Muss man heute Feministin sein?

 

Eine Sonder-Briefmarke gibt es nicht zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts. Eine Freundin von mir fragte bei der Post nach. Es gibt zwar zu jedem Schlunz eine Sondermarke – 50 Jahre Sandmann, z.B. – aber das Frauenwahlrecht? Pffft.

Viele Damen mussten damals ja auch zu ihrem Glück überredet werden. Vielleicht hatte die Post deshalb Angst, dass zu viele Menschen mit den Augen rollen würden, wenn es jetzt so eine Frauendings-Marke geben würde. Auch Frauen finden das ja oft zu viel. Denn: Wahlrecht? Ja ok. Aber muss man das so groß aufhängen und immer wieder an diese biederen Frauen erinnern, die mit ihren großen Hüten und hochgeschlossenen Rüschenkragen durch die Straßen zogen? Das ist doch ein wenig spaßbefreit, oder?

Erst 1971 wurde im Kanton Bern das Frauenstimmrecht verhandelt. Viele Frauen waren empört: Wer sollte denn bitte bei den Kindern bleiben, wenn sie zur Wahlurne gingen? Was sollten Frauen überhaupt in der Politik? Überlasst das doch bitte den Männern!

Das war ein halbes Jahrhundert nach dem deutschen Wahlrecht für Frauen. Wer das jetzt lang findet und sich fragt, wie das passieren konnte, den hebe ich ein Jahrhundert weiter vor in die Gegenwart. Ein Landkreis in Thüringen bewirbt ein neues Industriegebiet auf dem Hintern von Profi-Volleyballspielerinnen mit dem Slogan: „Prachtregion.de“. Weil wir bei Pinkstinks schon einige junge Hockey- und andere Spielerinnen bei uns hatten die sich ärgerten, dass „kokette“ Slogans von Firmen auf ihre Hintern gedruckt werden, damit sich ihre Mannschaft überhaupt Trikots leisten kann (die Jungs hingegen werden mit cooler Ware zugeschissen), haben wir uns erlaubt, dazu auf Facebook einen Kommentar zu bringen.

Die sehr durchtrainierte und hochgewachsene Frauenmannschaft zeigte sich daraufhin empört, dass wir ihnen ihren Hinternspaß nehmen wollten, was nie der Fall war. Nicht nur die zuständige Landrätin, auch ein Sportjournalist aus Brandenburg erregten sich, dass wir die Damen „zwangsfeministisieren“ wollten.

Deshalb, für heute und damals, nochmal ganz langsam und klar und für alle Politiker*innen und Sportjournalist*innen zum Mitschreiben:

Wir beschämen und wir belehren niemanden, wie welche Kleidung oder welche Sprüche zu tragen sind. Wenn eine Frau mit „Prachtregion“ auf ihrem Hintern arbeiten und Werbung für ein Industriegebiet machen möchte, soll sie das selbstredend dürfen. Wir kritisieren eine Firma bzw. viele Firmen, die Frauenmannschaften nur fördern, wenn ihre Slogans auf dem Hintern zu sehen sind und dafür passend getextet wurden. Wir kritisieren, dass Mädchen von ihren Vereinen angehalten werden, sich darüber nicht aufzuregen, weil Trikots teuer sind und man froh sein könne, wenn Mädchensport gesponsort wird – da will ja eh keine*r zusehen.

Der Druck, von anderen Mädchen als „Feministin“ geoutet zu werden lässt viele Mädchen verstummen, die als „knackiges Würstchen“ oder mit anderen Slogans zum Tor hechten müssen. Berufssportlerinnen, die äußerst durchtrainiert sind, gerne auch im Bikini in die Sportarena gingen und ihre Hintern eben prächtig finden, sollten nicht für alle Mädchen Deutschlands herhalten, denen der Marketingtrend von Sponsoren gehörig stinkt. Ebenso, wie jede Frau entscheiden darf, arbeiten zu gehen oder nicht, ihr Kind selbst zu betreuen oder in die Kita zu geben, wählen zu gehen oder nicht, und zu wählen oder zu arbeiten, was für sie passt. Genau für diese Freiheiten kämpfen wir, jeden Tag, mit jeder Kampagne. Und wenn du, liebe Volleyballprofispielerin, gerne sexy bist und deinen Hintern zeigst und trotzdem nicht möchtest, dass Sportsponsoring für Mädchen und Frauen bundesweit nur mit „Hinternhighlighting“ funktioniert, bist du wahrscheinlich Feministin. Das ist alles.

Wer aber noch nicht mal recherchieren kann, was Pinkstinks und was der Deutsche Werberat ist (zwei verschiedene und sehr verschieden arbeitende Institutionen, lieber Herr Sportjournalist Kroh) und dass weder wir noch der Werberat einen Slogan auf einem Hintern als „sexistische Werbung“ einordnen würden, weil es eine Marketingstrategie und keine Werbekampagne ist, dem sollten wir das alles gar nicht erst erklären müssen. Aber auch das ist Deutschland nach 100 Jahren Frauenwahlrecht: Männliche Journalisten schreiben unfassbar uninformierte Kolumnen über blöde Feministinnen und fühlen sich grandios. Deshalb, lieber Herr Kroh: Schreiben Sie sich doch bitte auf ihren Hintern „dickehose.de“. Auch sie sollten etwas Spaß haben und Stolz auf ihr Gemächt sein dürfen.

Lieben Gruß! Eure Stevie

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