So sieht es momentan aus in Deutschland: Während die Feminist*innen , die #ausnahmslos initiiert oder sich dahinter versammelt haben, dafür kritisiert werden, dass sie angeblich blind für die systematische Frauenverachtung „DER Ausländer“ oder „DES Islams“ sind, werden sie für ihr Engagement mit Androhungen sexualisierter Gewalt überzogen. Henryk Broder beispielsweise wünscht den Autorinnen eines Artikels, dass sie vom IS „nach Rakka eingeladen werden, um zu erfahren, was Rape Culture bedeutet“. Und was die neuen Kämpfer*innen für Frauenrechte von AfD und Pegida eigentlich im Schilde führen, ist schon lange ein offenes Geheimnis: „Beine breit für Weltoffenheit!“.
Rape Culture, also eine Kultur, welche die Gesellschaft so strukturiert, dass sie Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt ermöglicht, toleriert und verharmlost, haben immer nur die Anderen™. In Deutschland gibt es so etwas gar nicht – das bekommen wir jedenfalls immer wieder gesagt. Garniert mit der Aufforderung doch zu zeigen, wo hier in Deutschland Rape Culture sein soll.
.@lui_log Lesen Sie nochmal nach. Das ist nicht was er geschrieben hat.
Und, Deutschland hat keine Rape Culture.@HollsteinM @JoernLinnertz— Thilo (@ThiloAdamitz) January 13, 2016
Wo man schon so „nett“ fragt, machen wir das doch einfach mal. Und zwar am Beispiel der Jugendzeitschrift Bravo. Nicht etwa, weil die jetzt im Gegensatz zu anderen besonders schlimm wäre, sondern weil sie sich seit über sechs Jahrzehnten zu sexuellen Themen beratend an Jugendliche wendet – und das durchaus verdienstvoll. Zahlreiche Menschen jenseits der 30 haben ihre Aufklärung beinahe ausschließlich aus der Bravo bezogen. Aber sie zeigt eben auch – und zwar in jedem Jahrzehnt – wie Gewalterfahrungen angezweifelt, kleingeredet, lächerlich gemacht und normalisiert werden. 1967 und 1977 klingt das so.
Hilfe und Beratung sehen hier so aus, dass man die Opfer fragt, „wie sie sich nur so reinreiten konnten“ und ob sie nicht „stolz darauf waren“ sexualisierte Gewalt zu erfahren. 1985 ist es das Wichtigste, dass niemand Scherereien bekommt. Also außer dem Opfer natürlich. Bloß nicht nach Schuldigen suchen heißt die Devise.
1990 wendet sich eine 15 Jährige mit einem besonders schwerwiegenden Problem an Dr. Sommer. Ihr drogensüchtiger Freund schickt sie auf den Strich.
Löblich, dass da am Ende auf Drogenberatungsstellen hingewiesen wird. Dass eine Minderjährige hier aller Wahrscheinlichkeit nach traumatisiert ist und dringend Hilfe braucht, ist hingegen kein Thema. Stattdessen soll sie ihm Mut machen und darüber nachdenken, ob sie ihm wirklich damit hilft, sich von ihm zur Prostitution zwingen zu lassen.
2006 schafft es eine von Bravos berühmt-berüchtigten Fotostories in die Presse.
Für den Umstand, dass eine junge Frau vergewaltigt wird, findet man die folgenden Worte:
„Sandy betrinkt sich und betrügt ihren Freund – mit absolut fatalen Folgen!“
Und auch im Jahr darauf berichtet die Presse – über den „Humor“ der Bravo Girl. Die muss die Leserinnen nämlich unbedingt wissen lassen, was sie mit Kreissägen gemeinsam haben und warum Gasmasken ein tolles Geburtstagsgeschenk für Frauen sind.
Selbst 2015 ist Einvernehmlichkeit „keine große Sache“. Einfach mal machen. Hinterher fragen reicht ja.
So viel zu „Es gibt keine Rape Culture in Deutschland“. Und das ist nur ein winziger Ausschnitt, den wir gewählt haben, weil er sich anhand eines Beispiels über einen längeren Zeitraum stringent darstellen lässt. Ein winziger Ausschnitt dessen, was jeden Tag in diesem Land geschieht. Deutschland muss Rape Culture nicht erst importieren. Stattdessen muss Deutschland sich darüber klar werden, wie tief die Verharmlosung von sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft verankert ist. Und endlich handeln.
Nils Pickert