Pornoschaufeln für Kinder

 

Ich stecke in einer Identitätskrise. Ich, die regelmäßig herumpoltert, warum die neuen Schönheitssalons für 5-jährige nerven, wie viel Geld mit Kosmetik für 8-12-jährige gemacht wird, in welcher Form sich der Markt für 3-5-jährige gerade erst eröffnet: Dieses Ich steht im Drogeriemarkt vor dem Schadstoff freien Nagellack für Kinder, halb bereit, zuzugreifen.

Meine gerade 9-jährige, die Barbie hässlich findet, sich gerne rosa kleidet aber es voll ungerecht findet, dass ihr kleiner Freund, der rosa liebt, das nicht darf – meine Kleine will jetzt Nagellack. Sofort. Weil das alle dürfen. Alle, außer sie. Nun habe ich verschiedene Möglichkeiten, zu reagieren. Ich könnte ihr lange Vorträge halten, warum die Marktwirtschaft mich jetzt, durch den „Quengelfaktor“ (pester factor) plus Gruppenzwang (peer pressure), dazu zwingt, zu konsumieren. Ihr erklären, wie viel Geld damit gemacht wird, sie schon so früh an „Verschönerung“ heran zu führen. Ich könnte ihr meine Sorgen mitteilen, dass sie, wenigstens in meinen Augen, wie eine pubertierende 12-jährige aussehen wird, und ich Angst habe, dass sie auf dem Schulweg von älteren Jungs auch für eine gehalten wird.

Durch Nagellack an den Fingern? Echt jetzt? Was hat Nagellack an sich, dass er das mit mir macht? Gerade gestern erst, ich gab einen Vortrag über Pinkstinks beim Halbjahrestreffen der Gleichstellungsbeauftragten Niedersachsens, habe ich meine Nägel pink lackiert, damit ich gleich das Signal aussende: „Es geht nicht um die arme Farbe! Sondern um das, was die Welt damit macht!“. Wenn ich Nagellack trage, fühle ich mich gleich sehr „angezogen“, dann kann ich auch in Jeans und T-Shirt einen Vortrag halten, der Nagellack macht mich ordentlich schick. Nagellack, das ist Mühe, Pflege, Selbstverliebtheit. Eleganz und Erwachsensein.

Als Kind bekam ich, lackierte sich meine Mutter in strahlenden Rot die Nägel frisch, die Nägel der kleinen Finger verschönt – eine Tradition, die mir viele 40-jährige bestätigen. Mehr war nicht drin. Die sahen dann aus wie Streichhölzer mit Zündkopf, aber man war stolz wie Bolle. Mit 12, 13 durfte ich dann lackieren, aber bitte nur in hellen Tönen – ab 15 durfte es endlich knallrot sein. Knallrot sind heute schon alle zehn Finger von 4-jährigen. Eine Freundin, die ihre Kinder gerne in Lillifee eindeckt und Pinkstinks vage merkwürdig findet, sagte neulich: „Bei Nagellack hört es auf. Da geb ich dir recht. Da sollen sie gefälligst warten. Die sehen doch aus wie kleine Lolitas!“ „Ach Quatsch“, sagen andere Mütter zu mir, „das ist doch nur Spaß. So ist das nun mal heute. Nagellack hat nichts mehr mit Erotik zu tun, eben weil alle Kinder ihn tragen.“ Ich muss an Pornoschaufeln für Deutschland denken. Und bin verwirrt.

Vielleich ein harmloses Orange? Und dann immer, oder begrenzt, oder so oft sie wollen? Vielleicht ist es ja nach ein, zweimal eh gegessen. Und in der Pubertät wird sie bei den Pfadfindern aktiv und schimpft auf „Tussis“*. Nein, eigentlich ist es nicht schlimm. Genauso wenig wie Hotpants und Leggings für 6-jährige. Hey komm, und Lipgloss mit 10 muss echt sein, das haben heute alle. Jetzt mach dich mal locker. Und wenn wir erst Toddlers and Tiaras hier haben, dann können wir ja wirklich aufschreien. Also spätestens in fünf Jahren, schätze ich.

Meine Jüngste hat gerade Overknee-Strümpfe geschenkt bekommen. Immerhin haben sie knallbunte Punkte neben den rosanen und sind im Ganzen eher dunkelblau. Sie nerven nur, weil sie rutschen – hätten die nicht Strapse mitliefern können? Mit bunten Punkten wären die doch echt witzig für 6-jährige, oder? Come on, Pippi Langstrumpf hatte auch Strumpfhalter. Finden wir auch immer ein bisschen befremdlich, wie Pippi so rumlief, aber sexy sollte das nicht sein. Na also. Die beste Freundin meiner Kleinen hatte gestern auch alle Fingernägel bemalt – jeden in einer anderen Farbe. Das sah ganz bunt und punkig aus. Okay, dachte ich, damit kann ich leben. Dann muss ich einfach nur fünf verschiedene Farben kaufen. Denn Spießer*in, nee, das geht gar nicht.

* : Jetzt bitte keinen Shitstorm. Ich meine, dass meine Tochter dieses Wort benutzen könnte, weil es leider viele Teenager tun. Ich werde mein Bestes tun um ihr zu vermitteln, dass man keine anderen Menschen diffamiert. Ob moralische Botschaften nach einer Nagellackfreien Kindheit noch fruchten, ist natürlich fragwürdig.