Mütter werden nicht krank

Eigentlich sollte man meinen, dass das Thema Care-Arbeit auserzählt ist. Frauen kümmern sich mehr als Männer und leisten deutlich häufiger unbezahlte Arbeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Frauen sind auch mehrheitlich diejenigen, die mit Mental Load zu kämpfen haben, also mit all den mentalen Belastungen, die es so mit sich bringt, ein Familienleben zu organisieren und am Laufen zu halten. Jaja, danke für die Information, wir haben es verstanden.
Tatsächlich fangen wir aber gerade erst an zu begreifen, dass diese Sache mit dem Kümmern nicht nur ein Problem von vielen ist, sondern den anderen vorgelagert. Frauen qua Geschlecht zum unbezahlten oder auch unterbezahlten Kümmern zu verpflichten, ist der Treibstoff unserer Gesellschaft. Es ist das, was den ganzen Laden zusammenhält. Und die Drohkulisse eines geschlechtsspezifischen schlechten Gewissens ist die „Motivationshilfe“, mit der Frauen dazu angehalten werden, weiterzumachen. Ihre Pflicht zu tun, abzuliefern, sich in den Dienst von anderen zu stellen.

Krank? Ok, aber nicht zu sehr.

Damit das einigermaßen reibungslos und möglichst widerspruchsfrei funktioniert, ist es unumgänglich, die Notbremsen zu deaktivieren. Das gilt vor allem für die Notbremse Erkrankung. Andernfalls würden zu viele Frauen in anhaltenden Belastungssituationen die Reißleine ziehen, um das Hamsterrad der Care-Zwangsverpflichtungen zum Stehen zu bringen, damit sie gesund werden können. Das geht aber nicht. Es gibt Häuser zu putzen, Familien zu verpflegen und vor allem Kinder zu betreuen. Also werden Mütter nicht krank bzw. haben nicht krank zu sein. Und wenn sie doch mal krank werden, dann bitteschön nur so, dass sie ihren Verpflichtungen in angemessener Weise noch nachkommen können.

2015 hat der Konzern Procter & Gamble in einem audiovisuellen Spot für ihre Marke Wick mit dem Slogan Mütter nehmen sich nicht frei geworben. Mütter melden sich nicht krank, Mütter nehmen ein Mittel gegen „Schmerzen und Fieber“ und machen dann weiter, weil sie ja schließlich noch gebraucht werden. Dafür hat Wick damals zurecht einen Shitstorm kassiert, was die Verantwortlichen allerdings nur dazu veranlasste, den Werbeslogan auf Eltern nehmen sich nicht frei abzuändern und hinten an den Clip noch in schlafendes Paar ranzuklatschen, damit auch klar ist, dass es sich hier um zwei verantwortliche Personen handelt.

Das zeigt, wie umfassend wir als Gesellschaft auf unterbezahlten und unterwertschätztes Kümmern angewiesen sind. Denn zum einen hat die Problematik rund um die #Coronaeltern ja deutlich gemacht, wie unumgänglich Care-Arbeit ist und wie sehr Menschen mit Kindern hängengelassen werden.

Eltern sagen, Mütter meinen

Zum anderen erweist sich ein ums andere Mal, dass wir zwar von Eltern reden, aber Mütter meinen. Mütter sind diejeinigen, die in der Hauptsache den Haushalt zu stemmen, die Kinder zu betreuen und dabei Homeoffice zu machen haben. Mütter sind diejenigen, die dafür „Liebe“ verdienen, aber bloß nicht nach Geld fragen sollen – das wäre ja unweiblich und überhaupt nicht mütterlich. Kranksein ist für Mütter deshalb einfach nur eine Nebentätigkeit, die sie irgendwie mit ihrer Erwerbstätigkeit und ihrer vollumfänglichen Zuständigkeit fürs Kümmern zu vereinbaren haben. Mütter sind nebenher krank. „Krank bis 14 Uhr„. Mütter sind arbeitend krank, halbieren ihre Pausen und bekommen dafür ihr schlechtes Gewissen verdoppelt. „Wie, du machst krank?!“ Krank macht man nicht, krank ist man. Auch hier haben wir es wieder mit einem Notbremsenabschaltvorgang zu tun. „Krank machen“, das soll nach Leistungserschleichung klingen. Nach etwas, das überhaupt nicht notwendig ist, aber dazu genutzt wird, sich mal außer der Reihe ein paar schöne Tage zu machen. Diese Bewertung gilt umso mehr für die Pflege und Betreuung eines erkrankten Familienmitglieds. Auch das hat nebenbei stattzufinden und wird kaum oder gar nicht als Arbeit angesehen. Die Politik bemüht sich zwar in den letzten Jahren darum, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass sie endlich die Lebensrealität von Frauen, Familien und pflegenden Angehörigen abbildet, aber sie ist großflächig immer noch darauf angewiesen, dass Menschen systemische Probleme individuell lösen. Indem sie beispielsweise dahin ziehen, wo die Großeltern wohnen, damit die sich dann ggf. kümmern können. Indem sie beruflich zurückstecken und nicht zuletzt mit einem Teil ihrer Altersvorsorge dafür bezahlen.

Wenn Mütter sich freinehmen würden, wäre das ganze System gefährdet und diejenigen, die sich auf ihre Kosten mehr Freiheiten herausnehmen, würden sich ganz schön umgucken. Es steht also ein Systemumbau an.

  • In der Politik, die die Gesetzeslage immer noch lediglich kosmetisch verändert und im Kern darauf angewiesen bleibt, Mütter zu überlasten und ihnen Heilungszeit zu verwehren.
  • In der Gesellschaft, die viel zu gerne darauf angewiesen bleibt, Mütter bis aufs Blut auszusaugen, um ihr eigenes Fortkommen zu garantieren, anstatt es endlich zu modifizieren.
  • In den Unternehmen, die Kümmern nicht als Ausnahme, sondern als Regelfall definieren und dafür die entsprechenden Strukturen schaffen müssen.
  • In den Köpfen von Männern, die sich zu wenig Elternzeit nehmen. Die Kümmern als „das bisschen Haushalt“ definieren, bestenfalls „auch mal“ mit anpacken und ganz grundsätzlich davon ausgehen, dass sich schon immer jemand finden wird, die zuständig ist.

„Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen“ schrieb die Autorin Laurie Penny einmal. Daran hat sich nichts geändert. Aber dazu analog lässt sich zusätzlich formulieren:
Wenn alle Frauen dieser Erde, die morgen früh krank aufwachen, wirklich im Bett liegen blieben und erwarten würden, dass man sich um sie in der gleichen Weise kümmert, wie sie sich stets um alles und alle kümmern, dann würde nicht nur die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

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Bildquelle: istock / izusek