und werden, endlich loszulassen. Wie weit wir davon entfernt sind, zeigt ein Werbeclip der Firma Peloton, der inzwischen im Lichte der Anschuldigungen zurückgezogen wurde.

Er spielt auf die Ereignisse von Folge eins der Neuauflage der Show an: Während der Charakter in der Serie nach dem Training auf dem Fahrradheimtrainer einen Herzinfarkt erleidet und stirbt, suggeriert der Clip, er hätte sein Ableben nur vorgetäuscht, um sich mit seiner Geliebten ein schönes Leben zu machen. Einer Geliebten, die seine Enkelin sein könnte. Ganz der alte Mr. Großkotz eben. Inklusive dreckiger Trademark-Lache, die andeuten soll, dass er ein dunkles, total mysteriös-begehrenswertes Geheimnis kennt, während er doch eigentlich nur mit vielen, vielen anderen Männern über ein sehr offenes Geheimnis lacht. Nämlich darüber, wie sehr hier Macht, Einfluss, Geld, Skrupellosigkeit und Gefühlskälte in alternden Männern als einnehmend und begehrenswert für junge Frauen stilisiert werden. Dieser Clip ist nicht erst durch die Anschuldigungen problematisch. Er ist es ganz grundsätzlich. Das soll also die große Liebe von Carrie Bradshaw sein? Der Mann, der ihr angeblich immer „eine Nummer zu groß war“? In Wahrheit ist Mr. Großkotz die Mühe nicht wert. Er ist ein trojanisches Pferd für übergriffiges, frauenverachtendes Verhalten, das schleunigst ausrangiert werden sollte. Oder um es mit Zoe Lister-Jones zu sagen:
Fuck Mr. Big.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 120.000 Menschen teilen!

Bildquelle: Wikimedia Commons