Eigentlich wollten wir uns raus halten. Wir kümmern uns um Rollenbilder und Sexismus in Spielzeug und Werbung, haben vierzig hauptamtliche Arbeitsstunden und können nicht jede Diskussion auffangen. Die Prostitutionsdebatte betrifft aber unser Frauenbild, und das wollen wir nicht limitiert wissen. Das Bild, das EMMA zeichnet, können wir nicht teilen. Und was uns richtig piekst, ist die Art, wie die Debatte geführt wird: Als Krieg. Noch während der Maischberger-Sendung zum Thema Prostitution rief eine EMMA-Redakteurin über Twitter dazu auf, die Fördermitgliedschaft bei TERRE DES FEMMES zu kündigen. In einer Organisation, die sich um Frauen- und Menschenrechte sehr verdient gemacht hat, darf man offensichtlich nicht eine andere Meinung als EMMA vertreten, ohne dass einem die Existenzberechtigung abgesprochen wird. Das ist nicht in Ordnung, das entzieht einem wichtigen Meinungsaustausch die Grundlage. Meinung ist aber wichtig. Und deshalb kommt jetzt unsere.
TERRE DES FEMMES hat Alice Schwarzers Aufruf, das Prostitutionsgesetz zu kippen, nicht unterschrieben. Ebenso wenig wie der Deutsche Frauenrat , der größte deutsche Frauenverbund, oder das feministische Missy Magazine aus Berlin. Auch nicht die Soziologin Anna-Katharina Messmer, die #aufschrei mitbegründete, und viele andere Aktivist*innen und Gruppen, mit denen Pinkstinks aus gutem Grund zusammenarbeitet. Gemeinsam haben wir eine Petition an den Werberat geführt, demonstriert und in vielen Stunden mit dem Werberat gesprochen: Wir bewegen was zusammen. Viele von uns arbeiten ehrenamtlich, tüten nachts Flyer ein, leben von Spendengeldern. Insbesondere TERRE DES FEMMES hat in diesem Jahr im Kampf gegen Zwangsprostitution, sexualisierte Gewalt und Genitalverstümmelung wieder Beachtenswertes bewegt.
EMMA ist keine Organisation. EMMA lebt von Verkauf und Anzeigenwerbung (z.B. von CDU-Wahlwerbung). Sie beschäftigt keine Streetworkerinnen, Sozialarbeiter*innen, Campaigner*innen. Trotz aller Wertschätzung für das, was Alice Schwarzer und EMMA in unserem Land bewirkt haben, ist die Übergriffigkeit in der Debatte und der Angriff auf eine effektiv arbeitende Organisation für Frauenrechte nicht akzeptabel.
Jede Form der Arbeit, die mit Widerwillen und aus Zwang ausgeführt wird, ist menschenverachtend. Prostitution, die unter solchen Bedingungen ausgeführt wird, ist menschenverachtend. Auch wir fänden eine Gesellschaft wunderbar, in der rein männliche Vorstände nicht nach gefeiertem Jahresabschluss gemeinsam ins Bordell gingen. In der keine Busladungen aus Schweden anreisten, um hier in die Flatrate-Bordelle zu strömen. In der keine Prostituierte bedrängt, vergewaltigt und geschlagen wird. Wir glauben nur nicht, dass wir Prostitution abschaffen, in dem wir sie kriminalisieren. Und wir glauben nicht, dass jede Form der Prostitution menschenverachtend ist. Es muss möglich sein, selbst zu bestimmen, ob man Menschen mit Behinderung – gegen Bezahlung – erotisch massieren möchte, anstatt bei der Deutschen Bank mit Nahrungsmitteln zu spekulieren. Selbst zu entscheiden, ob man lieber als Escort oder als Putzhilfe sein Studium finanziert. Selbstbestimmte Prostituierte – und hierzu gibt es keine verlässlichen Zahlen – sind sicherlich eine kleine Minderheit. Solange aber selbstbestimmte Prostitution als unmöglich gesehen wird, erlaubt man Frauen nicht, ihre Sexualität oder ihre körperlichen Gefühle selbst zu definieren. Die Frau, die Sex und Liebe trennt, Spaß am Sex mit Fremden hat oder Prostitution sogar als ermächtigend erlebt, läuft dann immer Gefahr, nicht richtig zu sein; „Schlampe“ bleibt weiterhin Schimpfwort. Der Text von Stefanie Lohaus und ihren Kolleginnen vom Missy Magazine zeichnet eine Utopie, in der selbstbestimmte Prostituierte Teil der Gesellschaft sein könnten: ohne Stigmatisierung. Es ist gerade das Ansehen von Prostituierten als ewige Opfer, das Frauen das Recht abspricht, über ihren Körper selbst zu bestimmen.
Eine große Anzahl der Prostituierten in Deutschland werden von Tätern zu Opfern gemacht. Eine große Mehrzahl übt diesen Beruf nicht aus, weil sie ihn liebt, und viele werden in diese Tätigkeit gezwungen. Der Kommissar, der bei Maischberger auftrat, ist nur eine „Quelle“: Anonyme Informanten der Polizei sagen gegenüber der taz, dass wir die genaue Zahl der Zwangsprostituierten zurzeit nicht ermitteln können und es nicht hilft, die Freier dieser zu bestrafen. Freier werden sich erstens nicht selbst anzeigen, zweitens werden sie in den seltensten Fällen erkennen wollen oder können, ob eine Prostituierte in einer Notlage ist. Was wir dringend brauchen ist eine größere Überwachung der Bordelle: Deshalb unterstützen wir hier die Forderungen TERRE DES FEMMES.
Für Frauen, die aus anderen Zwangslagen als der tätigen Gewalt (Drogensucht, Armut, mangelnde Arbeitserlaubnis) in der Prostitution arbeiten, braucht es andere Hilfen, aus ihr auszusteigen. Von neuen Migrationsgesetzen bis mehr Geld für Beratungsstellen und Aufklärung in Schulen sind es differenzierte Diskussionen, die hier geführt werden müssen – und Konservativen, die Prostitution einfach von der Straße weghaben wollen, sicherlich nicht gefallen. Solange wir soziale Ungerechtigkeit nicht weiter diskutieren und reduzieren, wird es Prostitution geben – ob wir sie verbieten oder nicht. Diese Prostituierten in der Legalität zu halten ist unabdingbar, damit sie Vergewaltigungen wirklich anzeigen und ihren Beruf in der Sichtbarkeit, nicht im ungeschützten Hinterzimmer ausführen können.
Das schwedische Modell, die Freierbestrafung, wird stets als Lösung vorgestellt. Doch auch in Schweden gibt es Zwangsprostitution und Hinterzimmer-Prostitution mit ihren Gefahren. Die Prostitution soll sich dort seit 1999 reduziert haben – jedoch ist in Schweden die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sehr viel weiter als bei uns, und war es auch schon 1999. Bessere Arbeitsbedingungen für Frauen mit Kindern, eine große Selbstverständlichkeit, dass Männer Erziehung und Haushalt mittragen: Schweden ist vorbildlich in der Geschlechterfrage. Prostitution nicht durch ein Verbot, sondern durch Gleichberechtigung reduzieren, dafür braucht es Gelder für Schulprogramme, flächendeckende Kinderbetreuung, Frauenquoten und vieles mehr. Und einen Staat, der sich nicht noch an der Prostitution aufgrund der Vergnügungssteuer bereichert. Hätten wir erst mal die Freierbestrafung, bleibt die Not im Verborgenen. Ob wir uns dort um sie kümmern werden? Wohl kaum.
Für unsere Arbeit stellt sich die Frage, ob für Prostitution geworben werden darf. Laut Wettbewerbsgesetz ist das Werben für Prostitution nur dezent erlaubt, also in Kleinanzeigen im Käseblättchen. Insbesondere im letzten Jahr gab es aber Werbung für Flatrate-Bordelle auf Leuchttableaus in den schicken Kaufmeilen der Innenstädte. Auch die Werbung ist es, die Deutschland zum „Bordell Europas“ macht. Was ist da passiert? Nun, die Plakate waren dezent: Die Frauen, die für die Laufhäuser werben, ähneln jedem lasziven H&M Model, und statt „Ficken so viel du kannst“ schrieb man „FKK-Sauna Club“. Prostitution sollte eine Berufswahl wie jede andere sein. Geworben wird hier aber mit einem Frauenbild, das nicht die Ermächtigung darstellt, die wir einer selbstbestimmten Prostituierten zuschreiben. Das Bild reiht sich ein in die Menge der lasziven Blicke, dem Ausdruck, den wir wiederholt kritisieren: „Bin ich gut genug für dich?“ Die sexualisierte Frau, die auf ihre sexuelle Funktion und ihre Verfügbarkeit reduziert ist: Hier müsste der Werberat von selbst anmahnen.
Prostituierte sind nicht auf ihre sexuelle Funktion reduziert. Es sind Menschen, die freiwillig einen Beruf gewählt haben, in ihn gezwungen wurden oder aus Notlage ausüben. Ihr Bild in der Werbung spiegelt dies nicht wieder – ein verallgemeinertes Reden über sie als „Opfer“ genau so wenig. Es ist vernünftig und wichtig, alle Optionen, die Zwangsprostituierten und Prostituierten in Notlagen helfen könnten, durch zu argumentieren. Über Prostituierte insgesamt urteilen zu wollen ist jedoch genauso vermessen wie für sie mit einem Bild der absoluten Verfügbarkeit zu werben. Übertriebene Nacktheit in der medialen Öffentlichkeit, verbunden mit einem lasziven, einladenden Blick, stellt die Verletzlichkeit dar, auf die wir wiederholt hinweisen. Hier bezahlt kein Freier für sexuelle Dienste, die unter zwei Personen abgesprochen wurden: Hier kann er sie sich einfach nehmen und daran laben. Das ist ein Frauenbild, mit dem wir Probleme haben.
Stevie Schmiedel
(Bitte diskutiert den Text hier im Forum oder auf facebook: Auf einzelne Emails zu antworten wird bei diesem Thema schwer werden. Danke!)
PS: Hier ist der Bericht, den Schewe-Gerigk bei Maischberger erwähnte, aus dem hervorgeht, dass Prostituierte in Schweden heute prekärer leben und es keine Zahlen gibt, die beweisen, dass sich Zwangs- und Armutsprostitution reduziert hat. Dazu auch dieses Video einer schwedischen Prostituierten.