Ooops, Studie gefälscht! Aber wen interessiert’s?

Im Jahr 2010 konnte man es in fast jedem Newsportal lesen: Selbst dicke Frauen wollen lieber dünne Frauen in der Werbung sehen. Egal wie hübsch, habe ein Model keine Größe 32, 34 oder maximal 36, fänden Frauen die Werbung nicht attraktiv. Jede Initiative, die vielfältigere Frauenbilder in der Werbung fordert, hatte nun offiziell einen Dachschaden, denn es war bewiesen: Frauen lieben das Magerideal. Drei Wissenschaftler*innen der Universitäten Rotterdam, Arizona und Köln hatten in einer Studie belegt, dass Frauen keine Werbung sehen möchten, in der womöglich eine Größe 40 oder mehr zu sehen ist. Fazit der Studie: Sogenannte „Plus-Size-Models“ wirken sich negativ auf das Kaufverhalten weiblicher Proband*innen aus.

Nun haben wir in den letzten Jahren auf Pinkstinks oft „Plus-Size“-Bilder gepostet, die den Aufschrei bewirkten, was an der Dame denn nun bitte „Plus“ sein sollte. Ein typisches Model ist gerne 180cm groß, da verteilt sich eine Größe 40 oder 44 auf so lange Beine, dass man nur bewundernd staunen kann. Auch gibt es unfassbar charismatische Gesichter, deren Witz oder hübsche Augen uns alles verkaufen können, und wir uns noch freuen, dass das Model mal kein Size Zero trägt. Alles schon auf Pinkstink-FB gehabt, teilte sich wie geschnitten Brot.

Nicht nur deshalb rege ich mich seit vier Jahren über diese Studie auf, die das Frauenbild in der Werbung stark beeinflusst hat. Immer wieder wurde ich in meiner Kampagnenarbeit auf diese Studie angesprochen, die 2010 sehr schnell jeder Werbestratege kannte. Endlich gab es eine offizielle Studie die belegte, was die Werber*innen uns täglich erzählen: Dass die Werbung uns nur zeigt, was wir selber sehen wollen.

Über Weihnachten erfuhr ich, dass die Studie im Sommer 2014 zurück gezogen wurde und einer ihrer Herausgeber schon 2012 wegen dem Vorwurf der Fälschung von seiner Professur zurück getreten war. Unter der mit rot durchgestrichenen Studie kann man jetzt lesen:

„We apologize for any problems that the publication of this article may have caused.“

Ich war fassungslos. „Wir entschuldigen uns für etwaige Probleme…“ Pffft. Ich rege mich seit vier Jahren alle paar Wochen über diese Studie auf und schreibe darüber, z.B. hier oder hier, weil ich ahnte, dass die Datenerhebung zur Studie halbseiden war, die Ergebnisse aber trotzdem von Lemming-haften Werbestrateg*innen in ihre Abteilungen getragen wurden um jubelnd weiter unerreichbare Bilder zu bauen. Ich rege mich auf, weil diese Studie in allen populären Nachrichtenportalen als „Endlich ist die Weltformel da!“-Neuigkeit gepriesen wurde, aber diese Beiträge jetzt, da die Studie als falsch enttarnt ist, nicht gelöscht werden.

Ich rege mich auf, weil uns diese Studie von überall her zugespielt wurde, aber niemand, absolut niemand nach vier Jahren laut rief: „Oooops! Sorry! Die Studie ist falsch!“

Und wer räumt jetzt auf? Müssen Nils und ich jetzt auslosen, wer die ganzen Redaktionen anruft um ihnen klar zu machen, dass die Studie murks ist und die Artikel weg müssen? Und bringt das überhaupt etwas?

Schon 2012 vermutete ich, dass jemand gutes Geld für die Studie gezahlt hat. Und tatsächlich kann man jetzt nachlesen, dass Dirk Smeesters aussagte, als Professor für Marketing unter Druck gestanden zu haben, statistische Signifikanz zu belegen und dafür Datenmaterial verfälschte. Mit anderen Worten: Werbestrateg*innen und Produzent*innen wollten gerne einen wissenschaftlichen Beleg dafür, warum das Magerideal so gut läuft. Sie brauchten eine Studie, die ausweist, dass nicht die böse Industrie die Frauen zum Dünnsein zwingt, sondern es Frauen selber viel schicker finden, wenn sie von dünnen Elfen umgeben sind. (Meine Güte, das steht in der Wikipedia! Und niemand spricht darüber!)

Was an diesem Gedanken alles hinkt, habe ich anderswo schon mehrfach beschrieben. Was mich jetzt interessiert, ist, ob der Rückzug der Studie irgendeine Auswirkung haben wird. Wird sich jemand einmal ernsthaft hinsetzen und erforschen, was Frauen wirklich sehen wollen? Wird dieser Mensch bei der Studie die Proband*innen nach ihrem Körpergefühl befragen und nach ihren Sehgewohnheiten? Wird uns in der Studie nicht nur die Größe der vorgelegten Models genannt sondern auch genannt, um welche Kampagne es sich handelt? Wird sich irgendwer dem Thema ERNSTHAFT widmen?

Nein, denn das wäre unprofitabel. Der dünne Markt funktioniert. Er schürt Unsicherheit und den Drang, zu konsumieren, um ein Mensch zu werden, dem man ewig unerreichbar nachstrebt. Letztendlich hätten wir die Studie nicht gebraucht um zu wissen, dass wir weiter brav einkaufen werden, was uns vorgesetzt wird. Mehr Vielfalt auf den Leuchtplakaten würde nur eins bedeuten: Weniger Druck, einem ganz bestimmtem Frauenbild zu entsprechen, und somit weniger Shopping-Therapie. Und damit wäre für die Industrie nichts gewonnen. Im Gegenteil. Mehr Vielfalt bedeutet teurere Produktionskosten (mehr Größen, differenziertere Schnitte), weniger Unsicherheit bei den Kundinnen und ein zu wenig eingegrenztes Idealbild. Genau wie „die“ rosa Prinzessin und „der“ blaue Pirat sind einfache Körper-Leitbilder mit klarer Anweisung, was aus dem engen Idealbild rausfällt und damit „bäh“ ist, das Erfolgsrezept der Marktwirtschaft. Also, Wissenschaft: Bitte nicht stören.