Nur Frauen ans Mikro!

Dass Kunst nicht nur eine nette kleine Nebenbeschäftigung ist, auf die man gegebenenfalls auch verzichten kann, hat diese Pandemie eindrucksvoll bewiesen. Kunst ist essenziell, weil wir darauf angewiesen sind, uns einander künstlerisch zu erzählen. Deshalb ist es auch wichtig, wer auf welche Weise erzählt. Und darum ist es eine gute Nachricht, dass Carolin Kebekus letzte Woche verkündet hat, ein Festival nur mit Frauen organisieren zu wollen. Denn irgendwann wird es wieder Sommer und Corona unter Kontrolle gebracht sein und dann werden auf den Bühnen dieser Welt wieder fast nur Männer stehen, weil man Frauen nicht zutraut, der main act zu sein, weil Frauen nicht lustig sind und all die anderen kleinen und größeren Lügen, die man(n) sich so erzählt, um das Rampenlicht, Geld und Ruhm nicht teilen zu müssen. Neun von zehn Grammy-Nominierten sind männlich. Männer haben immer noch keine besondere Lust, über Frauen zu lachen oder sich von ihnen abends die Welt erklären zu lassen. Und als Headliner stehen sie leider viel zu selten oder nur irgendwie aus Versehen auf Bühnen.

Die Pionierin der Idee, ein Festival zu organisieren, das den Fokus klar auf Künstlerinnen legt, ist die kanadische Sängerin Sarah McLachlan. Nach einem wieder einmal sehr männerlastigen Festivalsommer beschloss sie 1996 im darauffolgenden Jahr die Lilith Fair zu organisieren – ein Festival, bei dem sich ausschließlich Solokünstlerinnen und Bands mit Frontfrauen präsentieren durften.

Von 1997 bis 1999 tourte das Festival über den nordamerikanischen Kontinent und war sowohl künstlerisch als auch finanziell ein großer Erfolg. Es setzte neue Maßstäbe und widerlegte eindrucksvoll all die Showregeln, die männliche Veranstalter, Promoter und Produzenten immer wieder gebetsmühlenartig wiederholten:
So etwas verkauft sich nicht.
Mehr als eine Frau sollte nicht auf der Bühne stehen.
Frauen sollten nicht der opening act für andere Frauen sein, das will niemand sehen.
Aber 1,5 Millionen Menschen wollten die etwa 300 Künstlerinnen an 130 Orten sehen. Über 50 Millionen Dollar wurden eingenommen, über 10 Millionen davon an Projekte gespendet, die sich um die Förderung und das Wohlergehen von Frauen und Mädchen kümmern. Interviews mit den Künstlerinnen lassen erahnen, wie stark die Widerstände waren, gegen die angekämpft werden musste, und was zugleich für eine Aufbruchsstimmung herrschte, weil es gelang.

Die Lilith Fair fand in vielen künstlerischen Bereichen jede Menge Nachahmerinnen. Die Idee, auf einer Veranstaltung nur Frauen zu featuren, war natürlich auch zum damaligen Zeitpunkt nicht neu, aber sie wurde so unmissverständlich formuliert und so erfolgreich umgesetzt, dass sich viele an dem Beispiel orientierten – ob nun in Australien oder in Österreich. Das ist gut und notwendig. Denn noch immer gibt es einen Gender-Gap in der Kunst. Nicht nur auf Festivalbühnen, sondern auch überall sonst. Diese Tatsache ist zugleich die Antwort auf die gängigste Kritik an solchen „Frauen-Festivals“: Wird weibliche Kunst dadurch nicht extra markiert und ghettoisiert? Müssten Frauen sich nicht eigentlich im gemischtgeschlechtlichen Mainstream durchsetzen und Akzeptanz finden, anstatt „die Frauenkarte zu spielen“? Ja sicher, nur dass „gemischtgeschlechtlicher Mainstream“ einfach nur ein sprachlicher Euphemismus für „männerdominiert“ ist. Die Kunst von Frauen wird nicht erst durch solche Festivals und ähnliche Auftrittsmöglichkeiten ghettoisiert, sie war es bereits davor. Die Kritik daran, sich an patriarchalen Strukturen vorbei zu organisieren, stellt nur den letzten Versuch dar, Macht und Sichtbarkeit nicht abgeben zu müssen. Deshalb freuen wir uns auf das Kölner Open-Air Festival von Carolin Kebekus – solche Veranstaltungen sind und bleiben leider bis auf Weiteres notwendig. Noch mehr freuen würden wir uns allerdings, wenn es wirklich irgendwann gelingen sollte, solche Festivals überflüssig zu machen. Deshalb gilt allen Verantwortlichen der Appell der Schweizer Musikerin Sophie Hunger vom Sommer dieses Jahres:
Liebe Live Musik in Deutschland, wir haben ein Problem. Hört auf, Panels zu organisieren, hört auf, Argumente zu wälzen. Bucht Frauen!

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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